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Full text of "Die bewuss geplante Zerstoerung der Familie"

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16. Jahrgang 
April 1994 



Medizin 



Auflage 7000 Stück 



und Ideologie 

Informationsblatt der Europäischen Ärzteaktion 

Editorial W i 

Das Jahr 1994 - das Jahr der Familie 



Die Generalversammlung der Vereinten Nationen 
hat das Jahr 1994 zum "Internationalen Jahr der 
Familie" erklärt. Aus diesem Grunde brachte auch 
die Deutsche Bundespost die Sonderbriefmarke 
"Internationales Jahr der Familie - Vereinte Natio- 
nen" in Umlauf. Diese Intensionen der Vereinten 
Nationen und auch der Deutschen Bundespost 
sind nur zu begrüßen. Denn die Familie ist die 
Grundlage eines jeden Staates und ihre Integrität 
die Voraussetzung einer gesunden und geordne- 
ten Gesellschaft. 

Die bewußt geplante Zerstörung der 
Familie • 

Gerade die Zerstörung der Familie und damit die 
Vernichtung des Staates waren die erklärten Ziele 
der von langer Hand vorbereiteten Kulturrevolution 
der 68er-Protestbewegung. Diese Bewegung, aus- 
gehend von dem Freud-Schüler Wilhelm Reich und 
dem Heidegger-Schüler Herbert Marcuse, prokla- 
mierte den kollektiven Geschlechtsverkehr. Sie 
forderte die gesellschaftliche Anerkennung der 
Homosexualität, die Gleichstellung nichtehelicher 
Beziehungen mit der Ehe, die Freigabe der Abtrei- 
bung, die Emanzipation der Frau vom "Gebär- 
zwang", die Abschiebung von Kleinst- und Klein- 
kindern in Ganztags-Kinderhorte, die Ablehnung 



jedweder staatlichen, kirchlichen und elterlichen 
Autorität. Man wußte, daß man mit der Zerstörung 
und Auflösung der Familie auch den Staat zerstört. 
Und eben dies war und ist auch heute noch das 
offen bekannte Ziel der Kulturrevolution der 68er- 
Bewegung. Man will einen anderen Staat und eine 
andere Gesellschaft. Trotz des Zusammenbruches 
des Sozialismus ist dieses Ziel für die Anhänger 
der 68er-Bewegung noch lange nicht aufgegeben. 

Im Gegenteil, die Kulturrevolution breitet sich noch 
weiter aus. Viele ihrer Gedanken und Forderungen 
sind mittlerweile eingedrungen sogar in die Kirchen 
und in deren Jugend- und Frauenorganisationen. 
Auch der Sexualunterricht in den Schulen dient ei- 
nem der Ziele der 68er-Kulturrevolution, nämlich: 
Die heranwachsende Jugend zu verderben, sie mit 
allen nur möglichen Sexualpraktiken zu verführen 
und sie so dem Elternhaus und auch der Religion 
zu entfremden. Welchen Erfolg man damit hatte, 
sieht man in dem Rückgang des Gottesdienstbe- 
suches schulpflichtiger Kinder, der auch in ländli- 
chen Gemeinden auf 0,5-1% der Jahrgangsstärken 
zurückgegangen ist. Dies ist eine sehr ernst zu 
nehmende negative Zukunftsperspektive für die 
christlichen Kirchen in diesem Land, dessen sich 
die Kirchen noch kaum bewußt geworden sind, da 
bisher fast keine Reaktion auf diese ihre eigene 



Inhaltsverzeichnis: 



Editorial 



Dr. Alfred Häußler 1 



Zum traditionellen Selbstverständnis des 
Geistes Prof.Dr. Horst Seidl 5 

Christliche Aufklärung Prof.Dr.G. Rohrmoser 13 

Zum Thema Homosexualität Dipl.Ing.P.Pioch 20 

Prof. Thürkauf t 23 

Friedensgesinnung und Abtreibung 

Prof.Dr. Wuermeling 25 



In Deutschland Abtreibung auf Wunsch 

Prof. P.Marx 27 
Wer ist eigentlich andersrum? Ch Meves 30 
Die Notwendigkeit der ethischen Reflektion... 

Prof. Dr. G. Roth 31 
Abtreibung in der Antike Dr. Th. Schirrmacher 34 
Das Alte Testament contra Abtreibung ' 41 

Euthanasie durch Entzug von Nahrung 

Dr. P. Norris 49 



Existenz bedrohende Entwicklung festgestellt wer- 
den konnte. Zu welchen Entartungen sich der Se- 
xualunterricht in Schulen entwickelt hat, zeigt die 
"Aufklärungsbroschüre" der Rheinland-Pfälzischen 
Landeszentrale für Gesundheitsförderung, die zum 
"Internationalen Jahr der Familie" das von ihr 
selbst so bezeichnete "Sexheft" für Vierzehn - bis 
Achtzehnjährige jetzt erst herausgegeben hat, und 
in dem ausgerechnet unter dem Vorwand der Aids- 
Prävention zu sexueller Freizügigkeit animiert wird. 

Die schon weitgehend erfolgte 
Auflösung der Familie 

Die bewußt gewollte Zerstörung der Familie zeigt 
sich besonders daran, daß in einer Stadt wie Stutt- 
gart 60% der erwachsenen Einwohner in Single - 
Haushalten leben. Im Bundesland Baden-Würt- 
temberg sind nach den neuesten Mitteilungen des 
baden-württembergischen Sozialministeriums vom 
11.2.1994 36% der Haushalte Ein-Personen- 
Haushalte. Die Ehe als Lebensform auf Bestand 
und auf Lebenszeit und mit Kindern als Familie mit 
Zukunft wird in diesen Single-Haushalten ganz 
betont abgelehnt. Man pflegt in den Single-Haus- 
halten nur vorübergehende und ständig wech- 
selnde Beziehungen. Denn man will ein selbstbe- 
stimmtes, egozentrisches und autonomes Leben 
führen. Die Sorge für das Alter, für Krankheit und 
Arbeitsunfähigkeit überläßt man denen, die noch 
eine Ehe eingehen, eine Familie gründen und Kin- 
der aufziehen. Die Kinder aus geordneten Ehe- 
und Familienverhältnissen dürfen dann, ja müssen 
die Renten aufbringen für diejenigen, die in Single- 
Haushalten und in der heute üblichen "Beliebigkeit" 
ihr Leben genossen haben. Es gilt heute als erwie- 
sen, daß die "Pille" diese unheilvollen gesellschaft- 
lichen Entwicklungen und Veränderungen erst er- 
möglicht hat. 

Die Ehescheidungs- und 
Abtreibungsseuche 

Die Pille und in ihrem Gefolge die massenhaften 
Tötungen ungeborener Kinder in ganz Europa und 
Nordamerika haben aber noch mehr verschuldet, 
nämlich: Den ungeheuren Anstieg der Eheschei- 
dungen. Jede dritte Ehe wird in Mitteleuropa ge- 
schieden, darunter viele Mehrfachscheidungen, 
und dies mit steigender Tendenz. In der englisch 
sprechenden Welt wird sogar jede zweite Ehe ge- 
schieden. Die Ehescheidungswellen machen sogar 
vor den Familien keinen Halt, die früher als beson- 
ders vorbildlich galten und in denen Ehescheidun- 
gen undenkbar gewesen wären. Daß gerade auch 
in diesen Familien Ehescheidungen zu einer 
"privaten Angelegenheit" geworden sind, ist den 
unheilvollen Möglichkeiten und Auswirkungen der 
von Vielen immer noch hochgejubelten Pille anzu- 
lasten. Ihr ganz besonders verderblicher Anteil an 
der Zerstörung der Heiligkeit der Ehe und am Aus- 
einanderbrechen der Familien ist unbestreitbar. So 
diente die Pille in einer Art Schlitten- und Schritt- 
macherfunktion auch zur Durchsetzung der Ziele 
der 68er-Protestbewegung: Der Auflösung und Ab- 
schaffung von Ehe und Familie. Und gerade die 
Pille ist es auch, welche die Kulturrevolution in der 
wir uns immer noch befinden, auf den Höhepunkt 
gebracht hat und auf diesem Höhepunkt immer 
noch hält. 



Die Krise der Familie ist eine Krise 
der Ehe 

Der moderne Mensch scheut - in den Großstädten 
in über der Hälfte der erwachsenen Einwohner, auf 
dem flachen Lande in über einem Drittel des Er- 
wachsenenanteiles - die Ehe als Lebensform zwi- 
schen Mann und Frau. Die Kulturrevolution der 
68er-Bewegung hat gerade in der kleinsten Zelle 
der menschlichen Gemeinschaft vieles verändert. 
In dieser kleinsten Zelle fand die Kulturrevolution 
am nachhaltigsten statt. Der Mensch im Lebens- 
gefühl der letzten Jahrzehnte will sich nicht mehr 
binden, sondern in der Bindungslosigkeit "sich 
selbst verwirklichen". Er ist nicht bereit zu teilen, 
sich ein- und unterzuordnen, er bevorzugt den 
"Egotrip" und pflegt nur gelegentliche, oft gleich- 
zeitig sogar mehrere, aber doch ständig wech- 
selnde Beziehungen. Schon das Wort Ehe wird 
gemieden. Man spricht von Partnerschaft und vom 
Partner. In den Partnerschaften kann man jedoch 
keine Kinder brauchen. Sie stören die Lebenspla- 
nung und stehen dieser, wie man meint, nur im 
Weg. Man will keine Treue, keine Beständigkeit, 
man will den Wechsel, den Partner je nach Bedarf ^ 
und Lust. Daß eine solche Lebensführung nur mit ^-/ 
Hilfe der Pille möglich ist, dürfte einsichtig sein, 
wird aber immer noch von denen bestritten, die die 
Pille als einen Fortschritt in der Empfängnisrege- 
lung betrachten. Daß mit der Pille keine Empfäng- 
nis geregelt wird, sondern die Frau durch den 
Raub ihrer Empfängnismöglichkeit der brutalen 
Willkür des Mannes ausgeliefert ist, der in seiner 
Rücksichtslosigkeit die Frau als Lustobjekt, wann 
immer er will, zu mißbrauchen vermag, wird in der 
Gesellschaft von heute einfach nicht gesehen, 
sondern verdrängt und oft genug ohne jede Sach- 
kenntnis und ausreichende Kompetenz für nicht 
möglich erklärt. Doch so zerstört man die Authenti- 
zität der Ehe als die grundlegende, familienstif- 
tende und daher für Staat und Gesellschaft unver- 
zichtbare Institution. 

Wenn man bedenkt, daß von den verheirateten 
und in einer Ehe lebenden Menschen mittlerweile 
etwa 20% ungewollt kinderlos bleiben, weil die i 
menschliche Fruchtbarkeit seit Jahren fortschrei- 
tend zurückgeht, dann weiß man, daß man sich 
Sorgen machen muß um die Zukunft Europas und 
die der gesamten westlichen Welt. Dies um so 
mehr, wenn gerade bei noch erhaltener Fruchtbar- 
keit von Ehen heute alles nur erdenklich Mögliche 
unternommen wird, um die im ganzen schon allzu 
weitgehend reduzierte Fruchtbarkeit so zu begren- 
zen, damit es nur noch Ein-Kind-Ehen oder 
höchstens Zwei-Kinder-Ehen gibt. Familien mit drei 
oder gar vier Kindern gelten heute als asozial. Sie 
leben am Rande des Existenzminimums, obwohl 
gerade deren Kinder den Generationenvertrag un- 
serer Sozialordnung vorläufig noch einigermaßen 
garantieren. Ist dies eine gerechte Gesellschafts- 
ordnung? So fragen sich die Mütter und Väter grö- • 
ßerer Familien. Diese fühlen sich als Bürger zwei- 
ter Klasse, die unter finanziellen Benachteiligungen 
leiden und die zu alledem von Seiten des Staates 
und der ihn tragenden Parteien keinerlei Verständ- 
nis, geschweige denn Unterstützung erfahren. 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



Die kalte Rücksichtslosigkeit gegen 
Kinder ^ ^ ' -:--;>;< ?^ ■ -^ 

Keine Personengruppe ist in der modernen Gesell- 
schaft, die durch die Kulturrevolution der letzten 
drei Jahrzehnte sich so verändert hat, in einem 
solchen Ausmaße benachteiligt und geschädigt 
worden wie die Kinder. Sie haben in der neuen 
Gesellschaft keine Stimme, keine Lobby, keine 
Vertretung in den Parlamenten. Man geht über die 
Rechte der Kinder und Ciber ihre berechtigten In- 
teressen hinweg, als ob sie nicht am Leben wären. 
Hierbei rächt es sich, daß Kinder kein Wahlrecht 
besitzen und daß auch stellvertretend für sie ihre 
Eltern kein zusätzliches Wahlrecht ausüben dür- 
fen. Wäre dies der Fall, so würde sich für die Stel- 
lung der Kinder in der Gesellschaft und für den po- 
litischen Einfluß von Familien mit Kindern, beson- 
ders für kinderreiche Familien vieles zum Besseren 
ändern lassen. . ., , „ . 

Die Not der Scheidungswaisen 

Während früher Ehescheidungen in manchen ge- 
sellschaftlichen Stellungen durch einen unge- 
schriebenen Ehrenkodex einfach nicht hingenom- 
men und nicht geduldet wurden, während Ehe- 
scheidungen zum Verlust gesellschaftlichen Anse- 
hens und oft auch zum Verlust einer beruflich er- 
worbenen Stellung führten, spielen heute Ehe- 
scheidungen gesellschaftlich keine Rolle mehr. Sie 
sind so häufig geworden, daß man sich an sie ge- 
wöhnt hat. Drei - oder gar viermal geschieden zu 
sein, ist heute durchaus nicht ehrenrührig. Ehe- 
scheidungen gelten als Privatsache und werden in 
der modernen Gesellschaft nicht mehr als verwerf- 
lich angesehen. Daher wird auch die Not der 
Scheidungswaisen nicht gesehen, obwohl die 
Scheidung von Eltern für deren Kinder ein 
schweres psychisches Trauma ist. Dieses Trauma, 
führt in so vielen Fällen zur Neurotisierung von 
Kindern mit Leistungsinsuffizienz, oft sogar Lei- 
stungsverweigerung, auf alle Fälle aber mit ver- 
minderten Schulleistungen. So kosten die immer 
zahlreicher notwendig werdenden Sonderschulen 
für lernbehinderte Kinder den Staat eine Unsumme 
Geld. Die Sozialversicherung wird zusätzlich auch 
noch belastet, denn die psychisch krank gemach- 
ten Kinder bedürfen meist langjähriger psycho-the- 
rapeutische Behandlung, die oft nicht einmal mög- 
lich ist, weil die Zahl der erfahrenen Kinder- und 
Jugendpsychotherapeuten mit ihrer langjährigen 
Spezialausbildung viel zu gering ist für den not- 
wendigen Bedarf. Daß die durch die Ehescheidung 
ihrer Eltern traumatisierten Kinder oft lebenslang 
am Verlust der Liebesfähigkeit leiden, wird eben- 
falls nicht zur Kenntnis genommen, geschweige 
denn die Tatsache, daß all diese psychischen 
Verletzungen der Kinder die eigentliche Ursache 
der bedrohlich angewachsenen Kriminalität in ganz 
Europa und Nordamerika ist. 

Wir wissen heute, daß seit der Auflösung der 
Großfamilie mit dem nicht mehr prägenden Einfluß 
einer solchen Familie und dem eines geordneten 
Elternhauses, mit den nur noch locker aufrecht er- 
haltenen Verwandtschaftsbeziehungen ohne On- 
keln und Tanten, alle psychisch bedingten Erkran- 
kungen ungeheuer zugenommen haben. Wenn 



heute jeder Dritte, der eine allgemeine ärztliche 
Sprechstunde aufsucht, ein psychosomatischer 
Fall ist, und jeder Zehnte an einer Depression lei- 
det, wenn die Hälfte aller Alkoholiker durch eine 
depressive Stimmungslage in den Alkoholismus 
oder gar in den Drogenkonsum abgleitet, so sind 
dies alles doch Alarmzeichen, die von der Gesell- 
schaft nicht nur wahrgenommen werden sollten, 
sondern die alle Menschen in unserem Land alar- 
mieren sollten, ganz besonders aber die Organe 
des Staates, die Parteien und nicht zuletzt auch 
die Kirchen. Alle ohne jede Ausnahme sollten er- 
kennen und auch sofort danach handeln, endlich 
und ernsthaft alles erdenklich Mögliche zu tun, um 
die Stellung von Ehe und Familie zu stärken und 
um die sie störenden und sie bedrängenden Ein- 
flüsse zu beseitigen. 

Die Rettung von Ehe und Familie 
aus ihrem Niedergang in der 
Kulturrevolution 

Niemand kann und darf sich bei'dem Niedergang 
von Ehe und Familie, die wir seit drei Jahrzehnten 
so dramatisch wie kaum einmal zuvor in der 
Menschheitsgeschichte erleben, von der Ver- 
pflichtung befreien, alles zu tun, um Ehe und Fami- 
lie als gesellschaftliche Institutionen nicht nur zu 
erhalten, sondern sie auch wieder aufzuwerten zu 
der ihr angemessenen Reputation. All die Miß- 
stände, welche die Kulturrevolution seit nunmehr 
drei Jahrzehnten in unserer modernen Gesell- 
schaft verschuldet und sogar in die Gesetzgebung 
fortgeschrieben hat, gilt es zu beseitigen. Umkehr 
ist notwendig und Abwendung vor allem von den 
beiden hervorstechendsten Erscheinungsformen 
der Kulturrevolution in der gesamten westlichen 
Welt: Von den hunderttausendfachen Tötungen 
ungeborener Kinder, vom feministischen Selbstbe- 
stimmungsrecht der Frau über das Lebensrecht 
des Kindes und auch von den lebensverneinenden 
Kontrazeptionsmöglichkeiten mit Hormonpräpara- 
ten, die -wie wir heute wissen- nicht nur Leben 
verhindern, sondern oft genug auch schon begon- 
nenes menschliches Leben im Frühstadium wieder 
abtöten. 

Es wird sehr schwer sein, eine breite Meinungsän- 
derung in der Gesellschaft gegen die vorgeburtli- 
chen Kindestötungen und die hormonale, mecha- 
nische und chirurgische Kontrazeption herbeizu- 
führen. Viel zu viel ist in den letzten drei Jahr- 
zehnten durch Leichtfertigkeit, Gleichgültigkeit und 
Fehlinformation versäumt und sogar selbst von 
kirchlichen Stellen durch falsche Rücksichtnahme 
verschuldet worden, als daß man mit einer raschen 
Besserung rechnen könnte. Dennoch ist diese un- 
erläßlich notwendig mit einer breit angelegten Un- 
terrichtung in der natürlichen Empfängnisregelung, 
mit Einbeziehung kirchlicher Jugend- und -und 
Frauenverbänden in diese Aufgabe und mit der 
unerschrockenen Ablehnung von Kindestötungen 
vor der Geburt sowie der nicht natürlichen Emp- 
fängnisregelung. Es ist zu hoffen, daß zu dieser 
unverzichtbar notwendigen Aufgabe zum Schutz 
und zum Erhalten menschlichen Lebens auch die 
deutschen Bischöfe einmütig bereit sind. Die Un- 
auflösbarkeit der Ehe, die Treue in der Ehe und die 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



Offenheit in der Ehe für Fruchtbarl^eit waren bis 
zum Beginn der 60er Jahre dieses Jahrhunderts 
die allgemein anerkannten Grundvoraussetzungen 
für das Gelingen der Ehe und für die Gründung 
intakter und gesunder Familien. Doch darauf 
wurde auch von Seiten der Kirchen in den vergan- 
genen Jahrzehnten zu wenig hingewiesen. Man 
verzichtete auf Beeinflussung der öffentlichen Mei- 
nung und überließ dieses Feld den Medien, die in 
bekannter Weise von der Möglichkeit der Mei- 
nungsbeeinflussung im Sinne der Kulturrevolution 
nur zu gerne Gebrauch machten. Die Ergebnisse 
dieser Einflußnahme sind nur allzu bekannt. Sie 
sind erschreckend, ja verheerend. Hier gilt es, viel 
verlorengegangenes Terrain wieder zurück zu ge- 
winnen. 

Die Pflicht des Staates, zur 
Sicherung seiner eigenen Existenz 
und seiner Zukunft, Ehe und Familie 
zu schützen und noch mehr zu 
fördern als bisher 

Niemand ist in der modernen Gesellschaft so sehr 
benachteiligt wie kindereiche Familien und die 
Mütter mehrerer Kinder. Angesehen ist heute - und 
dies seit dreißig Jahren immer mehr - die Karriere- 
frau. Diese hat in der Regel keine Kinder oder 
höchstens ein Kind, verdient meist ein gutes Geld 
und kann sich alles leisten. Am Ende ihrer Lauf- 
bahn bezieht sie eine ansehnliche Rente. Durch 
immer kürzere Arbeitszeit, frühere Berentung und 
einen immer längeren Urlaub genießt sie ihr Leben 
und macht sich wenig Sorgen um ihre Zukunft. 
Diese ist ja gesichert, vor allem von den Kindern 
kinderreicher Familien und die selbstlose Arbeit 
der Mütter dieser Familien. Ihre Arbeit wird nicht 
entlohnt, sie ist nur mit Verzicht, mit Opfern und 
heute auch noch mit gesellschaftlichen Benachtei- 
lungen verbunden. Dies darf nicht sein und muß in 
Zukunft geändert werden. Nicht die Karrierefrau, 
sondern die Mütter verdienen den Dank und die 
Anerkennung durch die Gesellschaft. Es ist daher 
dringend erforderlich, daß zur Zukunftsicherung 
der Renten und zur Standortsicherung unserer 
Wirtschaft wie überhaupt zum Überleben der Völ- 
ker Europas und damit der europäischen Gemein- 
schaft der politische und damit gesellschaftliche 
Einfluß der Mütter viel mehr als bisher verstärkt 
wird. 



Kein geringerer als der Europaabgeordnete Dr. 
Otto von Habsburg und auch andere fordern daher 
immer wieder mit Nachdruck eine Änderung des 
Wahlrechtes in dem Sinne, daß Eltern bis zur 
Volljährigkeit ihrer Kinder für diese das Wahlrecht 
bei allen Wahlen ausüben dürfen. Da die Femini- 
stinnen immerzu von der Benachteiligung der Frau 
sprechen, von ihrer zu geringen politischen Ein- 
flußmöglichkeit wäre es sogar zu überlegen, ob 
man nicht den Müttern für jedes Kind vom Beginn 
der ärztlich festgestellten Schwangerschaft ab das 
alleinige zusätzliche Wahlrecht zubilligen sollte. 
Eine Mutter mit 4 Kindern hätte dann bei jeder 
Wahl die Möglichkeit, nicht nur ihre eigene 
Stimme, sondern zusätzlich noch vier weitere, also 
insgesamt fünf Stimmen abzugeben. Dies wäre 
eine ungeheure Aufwertung der Frauen, insbeson- 
dere der Mütter, und würde den politischen Einfluß 
der Frauen weit mehr heben als alle Ouotenrege- 
lungen. Wie sehr wären dann die männlichen Ab- 
geordneten bestrebt, trauen- und familienfreundli- 
che Gesetzesvorhaben auf den Weg zu bringen. 
Dann ließe sich auch ein gerechter Ausgleich 
schaffen zwischen der berufstätigen Frau mit kei- 
nem oder nur einem Kind und den Müttern, die 
wegen der Versorgung ihrer Kinder bisher nur auf 
den Verdienst des Ehemannes und auch später 
nur auf seine Rente allein angewiesen waren. 
Diese Ungerechtigkeiten müssen beseitigt werden, 
und da in einer Demokratie nur über die Stimmab- 
gabe bei Wahlen mitentschieden werden kann, ist 
die Stimmabgabe - Möglichkeit der Mütter für jedes 
ihrer noch nicht volljährigen Kinder eine Notwen- 
digkeit, mit der sich Vieles in der Familien-, Frauen 
-und Sozialpolitik ändern ließe. Daß dies notwen- 
dig ist, dessen sind sich die Mütter in unserem 
Lande, aber auch viele Sozialpolitiker bewußt. 
Handeln wir deshalb solange sich noch mit Aus- 
sicht auf Erfolg für die Familien, die Kinder und ihre 
Mütter etwas erreichen läßt. Denn selbst Max 
Horkheimer, der Begründer der "Kritischen Theorie 
und der "Frankfurter Schule" hat in einer späteren 
Studie (1949) sein ursprünglich vorwiegend 
negatives Urteil über die Familie geradezu umge- 
kehrt und sich zum Anwalt der "Familie im echten 
Sinn" gemacht, die er als die "verläßlichste und er- 
folgreichste Gegeninstanz gegen den Rückfall in 
die Barbarei bezeichnet." (Zitiert aus Wolfgang 
Brezinka "Die Pädagogik der Neuen Linken" Seite 
124, Ernst Reinhardt Verlag München, Basel). 

Alfred Häußler 



Hinweis: 

Zu dem Artikel: Mitschuldig! von E. Backhaus ' 

Im Dezemberheft 1993 hätten die beiden letzten Fußnoten statt statt 41 und 42, 44 und 45 heißen sollen. 
Auch wurde versehentlich eine Fortsetzung angekündigt. Dies ist aber nicht richtig, der Artikel ist vollständig. 

Die gesamte Arbeit von E. Backhaus kann als Broschüre bezogen werden, s. Medien 

Wir bitten das Versehen zu entschuldigen (Die Redaktion) :: , J. ■.'... 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



Prof. Dr. Horst Seid I se. s^.r ^^ 

Professor für allgemeine Ethik an der Lateran-Universität, Rom ,! .imI^: i.^i 

Zum traditionellen Selbstverständnis des Geistes 



■^nrr 



l-: 






Philosophisch-anthropologische 
Erörterungen 

Ein Grundkurs Philosophie: Philosophie des 20. 
Jahrhunderts, zusammengestellt in unseren Ta- 
gen\ beginnt mit der Feststellung: «Die Philoso- 
phie des 20. Jahrhunderts ist gekennzeichnet 
durch die Krise ihres Selbstverständnisses». Wer 
dann diesen Grundkurs oder andere Darstellungen 
der Philosophie der Gegenwart durchstudiert, wird 
weiter feststellen können, daß der Krise im Selbst- 
verständnis der Philosophie eine Krise im Selbst- 
verständnis des menschlichen Geistes zugrunde 
liegt. In der Tat erweist es sich in den verschie- 
denen Gegenwartsströmungen mehr denn je pro- 
blematisch: Die Phänomenologie reduziert ihre 
Gegenstände auf Phänomene, die dem Bewußt- 
sein/dem Erleben «leibhaft erscheinen». Und dies 
kann der Geist nicht. In Heideggers Existenzphi- 
losophie ist das Subjekt nicht der Geist, sondern 
das Denken, in dem das Sein selbst sich als frag- 
würdig denkt und sich in immer neuen ge- 
schichtlichen Ereignissen zur Sprache bringen will. 
In der Bioanthropologie Gehlens wie auch in der 
hermeneutisch-geschichtlichen Richtung ist das 
unmittelbare Selbstverständnis des Geistes wie- 
derum verlegt; er lernt sich nur indirekt über seine 
kulturellen, sozialen, geschichtlichen u.a. Leistun- 
gen kennen. In der materialistischen Richtung soll 
er sich als Produkt materieller Energien verstehen. 
Wenn wir dann bei der Analytischen Richtung nach 
dem Geist fragen, so erhalten wir z.B. in dem Ka- 
pitel über B. Russell die Antwort: «In der Phase 
des logischen Atomismus werden das Selbst und 
der Geist ebenso wie die Materie durch Konstruk- 
tionen aus Ereignissen ersetzt. Geist und Materie 
unterscheiden sich lediglich in den Relationen, die 
die Ereignisse miteinander verbinden. Geist und 
Gehirn sind nicht real voneinander verschieden» 
(a.a.O. ,135). G. Ryle ist sehr bedacht darauf, den 
Geist nicht als Substanz zu verstehen, sondern auf 
«Dispositionen zu beobachtbaren Verhaltenswei- 
sen» zu reduzieren (a.a.O., 159). Da all diese 
«philosophischen» Aussagen der Menschengeist 
macht, kann man feststellen, daß er sich in ihnen 
systematisch selbst aufhebt. Damit gerät auch die 
Philosophie selbst in die Krise, die ja ursprünglich 
ein Streben nach Weisheit und Glückseligkeit des 
Menschengeistes war, worin sich sein Selbststand 
und seine Überlegenheit über Materie und Natur 
ausdrückte. 

Die vorliegende Studie möchte im folgenden 
zunächst von heute einflußreichen Auffassungen 
über den Menschen ausgehen, deren Geist- 
verständnis problematisch ist, um dann das der 
klassischen, besonders der aristotelisch-thomisti- 
schen Tradition wiederaufzunehmen, die ein 
höchst positives Selbstverständnis des Geistes 
aufweist. Wenn dieses den heutigen Auffassungen 
abhanden gekommen ist, so heißt das nicht, daß 
die Menschen der Gegenwart zu keinem positiven 



Selbstverständnis des Geistes mehr fähig wären. 
Vielmehr besitzen sie ein solches ebenso wie die 
früheren, doch wird es ihnen heute durch gewisse 
Theorien verwehrt, während sie es in der genann- 
ten Tradition - die auch mit der christlichen Glau- 
benslehre übereinstimmt - bestätigt finden können. 

I) Moderne problematische Auffas- 
sungen vom Menschen 

1) bei Imm. Kant 

Aus Kant interessiert uns hier der Begriff der intel- 
ligiblen Person. Damit verbindet sich ein Problem, 
das mit seiner Metaphysik-Kritik zusammenhängt. 
Gegen den Englischen Empirismus versucht Kant 
die Möglichkeit wissenschaftlicher Erkenntnis (vor 
allem der Newtonschen Physik) von der sinnlichen 
Erfahrungswelt zu verteidigen, verwirft aber 
zugleich die rationalistische Metaphysik von Leib- 
niz, Wolff und Baumgarten und übernimmt vom 
Empirismus zwei Voraussetzungen: erstens, daß 
die Dinge bloß sich wandelnde Erscheinungen in 
Raum und Zeit seien, denen wir das Ansichsein 
nur problematisch zudenken könnten, und zwei- 
tens, daß der Mensch keine intellektuale Anschau- 
ung vom Wesen der Dinge habe, sondern nur die 
Sinnesanschauung von ihnen als Erscheinungen. 
Den Dingen kommen also nicht an sich substanti- 
elles Sein, Wesen, konstitutive Formursachen zu, 
stattdessen werden sie als Gegenstände der Er- 
scheinungswelt vom Subjekt konstituiert, genauer: 
von der Raum-Zeitform der Sinnesanschauung 
und gewissen Verstandeskategorien. ^ 
Daraus ergibt sich bei Kant für den Menschen dies, 
daß er sich als Geistwesen, als «intelligible Per- 
son» nicht real seiend gegeben ist, sondern nur 
gedacht wird, obwohl wir doch ein reales Bewußt- 
sein davon haben. Kant unterscheidet aber hin- 
sichtlich des Bewußtseins zwischen dem «trans- 
zendentalen Bewußtsein», das die Form des «Ich 
denke» hat und alle Erkenntnisse als oberste Be- 
dingung begleitet, und dem «empirischen Be- 
wußtsein», in dem uns die Dinge zwar gegeben 
sind, aber nur als Erscheinungen in Raum und 
Zeit. So ist auch der Mensch sich selbst nur als Er- 
scheinung, als «empirische Person», im inneren 
Zeitsinn gegeben. Dies ist jedoch unhaltbar; denn 
das Bewußtsein ist immer ein Akt der Vernunft, 
und somit kein «empirisches». Ein «sinnliches Be- 
wußtsein» ist in sich widersprüchlich. Wenn aber 
das transzendentale Bewußtsein das Auge des 
Geistes ist, vor dem die Dinge, und wir uns selbst 
gegeben sind, dann kann es kein diskursives Ich- 
denke sein, das in Reflexion auf das Ich, die Ver- 
nunft oder den Geist zurückkommt, sondern muß 
ein intuitiver Blick sein, vor dem wir uns selber als 
Geistwesen gegeben sind, uns selber real seiend 
bewußt sind. 

Kants Position hat Einfluß sowohl auf die empiri- 
sche Psychologie und Anthropologie, als auch auf 
den gegenwärtigen Existenzialismus und Persona- 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



lismus ausgeübt. Sie haben alle keine metaphysi- 
sche Einstellung mehr, wenn sie auch zum An- 
sichsein des Realen zurückgekehrt sind. Doch liegt 
nunmehr die substantielle Realität des Menschen 
nur noch in der Leib- und Triebnatur. Der Geist re- 
duziert sich auf diskursive Funktionen der berech- 
nenden Ratio, die sich auf das technisch Machbare 
und die Manipulation von Macht richtet, ohne Ein- 
sicht in sich selbst und den transzendenten Gott. 
Tiefe und Intuition werden mehr im Unbewußten 
oder in existentiellen Gefühlen, Gestimmtheiten 
angesiedelt. 

2) bei M. Scheler 

Max Scheler anerkennt zwar in seiner Anthropolo- 
gie, daß der Geist im Menschen als ein neues 
Prinzip auftritt^, das die Triebnatur übersteigt. Er 
macht aber kein neues Wesensprinzip aus und 
kommt nicht als höheres Lebensprinzip zum sinnli- 
chen hinzu, sondern beschränkt sich auftriebsteu- 
ernde Funktionen. Scheler spricht von der 
«Ohnmacht des Geistes», der selbst ohne sub- 
stantielles Sein nur von Gnaden der Triebenergien 
existiert, die er sublimieren muß. Und je mehr er 
dies leistet und Kulturwerke schafft, desto lebens- 
bedrohender wird er.* Wie man sieht, ist Leben 
hier vitalistisch auf das triebhafte beschränkt, der 
Geist bildet kein neues Lebensprinzip. Vielmehr 
werden nach Scheler auch seine geistigsten Akte 
von Sinnesenergie und dem «Dampf des Instink- 
tes» genährt. - Dieselbe Auffassung findet sich 
auch in der Tiefenpsychologie, auf die wir hier 
nicht mehr näher eingehen können. 

3) bei A. Gelilen 

Nach der Bioanthropologie von A. Gehlen ist der 
Mensch «das noch nicht festgestellte Tier»^ weil 
er biologisch ein «Mängelwesen» ist, ohne biologi- 
sche Spezialisierung, wie sie die Tiere aufweisen. 
Die Vernunft wird als natürliches Vermögen ange- 
sehen, das zur Tiernatur des Menschen gehört und 
versucht, den biologischen Mangel durch Kul- 
turleistungen zu kompensieren. Der Eigenwert und 
Selbstzweck der Verunft des Geistes und der ihm 
eigentümlichen Tätigkeiten in den Kulturwerken, 
die den bloßen Zweck, einen biologischen Mangel 
wettzumachen, unendlich übersteigen, kommt 
nicht in den Blick, wiewohl an sich die Beobach- 
tung der Unspezialisiertheit des Menschen durch- 
aus richtig ist, und auch unter diesem negativen 
Aspekt Gehlen Einsichten für die Entstehung und 
Entwicklung der Kulturleistungen gewinnt. 

4) bei IVI. IHeidegger 

Im Existentialismus Heideggers ist weniger vom 
Geist, als vielmehr vom Denken die Rede. In der 
Schrift "Über den Humanismus"^ versucht er, den 
traditionellen, metaphysisch begründeten Huma- 
nitätsbegriff zu überwinden, weil Sein/Existenz und 
Wesen des Menschen (als vernunftbegabten Le- 
bewesens), sowie auch das Sein selbst als Wirk- 
lichkeitsgrund objektiv feststellbare substantielle 
Gegebenheiten sind. Stattdessen ist nach Heideg- 
ger der Substanzbegriff einer «phänomenologisch- 
en Destruktion» zu unterziehen. Des Menschen 
Wesen wird nun phänomenologisch als Daseins- 
vollzug ausgelegt, als «Ek-sistenz», Ausstehen ins 



Nichts, alles in Frage stellend, in existentiellen 
Stimmungen oder Befindlichkeiten der Daseins- 
sorge und Angst. Die Welt «west» nur als Verste- 
henshorizont solcher Befindlichkeiten. Das Sein ist 
die Zeitlichkeit oder Geschichtlichkeit der men- 
schlichen Eksistenz, das Geschick der Menschen, 
das immer wieder neu «im Wort der wesentlichen 
Denker zur Sprache» kommt. Geschichte wird 
zugleich zum Kultur- und Sprachgeschehen. So 
wird der existentiell denkende Mensch «der Hirt 
des Seins», der Ort, die Lichtung, in der nicht er 
selbst, sondern das Sein sich zur Sprache bringt, 
zur geschichtlichen Sinnfrage wird, die alles in 
Frage stellt. 

Ohne auf Heideggers Position hier näher einzuge- 
hen, ist festzustellen, daß sie den traditionellen 
Person-Begriff durch den der «Ek-sistenz des 
Menschen» ersetzt; denn, wie er selbst sagt, «das 
Personhafte verfehlt und verbaut zugleich das We- 
sende der seinsgeschichtlichen Eksistenz». Damit 
wird jedoch der Mensch depersonalisiert. Das 
Subjekt des wesentlichen Denkens ist nicht mehr 
die Person mit der Geist- oder Vernunftnatur, son- 
dern wird nun ein anonymes Es oder Geschick, für 
das die Chiffre Sein steht. 

Indem der Mensch sich als Platzhalter des Seins 
denkt, bleibt er das Subjekt dieses Denkens und 
Sprechens. In Wahrheit jedoch kann nur vom tran- 
szendenten Gott der Mensch etwas vernehmen. 
Heideggers existentielles Denken erreicht aber 
nicht mehr die transzendente Wirklichkeit (die reli- 
giös gesprochen Gott ist), sondern verbleibt in sich 
endlos transzendierenden Denkakten. 
Die Depersonalisierung des Menschen und die 
Vernachlässigung der Geistnatur hängt damit zu- 
sammen, daß dem Menschen das substantielle 
Sein und Wesen abgesprochen und das Sein 
überhaupt in Geschehen, Prozeß, Ereignisse und 
Aktivitäten aufgelöst wird. Das Wesen des Men- 
schen wird aktivistisch in Existenz umgedeutet, 
und diese in ein entschlossenes geschichtsbe- 
wußtes Handeln, verbunden mit einem weltverän- 
dernden Denk- und Sprachgeschehen. 
Dazu läßt sich folgendes sagen: Wenn es ver- 
schiedene Erkenntnisstufen gibt, von der Sinnes- 
wahrnehmung bis zur wissenschaftlichen Ver- 
nunfterkenntnis, dann ist das Erleben, Erfahren, 
auch das existentielle, in seinem wandelbaren Be- 
wegungscharakter, eine Zwischenstufe, der auf 
Seiten des Realen auch etwas Wandelbares, Pro- 
zeßhaftes entspricht. Auf dieser Stufe ist jedoch 
das Sein der Dinge, sofern sie einfachhin sind, 
noch gar nicht thematisch, wenn es auch randhaft 
unthematisch immer schon bewußt ist, sondern 
erst auf der höheren Stufe der abstrakt-allgemei- 
nen, metaphysischen Betrachtung, die sich auf alle 
Dinge richtet, einfach insofern sie sind, das Sei- 
ende als solches. Daher besteht auf der Ebene 
des Existentialismus noch überhaupt kein Recht, 
von Sein und Seiendem zu sprechen, oder die 
Frage nach dem (Sinn von) Sein zu stellen. Der 
existentiell Gestimmte hat praktische Interessen, 
Ängste, geschichtliche Erwartungen usw., die an 
sich durchaus berechtigt sind, aber er ist in ihnen 
gar nicht disponiert, alle Dinge, schlicht insofern 
sie sind, «das Seiende als solches» zu betrachten; 
denn dazu ist eine praktisch desinteressierte, theo- 
retische Haltung erforderlich. Theoretische, 
begriffliche Erkenntnisse interessieren ihn gar 
nicht. Begriffe wie Sein, Existenz, Wesen, Wahr- 



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heit, Wissenschaft u.a.m. kann er gar nicht mehr in 
ihrer traditionellen Bedeutung, d.h. auf der hohen 
Ebene theoretischer Reflexion, verstehen, sondern 
nur noch in einem gänzlich anderen, praktisch 
existentiellen Sinn: Sein als geschichtliches Ereig- 
nis im existentiellen Erleben, das Wesen des Men- 
schen als Existenz, die Existenz als entschlos- 
senes Ausstehen des Lebens zum Tode hin, 
Wahrheit als Freiheit dieser Ek-sistenz, und die 
theoretischen Wissenschaften, ja selbst die Meta- 
physik, nur als Herrschaftswissen. Dagegen ver- 
stand die Tradition gerade die theoretischen 
Wissenschaften als die «freien», weil befreit von 
praktischen Interessen. Bei Heidegger werden all- 
gemein die kognitiven Akte in volitive umgedeutet. 
Da sich bei ihm das Sein im Menschen als Vermö- 
gen, Macht, manifestiert, tritt hier eine schicksal- 
hafte Herrschaftsmacht auf. Bekanntlich meinte 
Heidegger eine Zeitlang, in Hitler den Platzhalter 
des Seins zu sehen. Bei dieser existentialistischen 
Auffassung vom Menschen geht dann auch, wie 
oben dargelegt, seine Personalität verloren (s.o.). 

5) bei E. Mounier 

Schließlich ist noch die personalistische Auffas- 
sung vom Menschen zu erwähnen. Bei einem ihrer 
Hauptvertreter, E. Mounier^, erscheint die Person 
zunächst als ein Gesamt von Phänomenen in ei- 
nem «personalen Universum» und wird so um- 
schrieben: «Die Person ist kein Objekt» (9), son- 
dern nur Subjekt, das ihm in jeder Hinsicht entge- 
gengesetzt ist. Das Objekt ist für Mounier das 
Materielle, das äußerlich Gegebene, das, was 
sinnlich empirisch feststellbar, katalogisierbar und 
naturwissenschaftlich analysierbar ist, beobacht- 
bar, technokratisch manipulierbar, dem Experiment 
unterziehbar ist. Dagegen stellt sich das Subjekt 
als Geist dar, als personale Existenz, sich nicht 
gegeben, sondern nur in selbstschöpferischer Akti- 
vität sich setzend, in je individueller Einzigartigkeit, 
sich jeder Definition entziehend... Die Beschrei- 
bung kommt schließlich zu der Feststellung: «Die 
Person ist eine als Selbstschöpfung erlebte Aktivi- 
tät, ist Kommunikation und Anhänglichkeit 
(Adhäsion), die sich sammelt und in ihrem Akt er- 
kennt, als Bewegung der Personalisierung» (11). 
Ausgehend vom Individualismus als natürlichem 
Egoismus (46 ff.), der alles besitzen und sich alles 
unterwerfen will, vom Instinkt der Selbstbehaup- 
tung, beschreibt dann Mounier die Personalisie- 
rung der Natur. Sie geschieht in den Akten des 
Menschen, die ihn über das rein natürliche Dasein, 
über das bloß leibliche Wohlergehen hinausheben, 
die Natur zu personalen Werken umgestalten, den 
Dingen ihre Würde geben (Berufung auf Marx und 
das Christentum, 39). In diesem Prozeß gelangen 
die Menschen zu einem kommunikativen Verhalten 
und öffnen sich auf das Sein, das als Mitsein mit 
anderen verstanden wird, als Engagement. 
Mouniers Personalismus hat das Verdienst, in ei- 
ner konfliktreichen historischen Stunde gegen den 
Materialismus, wie auch gegen Szientismus und 
Technokratie, für eine spirituelle, personale Auffas 
sung vom Menschen eingetreten zu sein, die zur 
Entfaltung der geistigen Tätigkeiten führen will. 
Doch sind auch die Nachteile deutlich: Das perso- 
nale Sein und Wesen des Menschen löst sich in 
geistige Aktivitäten auf. Der Geist erlangt nicht 
mehr seine Stellung als substantielles Wesens- 



prinzip des Menschen, die er einmal in der traditio- 
nellen (aristotelisch-thomasischen) Auffassung in- 
negehabt hat. Das Personsein verkürzt sich aktivi- 
stisch auf die personalen Akte (die traditionell ge- 
sprochen zweite Akte sind) und verliert das sub- 
stantielle Sein (den ersten Akt)^ Substantiell ist 
der Mensch nur noch in seiner Leiblichkeit^ 
Die Auffassung von der Selbstkreation der Person 
bedeutet, daß diese sich vor ihren personalen Ak- 
ten noch nicht selbst gegeben ist, was aber unse- 
rer Selbsterfahrung widerspricht. 
Mit der Aufhebung der Substantialität des Mensch- 
bzw. Personseins werden auch die klassischen 
Definitionen vom Menschen als «rationalem Lebe- 
wesen» und von der Person «als individueller Sub- 
stanz von rationaler Natur» verworfen. Die Be- 
schreibung jedoch, die Mounier selbst von der 
Person gibt, ist in sich zirkulär; denn die Person ist 
hiernach nur im Prozeß der Personalisierung, die 
aber doch schon voraussetzen muß, daß und was 
eine Person sei. 

II) Ein ethisches Problem 

Mit dem dargelegten anthropologischen Problem, 
d.h. mit dem Verlust des Geistes als Substanz, 
hängt ein ethisches zusammen. Seit Kants Kritik 
der praktischen Vernunft scheint das sittliche Gute 
nicht mehr a priori bestimmbar, d.h. von vornherein 
durch Vernunft einsichtig zu sein, sondern nur 
noch a posteriori empirisch immer wieder neu aus 
den Handlungserfolgen festgestellt zu werden. A 
priori einsichtig und normativ verbindlich ist bei 
Kant nur der sog. kategorische Imperativ: «Handle 
so, daß die Maxime deines Willens jederzeit 
zugleich als Prinzip einer allgemeinen Gesetzge- 
bung gelten könne»'". Der Imperativ stellt zwar 
richtig die Allgemeinheit und Vernünftigkeit jedes 
sittlichen Gebotes oder Gesetzes als solchen her- 
aus, ist aber darüber hinaus formalistisch, weil er 
sich auf kein sittliches Gutes bezieht, noch auch 
dieses definiert. Stattdessen tritt das Gute und 
Schlechte erst als Ergebnis von Handlungen, als 
Qualität an ihnen auf, je nachdem ob sie gemäß 
oder nicht gemäß dem Imperativ erfolgt sind ' . Die 
formalistische und die empiristische Seite von 
Kants Ethik haben sich bis in die Gegenwart fort- 
gesetzt in zwei gegensätzlichen Richtungen, dem 
sog. Deontologismus und Teleologismus. Beiden 
ist es nicht möglich, a priori zu bestimmen, was 
das sittliche Gute ist. Für den Teleologismus und 
alle Arten von Utilitarismus oder Pragmatismus ist 
es immer neu aus den Handlungserfolgen zu er- 
mitteln. Der Deontologismus dagegen läßt das 
Gute von dem formal(istisch)en Sollensgebot ab- 
hängen: Wann immer sich jemand bewußt ist, eine 
Handlung tun zu sollen, muß sie ethisch als gut 
beurteilt werden. Dabei bleibt bis heute das be- 
kannte Problem offen, welches das Kriterium dafür 
ist, daß eine Handlung gesollt werde. 
In der Tradition ist das Gute das Kriterium für das 
Sollen: Dadurch daß eine Handlung als sittlich gut 
erkannt wird, soll sie auch getan werden. Das sittli- 
che Gute macht hier nicht nur eine Oualität des 
Handelns aus, sondern auch des menschlichen 
Seins/Lebens und hat eine natürliche Vorausset- 
zung in jenem Guten, das in der Geistnatur des 
Menschen liegt. Wenn sich moderne Ethiken auf 
Handlungstheorien beschränken und das sittliche 
Gute, als normatives Kriterium des Handelns, nicht 



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mehr im Blick liaben, so deslialb, weil auch die 
Sicht auf die Geistnatur des Menschen verloren 
gegangen ist und das Selbstverständnis des Gei- 
stes, daß er zum Wesen oder zur Natur des Men- 
schen gehört. 

III) Rückbesinnung auf das Selbst- 
verständnis des Geistes in der Tra- 
dition 

Der kleine Durchblick durch moderne Menschen- 
Auffassungen dürfte schon gezeigt haben, wie 
problematisch in ihnen der menschliche Geist sich 
selber geworden ist, ferner auch das sittliche Gute. 
Daher lohnt es sich, wieder in die Tradition zurück- 
zugehen, die vor allem von Piaton, Aristoteles, 
Stoa, Neuplatonismus, Kirchenvätern und mit- 
telalterlicher Scholastik ausgebildet worden ist, 
aber sich in mancherlei Brechungen bei Denkern 
der Neuzeit und Gegenwart fortentwickelt hat, und 
sich zu fragen, welches Selbstverständnis des 
Geistes sie hat. 

1) Geistnatur und Person 

Beginnen wir mit der klassischen Definition des 
Menschen als «vernunftbegabten Lebewesens», 
die sich aus der Betrachtung seiner konstitutiven 
Ursachen ergibt; denn die Definition geht auf das 
Wesen des jeweiligen Gegenstandes, und das 
Wesen ist das Gesamt der Ursachen, die seine Art 
(Spezies) konstituieren. Beim Menschen sind diese 
Ursachen der Leib und die Seele, sowie in der 
Seele, der Lebensursache, drei konstitutive Le- 
bensprinzipien: das vegetative, das sensitive und 
das intellektive. Das letztgenannte Prinzip ist das 
höchste und daher artbildende. Dies bringt die 
Defintion durch die spezifische Differenz «ver- 
nunft-begabt» zum Ausdruck, wodurch sich der 
Mensch vor allen übrigen Lebewesen auszeichnet. 
Zugrunde liegt ein Selbstverständnis des Geistes 
von seiner Überlegenheit über den Leib und den 
Trieb, das die Tradition philosophisch zuerst in der 
Ethik artikuliert hat, worauf wir sogleich näher ein- 
gehen werden. 

Die Definition der Person (erstmals von Boethius 
aufgestellt^^), wonach sie «individuelle Substanz 
von vernünftiger Natur» ist, setzt die Definition des 
Menschen voraus und schließt sie ein, betrachtet 
nun aber den Menschen nicht mehr als Vertreter 
einer Spezies, sondern als Individuum. In der Tat 
ist die Person nichts anderes als der individuelle 
Mensch, in welchem sich, als Person betrachtet, 
die Vernunftnatur als Form-/Lebensursache bis in 
die konkrete Existenz hinein auswirkt. 
Die klassische Person-Definition ist heute einer 
Kritik ausgesetzt, die das Wesen der Person auf 
die Individualität verkürzt. Sie sieht in der «ver- 
nünftigen Natur» nur eine vage allgemeine Mög- 
lichkeit des Menschseins, die sich von der kon- 
kreten individuellen Existenz entfernt. Doch liegt 
hier ein Mißverständnis vor, welches letztlich das 
Verhältnis zwischem dem Allgemeinen und dem 
Einzelnen betrifft (das sog. Universalienproblem). 
Wenn auch die Ausdrücke in der Definition allge- 
meine sind: das «Vernunftbegabte», wie auch das 
«Lebewesen», und das Allgemeine als Abstraktes 
zum Einzelnem als Konkretem in Gegensatz steht, 
so entfernt es sich doch nicht vom Einzelnen; denn 



das definitorisch Allgemeine bezieht sich gerade 
auf das Wesentliche in den ein-zelnen Individuen, 
das ihnen immanent gemeinsam ist. Die 
spezifische Differenz «vernunftbegabt» bezeichnet 
die Vernunft in jedem individu-ellen Menschen als 
zu seinem Wesen gehöriges Lebensprinzip, das 
für ihn artbildend ist, d.h. das Menschsein 
bestimmt. Die Vernunft wirkt sich durch ihre 
Intentionen und Entscheidungen bis ins konkrete 
Leben und Handeln hinein aus und verleiht ihm 
den Charakter des spezifisch Menschlichen. 

2) Natürliches Sittengesetz und Gewissen 

Aus der Ordnung im Menschen mit der Vorrang- 
stellung des Geistes erwächst diesem die sittliche 
Aufgabe, sie auch durchzusetzen, d.h. ihr gemäß 
das menschliche Handeln und Leben zu gestalten 
und in Tugenden zu vollenden, um so das Gute zu 
verwirklichen. 

Das natürliche Sittengesetz ist der Weg zum sittli- 
chen Guten'\ gemäß jener Wesensordnung, mit 
der Herrschaft des Geistes im Menschen zu leben, 
der eine natürliche Ausrichtung auf Gott hat. (Die 
Zehn Gebote sind Lebensgesetze des Menschen. 
Wo sie nicht befolgt werden, richtet sich das men- 
schliche Leben zugrunde.) 

Das Sittengesetz steht nicht im Gegensatz zum 
menschlichen Geist und dessen Entscheidungs- 
freiheit zum Handeln, da dieser in das Gute, zu 
dem das Sittengesetz anleitet, eingeschlossen ist. 
Es ist sein Gesetz, ohne daß der Geist es sich 
selbst erschüfe; denn es ist ihm mit seiner Herr- 
scherstellung vorgegeben, in der er auch sich 
selbst gegeben ist *. 

Nach traditioneller Auffassung liegt in der Wesens- 
natur des Menschen schon eine natürliche Anlage 
zum sittlich Guten, ein erster «Keim» (nach stoi- 
schem Ausdruck) oder «Anfang», «Prinzip» zu 
natürlicher Sittlichkeit, «natürlichen Tugenden». In 
der Tat ist die Sinnlichkeit dazu angelegt, um des 
Geistes willen tätig zu sein (z.B. die Sinneswahr- 
nehmungen um der geistigen Erkenntnisse willen), 
der Geist hingegen dazu, um seiner selbst willen 
tätig zu sein, die Sinnlichkeit zu überformen und in 
seinen Dienst zu nehmen. 

Wenn Ethiktheorien heute nicht mehr wissen, was 
das sittliche Gute ist, obwohl es doch mit der 
Geistnatur des Menschen zusammenhängt, so 
enthüllt sich hier eine Selbstentfremdung des Gei- 
stes. 

Das Gewissen ist seiner eigentlichen Bedeutung 
nach, - die Thomas v. Aqu., der Tradition folgend, 
besonders klar herausgestellt hat'* -, das prakti- 
sche Mitwissen oder Bewußtsein vom sittlichen 
Guten, wie auch von dessen Fehlform, dem Bö- 
sen, in einem allgemeinen, prinzipiellen Sinne, das 
schon in der natürlichen Sittlichkeit im Wesen des 
Menschen angelegt ist und sich hin zu einem 
guten Leben, nach den Tugenden der Gerechtig- 
keit, Selbstbeherrschung, Weisheit usw. vollenden 
soll. Das Gewissen ist sodann, über dieses natürli- 
che Wissen vom Guten hinaus, auch die Urteils- 
kraft, die allgemeinen Prinzipien des Guten auf das 
konkrete Handeln und Leben anzuwenden. Dazu 
bedarf es der Bildung und Unterweisung, und es 
kann zu Fehlformen und Irrtum kommen. 
Die traditionelle Ethik will zur Schärfung des Ge- 
wissens beitragen, nimmt aber auch selber bei der 
Bestimmung des Guten, bzw. der Tugenden, das 



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s 



Gewissen guter Menschen zur Richtschnur,, in 
denen das Gute maximal verwirl^licht ist, und deren 
Gewissen bezeugt (wie schon Aristoteles be- 
merkt), daß das tugendvolle Leben das erstre- 
benswerteste, beste und freudvollste ist, in innerer 
Übereinstimmung und Frieden. Diese Lehre geht 
von der Erfahrung gelebter Tugenden aus, nicht 
von bloß gedachten Idealen. 
Wenn der Geist seiner Aufgabe, den Trieb zu be- 
herrschen, nicht nachkommt, gerät er unter einen 
ungeordneten Einfluß des ungehemmten Triebes, 
was zu seelischen Konflikten führt und vom Ge- 
wissen als sittlich schlecht beurteilt wird. 
Wenige Begriffe sind heute in der Ethik so unklar 
wie der des Gewissens. Man sucht es entweder 
als moralisches Gefühl oder als Sollensbewußtsein 
zu bestimmen oder als existentielle Entschei- 
dungsinstanz oder als Produkt von Erziehung und 
Anpassung oder als Ort sozialer Konflikte, wäh- 
rend es doch das Wissen vom sittlichen Guten und 
damit auch von der Vernunft selbst ist, sofern in 
dieses eingeschlossen. Jene genannten Bestim- 
mungen hingegen halten sich an der Peripherie 
der Vernunft oder des Geistes und zeigen Flucht- 
bewegungen von ihm weg, eine Selbstentfrem- 
dung des Geistes an^®. 

3) Das sittliche Gute als Wirklichkeit 
im Menschen: Tugenden und 
Geistesherrschaft 

Das Leben und Handeln des Einzelnen steht in 
verschiedenen Bezügen zu sich, zum Nächsten 
und zu Gott und hat Aufgaben zu erfüllen, die zur 
Gemeinschaft mit den anderen und mit Gott bei- 
tragen. Der Sinn des Ganzen bleibt uns verborgen, 
wenn nicht erhellt durch Gottes Offenbarung. Die 
Ethik befaßt sich mit der sittlichen Gutheit als einer 
gewissen Oualität des Handelns und Lebens, wo- 
bei sie sich auf die schon in den Menschen vor- 
handene Sittlichkeit und das damit verbundene Be- 
wußtsein, das Gewissen, bezieht, um sie näher zu 
untersuchen und ihre Prinzipien abzuklären. 
In der traditionellen Ethik wird seit Aristoteles das 
sittliche Gute (Tccv^pw^nvov dya^ov) als eine 
seelische Wirklichkeit (evcpycia ^i/iJ^^iC) im Men- 
schen bestimmt' ^ gemäß ihrem besten Vermö- 
gen, der Vernunft. Sie entfaltet sich, in gewissen 
Tugenden, «Bestformen» (dpexai), Haltungen der 
Seele, unter der Herrschaft des Geistes, d.h. des 
Willens und der Vernunft. In ihnen kommen alle 
Kräfte des Menschen, die leiblichen und seeli- 
schen, die sinnlichen, affektiven und geistigen, zur 
Wirksamkeit und möglicherweise zur Vollendung, 
wenn sie vom Geist geführt werden, worin das 
Kriterium der Sittlichkeit liegt. Die Tugenden sind 
erworbene seelische, entscheidungsfähige Haltun- 
gen auf den verschiedenen Lebensgebieten - so 
z.B. die Tapferkeit auf dem des Gefahrvollen, die 
Gerechtigkeit auf dem der zu verteilenden Güter, 
die Frömmigkeit auf dem religiösen Gebiet -, wobei 
das Sinnliche und Affektive durch gute Gewöh- 
nung, unter der Leitung der Vernunft so geformt 
sind, daß sie die Vernunft bzw. den Geist nicht 
behindern, sondern wirksam unterstützen bei der 
Erfüllung seiner Aufgaben. Die ganze Ethik dreht 
sich, wie schon Piaton und Aristoteles feststellen, 
um die Bildung der Affekte, so daß wir Freude an 
dem haben, was die Vernunft als sittlich gut er- 



kennt, und Schmerz an dem, was sie als schlecht 
beurteilt, nicht jedoch umgekehrt. 
Zur Erfüllung ihrer Aufgaben in dieser Welt muß 
die Vernunft Sachkenntnisse erwerben, aber auch 
Weisheit, in der sie am besten, wie wir Christen 
wissen, durch. Gottes Offenbarung unterwiesen 
wird: alles im individuellen und gemeinschaftlichen 
Leben letztlich auf Weniges oder das Eine, das not 
tut, zu beziehen, auf die Bestimmung des men- 
schlichen Geistes und seine Gemeinschaft mit 
Gott. Was nützt es dem Menschen, wenn er die 
ganze Welt gewönne, aber dabei Schaden an sei- 
ner Seele nähme... Die Ethik kann dies nur bestä- 
tigen und die Weisheit als höchste Tugend aner- 
kennen. Diese wird traditionell in den «theo- 
retischen» (kontemplativen), d.h. betrachtenden 
Tätigkeiten der Geistseele gesehen, die (im Ge- 
gensatz zu den praktischen) ihren Zweck in sich 
selbst haben, worin sich wiederum der Geist als 
Selbstzweck offenbart. Zu ihnen gehören nicht nur 
die theoretischen Wissenschaften, sondern auch 
die religiösen und künstlerischen, die sich auf uni- 
versale Prinzipien der Wirklichkeit richten, letztlich 
auf den menschlichen Geist, seine Wirksamkeit in 
dieser Welt und seine ewige Bestimmung bei Gott. 
Die traditionelle Ethik hat, wie schon angedeutet, 
anthropologische und metaphysische Vorausset- 
zungen: Die anthropologische wurde oben schon 
angegeben. Die metaphysische ist die, daß der 
Geist, mit Vernunft und Willen, eine natürliche Aus- 
richtung auf das absolute Gute hat, religiös ge- 
sprochen: auf Gott". 

4) Das Selbstverständnis 
des Geistes 

Nach dem Dargelegten läßt sich nun auch näher 
bestimmen, welches Selbstverständnis des Gei- 
stes in der traditionellen Ethik beschlossen liegt. 

a) Beisichsein, Selbstidentität 

Als Erstes erweist sich, daß der Geist des Men- 
schen sich unmittelbar seiner selbst bewußt ist, 
d.h. bei sich selber ist. Wir hatten schon erwähnt, 
daß er im Gewissen ein Mitwissen von Gutheit und 
Schlechtheit seines eigenen Handelns hat. Dem 
Gewissen als Bewußtsein im praktischen Bereich, 
entspricht das Bewußtsein von Seiendem oder 
Realem überhaupt im theoretischen Bereich, mit 
dem uns das Reale, die Objekte, wie auch wir, die 
Subjekte, gegeben ist, ohne vermittelnde Reflexion 
des Ich-denke, die auf die Subjekt-Objekt-Bezie- 
hung reflektiert, oder auf die Geschichtlichkeit und 
Existentialität des eigenen Daseins oder auf die 
Sprachgestalt seines eigenen Denkens. 
Im unmittelbaren Beisischsein des Geistes hat der 
Mensch seine bleibende Selbstidentität, Einheit 
und Innerlichkeit, die durch kein soziales Mitsein 
ersetzt werden kann, sondern vielmehr in diesem 
vorausgesetzt werden muß. Der eine kann in die 
Beziehung zum anderen nur etwas einbringen, 
wenn jeder der beiden seine Innerlichkeit hat. Das 
Beisichsein ist die Voraussetzung der Selbstfin- 
dung und der Gemeinschaft mit den anderen, 
wenn auch in der Entwicklung des Einzelnen die 
Gemeinschaft notwendige Vorbedingung ist. 
Wenn man das Menschsein von vornherein als 
Mitsein und das Gewissen (mit falscher Etymologie 



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von con-scientia) als kollektives «Mitwissen mit 
anderen» versteht, dann wird die Einheit des Men- 
schen zum Problem. B. Häring bezeichnet das so 
verstandene Gewissen als den «Schrei nach 
Ganzheit»^^. Darin drückt sich doch wohl die seeli- 
sche Not des exzentrisch in sozialen Aktionen auf- 
gehenden Menschen aus, mit dem Verlust der 
Einheit und Innerlichkeit des Menschen, die tradi- 
tionell gerade das Gewissen gewährt. 
Der Auflösung des personalen Seins in Mitsein und 
soziale Beziehungen liegt, philosophisch gesehen, 
ein Strukturalismus und Phänomenismus zu- 
grunde, der das Reale auf Phänomene verkürzt 
und die Substanz in Strukturen, Relationen perso- 
naler Aktivitäten auflöst. Als wohl schwer vermeid- 
bare Folge ergibt sich dann übrigens, dem Embryo 
das Menschsein abzusprechen, damit auch den 
Status eines schützenswerten Rechtsgutes; denn 
es übt noch keine personalen Aktivitäten aus. 

b) Ubergeschichtlichkeit des Geistes 

Die genannte Selbstidentität des menschlichen 
Geistes hält sich durch alle individuellen und so- 
zialen Wandlungen hindurch, die sich einzelbio- 
graphisch, wie auch gemeinschaftlich, kulturell, po- 
litisch und geschichtlich vollziehen, und darf über- 
geschichtlich genannt werden. Thomas v. Aqu. hat, 
einer schon antiken Tradition folgend, festgestellt, 
daß die Vernunft über der Zeit steht (intellectus est 
supra tempus). Die geschichtliche Dimension des 
menschlichen Daseins in dieser Welt ist zwar 
wichtig, aber sie in den Blick zu nehmen, erfordert 
einen übergeschichtlichen Standpunkt. 
Anmerkung: Wenn auch der Mensch im Gang der 
Evolution paläontologisch und biologisch-morpho- 
logisch Glied einer Entwicklung ist, so konnte doch 
der Geist nicht erst aus einer allmählichen Ent- 
wicklung - etwa aus der Sinnlichkeit - hervorge- 
gangen sein, sondern mußte sogleich ganz gege- 
ben und sich seiner bewußt gewesen sein, in Le- 
bewesen, die sogleich ganz Menschen (die ersten 
Menschen) waren, und konnte davor überhaupt 
noch nicht gegeben sein. Eine allmähliche Ent- 
wicklung des Gegebenseins gibt es nicht: zuerst 
ein wenig, dann immer mehr gegeben zu sein. 
Dasselbe wäre auch vom Bewußtsein zu sagen. 
Wohl gibt es eine allmählich sich entwickelnde 
Selbsterfahrung des Menschen, aber sie setzt 
schon den Geist als gegeben - und im Bewußtsein 
■ sich selbst gegeben - voraus. 

c) Selbstwertbewußtsein und IVIenscIienwürde 

Indem der menschliche Geist sich selbst gegeben 
und bei sich ist, weiß er sich wesentlich und sub- 
stantiell verschieden von Leib und Sinnlichkeit oder 
Trieb, wenn er auch mit ihnen zur Einheit des gan- 
zen Menschen verbunden ist. Er weiß sich Leib 
und Trieb überlegen, frei und fähig, sie führen zu 
können, weiß aber auch von der Aufgabe, sie füh- 
ren zu sollen. Gerade in Erfüllung dieser Aufgabe 
wird er sich seines Wertes und seiner Würde be- 
wußt, die nach christlicher Offenbarung sogar eine 
Ebenbildlichkeit mit Gott, dem allherrscherlichen 
Geist bedeutet. Die Herrschaft über die Natur, wie 
auch die politischen Herrschaftsformen setzen 
letztlich die Herrschaft des Geistes im Menschen 
selbst voraus. 
Schon Piaton bemerkt ironisch gegenüber dem 



Sophisten Kallikles, der für die Herrschaft des un- 
gehemmten Machttriebes eintritt, daß er über an- 
dere herrschen wolle, ohne über sich selbst herr- 
schen zu können. Ebenso bei Piaton ist zu lesen, 
wie der Machtpolitiker Alkibiades gesteht, den Blick 
des rechtschaffenen Sokrates zu fliehen, weil er 
sein Gewissen anklage. Im ungerechten Menschen 
ist der Geist mit sich selbst entzweit und so kann 
er weder mit sich selbst, noch mit den anderen in 
Frieden leben. 

Man beachte, daß der Konflikt zwischen Trieb und 
Geist seinen Ursprung in einem Konflikt des Gei- 
stes mit sich selbst hat, wenn er nämlich der Füh- 
rungsaufgabe nicht nachkommt, sondern sich vom 
Trieb zu zügellosem und ungerechten Tun verlei- 
ten läßt; denn an sich ist der Trieb gut und auf 
Führung durch den Geist angelegt sowie spezifisch 
offen (und in diesem Sinne unbestimmt, wie Piaton 
sagt). Es ist ein Irrtum moderner Psychologie, die 
Triebnatur des Menschen, wie die des Tieres, als 
in sich geschlossen zu verstehen, den Geist zur 
Triebnatur in Gegnerschaft zu sehen und über- 
haupt den Menschen als Konfliktwesen aufzufas- 
sen. Nach traditioneller Auffassung stehen Trieb 
und Geist in harmonischer Zuordnung und verhal- 
ten sich zueinander wie das bestimmbare zum be- 
stimmenden Prinzip. 

Wo sich tugendhaftes Leben und Handeln verwirk- 
licht, und der Geist zur Entfaltung seiner eigenen 
Tätigkeiten, mit Vernunft und Einsicht, kommt, ist 
er sich der Gutheit, Schönheit und der Freude, die 
sie begleitet, bewußt, die durch keine Lust aus 
dem triebhaften Leben und Tun aufgewogen wer- 
den kann. Daher kann von bloßem Triebverzicht 
keine Rede sein. Das Wissen vom Wert der Tu- 
genden im Gewissen ist ein intuitives. Die Tradition 
spricht von der Vernunft als dem «Auge der 
Seele», die das Gute gleichsam schauhaft erfaßt. 
Freilich, ohne Erfahrung im tugendhaften Leben 
und Handeln wird die Vernunft blind für die darin 
liegenden Werte und das Gute. Es bedarf der Er- 
ziehung und Umwandlung vom triebhaften zum 
geistvollen Leben, um dessen ansichtig zu werden. 
Ein aktuelles Thema angesichts des Ergebnisses 
einer Umfrage aus jüngerer Zeit, die bei Jugendli- 
chen einen Schwund des Selbstwertbewußtseins 
festgestellt hat. Piaton hat die Umwendung des 
geistigen Blickes von Scheingütern des triebhaften 
Lebens zum wahren Guten im Höhlengleichnis er- 
läutert. Er bemerkt dort, daß es nicht darum geht, 
der Seele erst ein Auge einzupflanzen, um das 
Gute für ein geistgeführtes Leben zu sehen, son- 
dern nur darum, eine Umwendung (irrpiaYtuyi), 
Revolution) der Blickrichtung des schon 
vorhandenen geistigen Auges, der Vernunft, zu 
erreichen.^" 

d) Selbst- und Nächstenliebe 

Das Bewußtsein der sittlichen Werte und des 
Guten hat der Geist jedes Menschen ebenso bei 
sich wie beim Nächsten. Gerade dadurch kann je- 
der auch im anderen den Menschen und das tu- 
gendhafte Gutsein lieben und schätzen; denn er 
erkennt darin etwas mit dem eigenen Menschsein 
Gemeinsames: Dies drückt auch das bekannte 
Wort des Aristoteles aus, daß der gute Freund ein 
zweites Selbst ist. Ferner liegt darin auch eine 
nicht-egoistische Selbstliebe begründet; denn was 
ich am anderen in seinem Menschsein und Gut- 



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sein liebe, das liebe ich auch in mir und darf da- 
durch teilnehmen an der Liebe Gottes, mit welcher 
Erden anderen und mich geschaffen hat. Daher ist 
diese Selbstliebe auch im Liebesgebot vorausge- 
setzt: Liebe den Nächsten wie dich selbst! 

e) Religiöses Bewußtsein von Gott, Sinnerfül- 
lung und Glückseligkeit 

Im Bewußtsein, mit dem der Geist sich selbst ge- 
geben ist, hat er implizit auch schon ein Wissen 
von Gott als seinem Schöpfer. 
Thomas sagt sehr schön \ daß die Seele immer 
sich selbst und Gott gegenwärtig habe, schon im 
schlichten Grundakt der Vernunft, den sie immer 
tätigt, modern gesprochen: im Bewußtsein: anima 
semper sibi praesens est et Deus. 
Man darf dieses das religiöse Bewußtsein nennen, 
im Unterschied zum profanen Realitätsbewußtsein, 
da ihm primär eine religiöse, nicht eine Erkenntnis- 
haltung zugrunde liegt. Für die Erkenntnis wird je- 
nes Wissen erst in der Metaphysik expliziert, in 
Beweisgängen, die zur transzendenten, ersten Ur- 
sache führen. Diese läßt sich dann mit Gott gleich- 
setzen. Dagegen weiß sich im religiösen Bewußt- 
sein der Menschengeist unmittelbar vor Gottes 
Angesicht. Und darin wird auch schon etwas von 
unendlicher Erfüllung und Glückseligkeit vorweg- 
genommen und geahnt. 

IV) Abschließende erkenntnistheore- 
tische und metaphysisch- anthro- 
pologische Bestimmung des Gei- 
stes 

Aus dem soweit dargelegten traditionellen Selbst- 
verständnis des Geistes lassen sich abschließend 
folgende Wesensbestimmungen des Geistes ge- 
winnen. 

1) Der Geist bestimmt sich wohl zuvörderst als 
dasjenige Seiende, das Bewußtsein hat, womit ihm 
das Sein der Objekte, wie auch das des Subjekts, 
das Menschsein selbst, einschließlich des geisti- 
gen Seins, bewußt ist. 

Alle Seinsaspekte der Dinge sind intelligibel, auch 
schon ihr schlichtes Dasein; denn es bedeutet ihre 
Gegenwart vor dem Menschengeist und eine Aus- 
wirkung des göttlichen Schöpfergeistes. Daher die 
Freude, mit welcher der Menschengeist das Da- 
sein aller Dinge und auch seiner selbst genießt. 
Es ist ein Irrtum, das Dasein der Dinge auf die 
Seite des Sinnlichen zu bringen, oder, wie im Exi- 
stentialismus, zu einem bloßen Zuhandensein zu 
degradieren, und das menschliche Dasein zu einer 
Sache existentialer Gefühle, Gestimmtheiten, der 
Angstund Lebenssorge zu machen. 

Anmerkung: Man darf den Tieren zwar sinnliche 
Kenntnisse, aber kein Bewußtsein zuschreiben, 
weil dieses immer ein Akt der Vernunft ist, des gei- 
stigen Blickes, vor dem die Dinge als «Gegenstän- 
de» stehen. Das Tier ist mit Instinktmechanismen 
in Umwelt eingebunden, ohne ihnen frei gegen- 
überzustehen. Nur der Mensch hat diese Freiheit 
und Distanz zu den Dingen, was sich dann auch in 
der Namengebung und Sprache ausdrückt. 
Bewußtsein ist kein Erkenntnisakt, sondern jene 



Weise der Intensität, mit der die menschlichen Er- 
kenntnisse bei sich selber sind und von sich wis- 
sen. 

Die primäre Form des Bewußtseins ist nicht die 
des Ich-Bewußtseins, sondern die des Bewußt- 
seins von Sein überhaupt, sowohl der Objekte, als 
auch des Subjekts/des Ichs, je nachdem, ob es 
Objekt- oder Subjekt-ZSelbsterkenntnisse begleitet. 
Das Ich-denke ist kein Bewußtsein, sondern eine 
Form der SelbsterkenntnisZ-reflexion. Dies sei ge- 
gen Descartes' und Kants Bewußtseinsbegriff fest- 
gestellt. Was aber Descartes' universalen Zweifel 
betrifft, so erweist sich durch ihn zwar evident, daß 
ich bin (wie auch schon Augustinus- argumentiert 
hat), aber fälschlich wird das so evident erwiesene 
Sein des Ich-Subjekts mit dem Bewußtsein, und 
dies mit dem Ich-denke, gleichgesetzt. In Wahrheit 
jedoch ist das Sein des Ich-Subjekts mehr als nur 
Bewußtsein (Thomas: esse hominis est plus quam 
intelligere), es ist substantielles Sein, und das ihm 
entsprechende Bewußtsein ist das von Sein. Das 
Subjekt ist sich ursprünglicher als seiend bewußt, 
als es sich als denkendes Ich bewußt wird. 
2)ln der Tradition wird der Geist auch als «das Ver- 
mögen der Prinzipien» (voii^ eotiv tS>v dp%S>v, 
intellectus est principiorum) bestimmt^^ nämlich in 
Vernunfterkenntnis und Willensstreben (der Liebe), 
im Gegensatz zu Sinneserkenntnis und Trieb, die 
auf das Sinnliche gerichtet sind. Vernunft und Wille 
dagegen sind auf das Intelligible gerichtet, das in 
und über den Sinnesdingen liegt, auf die dem Intel- 
lekt eigenen Gegenstände, die sich als Prinzipien 
und Ursachen zu allem sinnlich Erfahrbaren ver- 
halten. 

Alle Vernunfterkenntnis ist allgemein (universal) 
und abstrakt, weil vom Materiellen, Sinnlichen ab- 
sehend, aber deshalb nicht leer, weil auf Prinzipien 
in und über den Sinnesdingen bezogen (vor allem 
auf die Form- und Zweckursachen, wie in den Le- 
bewesen die seelischen Prinzipien). Aristoteles 
und Thomas v. Aqu. haben gerade aus der 
Abstraktheit der Vernunfterkenntnis auf die imma- 
terielle Natur der Vernunft geschlossen. 
Die Verachtung, die heute häufig gegen die ab- 
strakte, allgemeine Erkenntnis der traditionellen 
Philosophie geäußert wird, beruht auf einem Empi- 
rismus und Phänomenismus, der die Wirklichkeit 
auf die Phänomene verkürzt, die Dinge ihrer ur- 
sächlichen Tiefendimension, ihrer intelligiblen Prin- 
zipien beraubt und damit der Vernunft gerade die 
ihr eigentümlichen Gegenstände abspricht, worin 
sich wieder eine Selbstverfremdung der Vernunft 
anzeigt; denn solches Absprechen geschieht ja im 
Namen der Vernunft. 

3) Schließlich läßt sich der Geist als oberstes Le- 
bensprinzip im Menschen definieren, der sich sei- 
ner Vorrangstellung und seines substantiellen Ei- 
genseins über Trieb und Leib bewußt ist. 
W. Wundt, der Begründer der empirischen Psy- 
chologie, hat freilich die traditionelle Lehre von der 
menschlichen Seele als Substanz abgelehnt und 
aus der Psychologie eliminiert, weil sie der Subjek- 
tivität des Seelischen abträglich sei und zu seiner 
falschen Objektivierung und Verdinglichung führe. 
Doch wohl zu Unrecht; denn Sein, Substanz, Ur- 
sache und alle ontologischen Bestimmungen des 
Seienden sind transzendentale Begriffe, die glei- 
cherweise Objekte und Subjekte umfassen. Um- 
gekehrt weist die Rede vom substantiellen Sein 
der menschlichen Seele und ihrer Teilprinzipien, 



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der Sinnlichkeit und des Geistes, darauf hin, daß 
die psychische Realität sich nicht in empirisch be- 
obachtbaren Phänomenen erschöpft, sondern 
auch, ja noch mehr, den Geist als das oberste 
seelische Prinzip einschließt. Die Personmitte liegt 
nicht in der Anima unterhalb des Geistes, sondern 
in ihm selbst. 

Auf dieses metaphysisch anthropologische Fun- 
dament stützt sich auch die traditionelle Ethik, wie 
oben dargelegt, mit ihrer Lehre vom sittlichen 
Guten und der aus ihm herfließenden normativen 
Kraft. 

Literatur: 



von E. Coreth, P. Ehien, G. Haeffner, Fr. Ricken, in der 
Reihe Urban-TB (Kohlhammer), Stuttgart 1986. 
Zu diesem Thema vgl. meinen Aufsatz: Zur formalen 
Begründung der Sittlichkeit aus dem Guten, dem Objel<t 
des Willens. Auflösung eines Dilemmas zwischen empi- 
ristischer und transzendentalistischer Ethik, in: Prinzip 
und Applikation in der praktischen Philosophie (Akten d. 
Engeren Kreises d. Allg. Ges. f. Philos. i. Dtschld., 
Mainz 1990, hrsg. v. Th. Seebohm [= Akad. Wiss. u. 
Liter. 8, Mainz, 1990]), Stuttgart 1991, 169-187. 
M. Scheler, Die Stellung des Menschen im Kosmos, 
Bonn 11 1988, 37 ff, 
a.a.O., 57 ff. 

A. Gehlen, Der Mensch, Frankfurt/M. '"1974, 31 ff. 
M. Heidegger, Über den Humanismus, Brief an J. 
Beaufret von 1947, als gesonderte Schrift veröffentlicht 
bei Klostermann, Frankft./M. 1949. 
Le personalisme, Paris 1 964. 

Übrigens wäre es bei der personalistischen Verkürzung 
des menschlichen Seins und Wesens auf die geistigen 
Akte oder Handlungen nicht mehr möglich, die Erhal- 
tung des Seins/Lebens des menschlichen Embryos 
ethisch zu rechtfertigen und den Embryo juridisch als 
Rechtsgut zu schützen, da er ja noch keine geistigen 



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Akte vollzielit. 

Ohne sie würde sich das Ich im bloßen Denken des 
Denkens verflüchtigen. Der Leib «wirft» die Person 
«nach außen», er ist «die Grundlage jeder Bewußt- 
seinsform und jedes spirituellen Lebens» (36-37), 
Kritik d. prakt. Vern., Erster Teil, I. Buch, 1. Hptst. §7. 
a.a.O., 2. Hptst. 

MS. Boethius, Contra hutychen et Nestorium, cap. 2. 
Thomas, Summa theol. I-Il, qu. 90, definiert das Sitten- 
gesetz als regula et mensura actuum, als dictamen ra- 
tionis und als ordo adbonum commune. 
Auf dieses Thema geht näher meine Untersuchung ein: 
Sittengesetz und Freiheit, in: Schriftenreihe d. Gustav- 
Siewerth-Akademie, Bd.7, Weilheim 1993. 
Summa theol .\, qu. 79, art. 12-13. 
Siehe z.B. den Sammelband Das Gewissen in der Dis- 
kussion, hrsg. von J. Blühdorn, in: Wege der For- 
schung, Bd. 37, Darmstadt 1976, auf deren Beiträge 
mein Artikel eingeht: Problem! attuali intorno alla giusti- 
ficazione della coscienza morale, in: Crisi e risveglio 
della coscienza morale nel nostro tempo, ed. A. Lobato, 
Bologna 1989, 81-110. 

Aristoteles, Ethica Nicomachea, Buch I, Kap. 6. Vgl. 
meinen Artikel: Das sittliche Gute (Glückseligkeit) nach 
Aristoteles. Formale Bestimmung und metaphysische 
Voraussetzung, in: Philos. Jahrb. (1975) 82, 31-53. 
Thomas v. Aquin, Summa theol. I-Il, qu. 1 ff., bestimmt 
den letzten Zweck des menschlichen Lebens, das sittli- 
che Gute, unter dem zweifachen Aspekt, dem ehtischen 
und dem metaphysischen, als Glückseligkeit (beatitudo) 
und Gott (Deus). 

B. Häring, Frei in Christus, Bd. I, 6. Kap., Freiburg i.Br, 
1979/1989. 
Piaton, Respublica, Buch VII Anfang. Vgl. zu diesem 
Thema meinen Artikel: Zur Natürlichkeit des menschli- 
chen Geistes bei Piaton, in: Communicatio Fidel 
(Festschr. Biser), Regensburg 1983,305-311. 
in Sentent., I dist.3, qu.4, art. 5. 

Der Ouellentext ist Aristoteles, Analytica poster. II 19. 
Vgl. meinen Kommentar in: Aristoteles' Zweite Analyti- 
ken, mit Einleitung Übersetzung und Kommentar, Am- 
sterdam-Würzburg, 1984, M987 (Elementa-Texte 
Bd.1). 



Buchhinweis: 

Kongreßband zum Kongreß: Mut zur Ethik 

Eine Besinnung auf gesellschaftliche Grundnor- 
men und moralische Grundhaltungen im Indivi- 
duum 

Kongress vom 24. bis 26. September 1993 in Bre- 
genz 

15 Jahre nach der Tagung «Mut zur Erziehung» 
fand in Bregenz der Kongress «Mut zur Ethik» 
statt. Insgesamt zwölf Organisationen aus fünf 
verschiedenen Ländern hatten dazu aufgerufen, 
Perspektiven einer allgemeinen Ethik zu entwik- 
keln, die Grundlage für ein friedliches Zusammen- 
leben in einer demokratischen Gesellschaftsord- 
nung sein könnten. Drei Tage lang suchten 64 
hochangesehene Wissenschaftler und Experten 
verschiedener Disziplinen sowie Vertreter der 
christlichen Kirchen im gemeinsamen Gespräch 
nach Auswegen aus der derzeitigen Wertekrise 
unserer Kultur. Unter dem Ehrenvorsitz von Frau 
Professor Alma von Stockhausen, Professor Gün- 
ter Rohrmoser, Gerhard Löwenthal, Professor 
Anatolij Frenkin und Frau Professor Nora Volkow 
wurde das Kongressthema «Besinnung auf gesell- 
schaftliche Grundnormen und moralische Grund- 
haltungen im Individuum» in Referaten und Ex- 



pertengesprächen ausgelotet. 
Unter dem Titel «Ja zur Ethik - Nein zum Nihilis- 
mus» verabschiedeten weit über 1000 Teilnehmer 
des Kongresses zehn Thesen, in denen zu so- 
zialethischen Grundfragen des menschlichen Zu- 
sammenlebens Stellung genommen wird auf der 
Basis der «universal gültigen (<self evident>) 
Grundwerte des christlichen Abendlandes, wie sie 
in den Verfassungen der europäischen Staaten 
verankert sind». 

Es war wohl der herausragendste Eindruck, den 
dieser Kongress hinterliess, daß sich zahlreiche 
Persönlichkeiten unterschiedlichster Provenienz an 
einen Tisch gesetzt haben, um in vielschichtiger 
Kooperation grundlegende Wertfragen zu durch- 
denken und einen für den Bestand des sozialen 
Lebens tragfähigen ethischen Konsens zu errei- 
chen. Die Tatsache, dass in unserer Gesellschaft 
vieles im argen liegt, hat es notwendig gemacht, 
Toleranz zu beweisen und Brücken zu bauen. Die 
Beteiligten unterstützten die Auffassung, in den 
gemeinsamen Anliegen zu kooperieren, in den 
Unterschieden aber sich gegenseitig leben zu las- 
sen. 

Der Kongressband enthält die Vorträge und Dis- 
kussionsbeiträge der 64 Wissenschaftler und Ex- 
perten. 



Preis siehe Medienliste 



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MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



Prof. Dr. Günter Rohrmoser 

Universität Stuttgart - Hohenheim 

Christliche Aufklärung 

Eine Strategie geistiger Erneuerung^ 

Vortrag auf der Bundesversammlung der CDL am 
6. November 93. Nachdrucl< mit freundlicher Ge- 
nehmigung des Verfassers und der Gesellschaft 
für Kulturwissenschaft e.V., Bietigheim, Baden 

Es tut von Herzen gut, wenn auch nicht von der 
CDU, so doch von einem Verband der CDU so 
herzlich willkommen geheißen zu werden, wie Sie, 
Herr Vorsitzender, dies eben getan haben. Ich bin 
heute auf Bitten der Gräfin von Westphalen und 
von Frau Schätzte gekommen. Der Einsatz dieser 
beiden Frauen, mit dem sie gegen die inneren und 
äußeren Feinde Ihres gemeinsamen Anliegens ge- 
kämpft haben, verdient große Anerkennung. Sie 
haben recht, Herr Vorsitzender, daß die Vereini- 
gung "Christdemokraten für das Leben", daß aber 
auch die CDU, die Bundesrepublik Deutschland, 
der Rechtsstaat, die Demokratie sich nicht nur in 
einer Krise befinden, sondern jetzt innerhalb dieser 
Krise den bekannten Punkt der Entscheidung er- 
reicht haben. Wie Sie wissen, gibt es in jedem 
Krankheitsverlauf einen Punkt, an dem sich ent- 
scheidet, ob der Weg zur Gesundung oder zum 
Exitus führt. Wir haben heute in der zweiten deut- 
schen Demokratie diesen Punkt erreicht. Wenn wir 
diese Lage verstehen und verdeutlichen wollen, ist 
der Ausgang des Kampfes um die Verhinderung 
einer Fristenlösung im Abtreibungsrecht von 
größter repräsentativer und symbolischer Bedeu- 
tung. 

Das traurige Fazit lautet, daß Sie mit diesem 
Kampf in der CDU selber gescheitert sind. Frau 
Würfel hat im Zusammenhang mit dem Entwurf, 
den die Fraktionen von FDP und CDU gemeinsam 
im Bundestag vorlegen wollten, erklärt, nun hätten 
wir in der deutschen Geschichte den bedeutungs- 
vollen Zeitpunkt erreicht, an dem zum erstenmal 
die Frau eigenständig, eigenverantwortlich über 
Leben und Tod ihres ungeborenen Kindes - sie hat 
natürlich eine etwas andere Formulierung gewählt 
- entscheiden dürfe. Sie verkündete das mit den 
Zügen unverhohlenen Triumphes als einen großen 
Sieg Es ist eine Manifestation des Liberalismus 
nicht nur in dieser Partei, sondern in Deutschland 
überhaupt, daß das Zur-Disposition-Stellen von 
Hunderttausenden von Menschenleben als ein 
Sieg gefeiert wird. Wer hätte das, wenn wir uns die 
Ausgangslage von 1945 in Erinnerung rufen, für 
möglich gehalten? 

Nicht nur die "Christdemokraten für das Leben", 
sondern die CDU selbst müßte den Ausgang die- 
ses Kampfes, wenn sie die Prinzipien, nach denen 
sie 1945 angetreten ist, noch ernst nähme, als eine 
schwere Niederlage betrachten. Selbst wenn un- 
veränderbare, objektive Gegebenheiten vorgele- 
gen haben sollten, die ein solches Ergebnis als 
unvermeidlich erscheinen ließen, müßte das eine 
Stunde der Trauer der ganzen Partei sein. Bedau- 
erlicher als das Ereignis selbst ist für die CDU, daß 
sie sich mehr oder weniger befördernd dazu ver- 






i:v 



halten hat. 

Wie kann man sich eine Zukunft für diese Arbeits- 
gemeinschaft "CDL" innerhalb der CDU vorstellen? 
In der gegenwärtigen Situation darf die Entschei- 
dung keinesfalls nur aufgrund von noch so berech- 
tigten ethischen und theologischen Erwägungen, 
sondern muß aufgrund der konkret vorliegenden 
politischen Situation gefällt werden. Erstens ist ge- 
genwärtig der Einfluß der Konservativen in der 
CDU im Wachsen begriffen und erscheint zumin- 
dest als so groß wie seit vielen Jahren nicht mehr. 
Dieser Bundeskanzler versteht etwas von Wahl- 
kämpfen, und viele haben seine enormen Fähig- 
keiten als Wahlkämpfer unterschätzt. Er weiß na- 
türlich, daß die nächsten Wahlen weder von ihm 
noch von der CDU gewonnen werden können, 
wenn nicht ein erheblicher Teil der Konservativen, 
die inzwischen aus der Partei hinausstreben oder 
sie nicht mehr wählen, wenigstens zu dieser Wahl 
zurückgeholt werden. Die Position der Konservati- 
ven in der CDU ist unter dieser Kanzlerschaft noch 
nie so stark gewesen wie gegenwärtig. Natürlich 
wissen wir alle, daß dies nur ein Phänomen der 
Vorwahl ist und die Dinge sich nach den Wahlen 
völlig anders und neu darstellen werden. Die Kon- 
servativen haben es zu ihrem Leidwesen oft genug 
erfahren, daß sie in der bedrohlichen Wahlkampf- 
situation gewünschte und geduldete Freunde wa- 
ren und nach der gewonnenen Wahl mit dem Hin- 
weis auf die Unveränderbarkeit des Koalitionspart- 
ners wieder bis zur nächsten Wahl verabschiedet 
wurden. Wenn ich es recht einschätze, würde sich 
dieses Manöver auch in diesem Fall wiederholen. 
Es gibt aber einen zweiten und neuen Umstand, 
der Beachtung verdient. Dieser Umstand ist der, 
daß die CDU, wie alle Umfrageergebnisse unab- 
hängig voneinander bezeugen, zum erstenmal ge- 
gen die Dreißig-Prozent-Marke tendiert. Noch sind 
es um die vierunddreißig oder fünfunddreißig, aber 
jeder weiß, wie schnell die dreißig Prozent erreicht 
oder unterschritten werden können. Man kann sich 
auch nicht ewig darauf verlassen, daß sich die 
SPD als der beste Wahlhelfer der CDU nützlich 
machen wird. Auch dort könnten mit der Zeit se- 
riöse politische Einsichten reifen. Der entschei- 
dende Zeitpunkt für die Zukunft der CDU und damit 
auch für den Weg der Demokratie in Deutschland 
wird eintreten, wenn die Dreißig-Prozent-Marke 
unübersehbar erreicht ist. Das war seit zwanzig 
Jahren meine feste Überzeugung, denn ehe dieser 
dramatische Punkt nicht erreicht ist, wird keine 
eingreifende Veränderung der Partei möglich sein. 
Man würde die ehernen Mechanismen einer mo- 
dernen Volkspartei idealistisch unterschätzen, 
wenn man glaubte, eine für marginal gehaltene 
Gruppe hätte in der Partei die Chance, den Kurs 
mitzubestimmen, ehe wirklich die Existenzfrage 
gestellt ist. Die Existenzfrage stellt sich erst, wenn, 
wie der steinerne Gast in der Mozartoper, die 
Dreißig-Prozent-Grenze an der Wand erscheint. 



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Für diesen Fall müssen Sie sich vorbereiten, 
meine Damen und Herren. Erst dann werden die 
prinzipiellen Fragen neu gestellt werden. In der 
Partei muß es dann eine Gruppe geben, die nach- 
gedacht und sich auf den Tag vorbereitet hat, die 
eine neue Konzeption, eine neue Philosophie aus- 
gearbeitet hat. Wenn es diese Gruppe nicht geben 
wird, dann wird jenes Konzept wieder aus der Ta- 
sche gezogen werden, von dem ich überzeugt bin, 
daß es diese Partei auf dreißig Prozent herunter- 
gebracht hat. 

Ich empfinde es immer als eines der allermerkwür- 
digsten Argumente, wenn bisher ständig auf die 
Unentbehrlichkeit einer anderen, hier nicht näher 
zu bezeichnenden Gruppe innerhalb der CDU hin- 
gewiesen wird. Seitdem jene Gruppe einen dispro- 
portionalen Einfluß auf den Kurs der Partei gewon- 
nen hat, ist der Stimmenanteil um 16 bis 18 Pro- 
zent zurückgegangen. Man muß nun die Frage 
stellen, worin der grandiose Beitrag dieser Gruppe 
für die Zustimmungsfähigkeit der CDU bestehen 
soll. Sie haben fast eineinhalb Jahrzehnte den 
Kurs dieser Partei fast unumschränkt bestimmen 
können, und das Ergebnis ist nicht ermutigend. 
Der zweite zu beachtende Aspekt führt also zu 
dem Ergebnis, daß man sich auf den kommenden 
Tag X vorbereiten muß. Vorbereiten bedeutet zu- 
erst Nachdenken. Wir kommen nicht an der Frage 
vorbei, welches die tieferen Ursachen sind, die zur 
Niederlage Ihrer Vereinigung im Kampf für das Le- 
ben innerhalb Ihrer Partei und damit in Deutsch- 
land geführt haben. Nur vordergründig ist es die 
Uneinigkeit in der Partei oder das Faktum, daß Sie 
in der Bundestagsfraktion keine Mehrheit fanden. 
Der tiefere Grund ist, daß die Partei meinte, insge- 
samt der veränderten geistigen und moralischen 
Konstellation in Deutschland Rechnung tragen zu 
müssen. Tatsächlich ist eine tiefgreifende geistige 
und moralische Veränderung in der Gesellschaft 
als ganzer vor sich gegangen. Das konnte natür- 
lich die Argumentations- und Sprachmöglichkeiten 
innerhalb der CDU nicht unverändert und unbeein- 
flußt lassen, denn eine Partei hat immer, und leider 
fast ausschließlich, zwei Fragen im Sinn: "Wie 
komme ich an die Macht?" und, wenn die Macht 
errungen ist: "Wie halte ich mich an der Macht?" 
Machtgewinn und Machterhalt setzen in der De- 
mokratie die Mehrheitsbeschaffung voraus. Die 
Partei paßt sich deshalb dem an, wovon sie meint, 
daß die Mehrheit es will. 

Wer entscheidet aber darüber, was die Mehrheit 
will? Keinesfalls entscheidet darüber die Mehrheit 
selbst, denn sie ist in diesen Grundsatzfragen we- 
der befragt worden noch überhaupt befragbar. Es 
entscheiden die Medien. Sie entscheiden damit 
über die geistig-moralische Entwicklung der Bun- 
desrepublik Deutschland. Sie sind die eigentlichen 
Träger der Macht, weil sie über die Möglichkeiten 
und Bedingungen der Machtbildung entscheiden. 
In den Medien erscheint der Verband für das Le- 
ben innerhalb der CDU als ein Kreis von etwas zu- 
rückgebliebenen und altväterlichen Leuten, die den 
Anschluß an die moderne Zeit noch nicht geschafft 
haben, die im Grunde antimodern sind und mit ih- 
ren überholten Vorstellungen dem großen Fort- 
schrittsdrang zur endgültigen Befreiung der Ge- 
sellschaft im Wege stehen. Man kann sie zwar aus 
dieser Sicht nicht ganz unterdrücken, da ja in un- 
serer pluralistischen Gesellschaft auch ganz kleine 
Gruppen das Recht zur Äußerung haben müssen. 



aber man darf ihrer Meinung höchstens die Be- 
deutung eines Taubenzüchtervereins zubilligen, 
keinesfalls mehr. 

Viel wichtiger als das Ergebnis erscheint mir die 
Art der Diskussion, die man einige Monate lang um 
die Frage des Rechtes auf Tötung menschlichen 
Lebens geführt hat. Es wurde völlig eindeutig so 
dargestellt, als ob es eine klare Mehrheitsmeinung 
gäbe, die in einer inneren, unumkehrbaren Logik 
der modernen Gesellschaft selber begründet sei. 
Demgegenüber gebe es Meinungen, die sich aus 
Uneinsichtigkeit, aus Borniertheit oder manchmal 
aus schlechtem, unaufgeklärtem Willen diesem 
angeblichen Trend entgegenstellten. Natürlich 
durften auch Sie Ihre Meinung sagen. Das ist so- 
gar willkommen, um den pluralistischen Charakter 
unserer Gesellschaft zu demonstrieren. Sie hatten 
die Funktion eines Alibis, denn unter den konkre- 
ten Machtverhältnissen im öffentlichen Kampf um 
die Bewußtseins- und Meinungsbildung war der 
Kampf verloren, ehe er begonnen hatte. Für die 
Zukunft wird entscheidend sein, welche Konse- 
quenzen Sie daraus ziehen. 
Die erste mögliche Konsequenz wäre, daß Sie sich 
das Urteil, das sich die Meinungsmacher über die 
große Logik des geschichtlichen Prozesses gebil- 
det haben, zu eigen machen. Sie müßten dann 
schiedlich und friedlich auseinandergehen, sich 
damit trösten, daß Sie doch eine gute Absicht ge- 
habt hätten und den anderen Ihre so störende 
Stimme im allgemeinen Meinungskonzert künftig 
ersparen. 

Die zweite Möglichkeit ist, daß Sie sich mit akzi- 
dentellen Fragen beschäftigen, beispielsweise ob 
Sie aus der CDU hinausgehen oder halb hinaus- 
gehen oder in ihr bleiben sollen. Diese Frage ist 
deshalb völlig akzidentell, weil sie erst an dem ge- 
nannten Tage X politisch sinnvoll beantwortet wer- 
den kann. Sich jetzt in dieses Problem untergeord- 
neter Bedeutung zu verstricken, ist also falsch. 
Die dritte Möglichkeit ist die, daß Sie zusammen- 
bleiben, nüchtern die Lage analysieren und versu- 
chen, daraus Konsequenzen zu ziehen. Mein Vor- 
schlag, den ich auch der verehrten Gräfin von 
Westphalen schon gemacht habe, lautet, nicht zu 
resignieren, nicht zu kapitulieren, sich nicht selbst 
zu zerfleischen, sich nicht zu trennen oder aufzulö- ) 
sen, sondern unter veränderten Bedingungen und 
in veränderter Schlachtordnung in eine neue 
Phase des Kampfes um dasselbe Ziel einzutreten. 
Wenn man den Kampf erfolgreich führen will, muß 
man den Dingen auf den Grund gehen. Wir müs- 
sen das vorliegende Ergebnis der Entwicklung auf 
seine Ursache zurückführen, und da handelt es 
sich nicht um vordergründige Meinungsunter- 
schiede und Entwicklungen von Parteien, sondern 
um die Veränderung unserer Demokratie und Ge- 
sellschaft im Ganzen. Die Konsequenz kann nur 
eine Strategie sein, die die Bewußtseinsentwick- 
lungen voraussetzt und selbst zu einer Bewußt- 
seinsveränderung führt. Dabei sind die faktischen 
Machtpositionen und die Beherrschung der Appa- 
rate von völlig untergeordneter und im gegenwärti- 
gen Stadium von gar keiner Bedeutung. Es kommt 
alles auf die Konzeption an. 
Welche Bedeutung hat die Entwicklung, die seit 
über anderthalb Jahrzehnten für unsere Gesell- 
schaft bestimmend ist? Was ist das Grundphäno- 
men, auf das alle die besonderen vielfältigen Er- 
scheinungen zurückgeführt werden können? Es 



ij 



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MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



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handelt sich um einen Prozeß der Entchristlichung 
nicht nur der Gesellschaft, sondern des deutschen 
Volkes, wie ertrotz aller Anstrengungen selbst von 
den Nationalsozialisten noch nicht erreicht werden 
konnte. In dieser Situation müssen wir die Gesell- 
schaft darüber aufklären, welche Konsequenzen 
aus diesem Grunde bereits eingetreten sind und 
welche weiteren Konsequenzen zu entstehen im 
Begriff sind. In diesem als vermeintlich fort- 
schrittsförderlich begrüßten Prozeß der Entchristli- 
chung Deutschlands brauchen wir eine christliche 
Aufklärung. Christliche Aufklärung hat es gegeben, 
seit es das Christentum gibt. Christliche Aufklärung 
heute bedeutet, über die dramatischen, teilweise 
schon eingetretenen, sich verstärkenden und wei- 
ter absehbaren Konsequenzen einer unveränder- 
ten Fortführung der Entchristlichung Deutschlands 
aufzuklären. Wenn heute eine Gruppe in Deutsch- 
land bereit ist, sich dieser zugegebenermaßen au- 
ßerordentlich schwierigen und mit intellektueller 
Anstrengung verbundenen Aufgabe zu stellen, 
nimmt sie nicht ein partikulares Interesse von Alt- 
christen wahr, sondern setzt sich für das Interesse 
der Gesellschaft im Ganzen ein. Es geht dabei 
nicht um die Rettung einiger fossilartiger Restbe- 
stände des Christentums, sondern um die Bewah- 
rung der Demokratie und des Rechtsstaates. 
Wenn man diesen Prozeß der Entchristlichung der 
Menschen anspricht, hat man es, wie bei allen 
Phänomenen der Postmoderne, mit einem Phä- 
nomen von tiefster Zweideutigkeit zu tun. Einer- 
seits ist dieses Phänomen die Folge der nunmehr 
in ihre Endphase eingetretenen neuzeitlichen Auf- 
klärung, die seit dem achtzehnten Jahrhundert im 
Gange ist und deren Folgen den etwas tiefer Den- 
kenden bereits Mitte des neunzehnten Jahrhun- 
derts vollständig vor Augen standen, die jetzt aber 
erst einen massenhaften Erscheinungscharakter 
angenommen haben. Eine der zentralen Prämis- 
sen der Aufklärung des achtzehnten Jahrhunderts 
war die Absicht, im Kampf gegen das Christentum 
die Funktion aufzulösen, die es bis dahin für die 
europäische Kultur wahrgenommen hatte. Es 
dürfte gegenwärtig kein Land auf der Welt geben, 
in dem diese Ausgangskonstellation eines 
Kampfes der Aufklärung gegen das Christentum so 
wiederhergestellt ist wie in Deutschland. Nirgends 
ist auch das Ziel, die vermutete Macht des Chri- 
stentums über das Bewußtsein der Massen zu 
brechen, in so kurzer Zeit so weitgehend vorange- 
trieben worden. 

Das Neue ist, daß dieser Kampf heute nicht von 
identifizierbaren Feinden von außen geführt wird, 
denn wenn wir den offiziellen Sprachregelungen 
vertrauen, gibt es in unserer Gesellschaft keinen 
Feind des Christentums. Ganz im Gegenteil, alle 
sind affirmativ dafür, wenn sie es vielleicht auch in 
einer etwas reduzierten Form sehen wollen. Offen 
auftretende Gegner, die erklären, daß sie als das 
letzte Hindernis voller Emanzipation des Menschen 
die Beseitigung des Christentums wollen, gibt es 
nicht. Zugespitzt formuliert macht das heute den 
Kampf so schwer, daß wir in der Öffentlichkeit 
keine anständigen und redlichen Atheisten sich ar- 
tikulieren sehen. Der Kampf des Christentums um 
seine Substanz war eindeutig und möglich, so- 
lange es Leute gab, die sich auch öffentlich zum 
Atheismus bekannten. Das Neue ist, daß es zu ei- 
ner Symbiose zwischen der ihrem Ende entgegen- 
drängenden Liberalisierung in der Gesellschaft und 



starken Teilen der Kirchen kam, die sich als Mit- 
kämpfer dieser Liberalisierung erwiesen. Die radi- 
kalsten Angriffe auf das Christentum werden nicht 
von Atheisten von außen geführt, sondern gehen 
aus den christlichen Kirchen und Gemeinschaften 
selber hervor. Häufig marschieren an der Spitze 
hoch renommierte, mit großer öffentlicher und 
amtlicher Autorität versehene Theologen, die die- 
sen Kampf natürlich nicht gegen die Kirche als sol- 
che, sondern nur für ihre beabsichtigten Reformen 
führen, beispielsweise für strukturelle Demokrati- 
sierung, für Abbau von Erbe aus unseliger Ver- 
gangenheit, für die Befreiung von Autorität, für 
denjenigen Liberalismus, wie wir ihn heute prakti- 
zieren. Das ist allerdings keinesfalls jener großar- 
tige klassische Liberalismus, zu dem auch ich mich 
vehement bekenne. Es ist vielmehr die heute prak- 
tizierte Form, wonach jeder einzelne das absolute 
Recht haben sollte, sich in allen ihn direkt und indi- 
rekt betreffenden Fragen autonom selbst zu be- 
stimmen. Dieses absolut gesetzte individuelle 
Selbstbestimmungsrecht erstreckt sich also nicht 
nur auf alle Fragen der Moral und der Ethik, alle 
Grundfragen menschlichen Zusammenlebens, 
sondern auch auf alle Fragen des christlichen 
Glaubens, auf alles, was man einmal unter christli- 
cher Wahrheit verstanden hat. Hier treffen sich, 
wie wir überall feststellen können, beide Bewegun- 
gen. 

Die Kernfrage ist, was geschieht, wenn dieser Pro- 
zeß fortgesetzt werden sollte, und es gibt keinen 
Zweifel daran, daß er fortgesetzt wird. Ihre Nie- 
derlage ist nur ein Symptom dafür, wie stark die 
Kräfte sind, die ihn vorantreiben. Wenn diese 
Kräfte sich vollends durchgesetzt haben, wird die 
totale Privatisierung des Christentums erreicht 
sein. Diese vollständige Privatisierung, die man 
auch Liberalisierung oder Individualisierung nen- 
nen kann, bedeutet nicht nur das individuelle Ent- 
scheidungsrecht über christliche Wahrheiten, son- 
dern es wäre auch das Ende der freiheitlichen, 
rechtsstaatlich gebundenen Gesellschaft. 
Diese Perspektive stammt nicht aus einem parti- 
kulären Interesse, sondern betrifft die Existenz- 
frage von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit 
Deutschlands im Ganzen. Ich kann es eigentlich 
nicht glauben, Frau Gräfin von Westphalen, daß es 
nicht möglich ist, das den verantwortlichen Man- 
datsträgern der CDU einleuchtend zu machen. Sie 
liquidieren sich selbst, wenn sie diesen Kurs wei- 
terfahren, anstatt mit den wenigen, die noch dafür 
übrig sind, dagegen anzugehen. 
Diese Entwicklung betrifft ja nicht nur die Partei, 
sondern die Gesellschaft selbst. In dem Maße, wie 
die hypertrophe Absolutsetzung des individuellen 
willkürlichen Rechts des Individuums über sich, 
seine Umgebung und über die Wahrheit fort- 
schreitet, zerfällt die Gesellschaft. Das ist keine 
weit hergeholte These, sondern entspricht der 
überall zu hörenden Klage gerade der Vorkämpfer 
der Emanzipation über die Zustände in unserem 
Lande. Die mit Erschrecken festgestellte Auflösung 
der Erziehungssysteme ist ein Aspekt davon. Sie 
ist mit einem Abbruch der Kontinuität in der Ge- 
schichte des Christentums verbunden. Nach dem 
Ausfall der Erziehungssysteme einschließlich der 
christlich-bürgerlichen Familie ist es unmöglich, 
selbst das elementarste Wissen um das Christen- 
tum von einer zur nächsten Generation zu übertra- 
gen. 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



15 



Mit der Zerstörung der christlichen Familie, mit 
dem Verlust der Bereitschaft und Fähigkeit von 
Eltern, ihre Kinder noch im Geist christlicher Sitten 
und Ordnungen zu erziehen, ist das Christentum in 
Europa in seine tiefste Krise geraten. Es gibt keine 
gesellschaftliche Institution, die an die Stelle treten 
und einen Ersatz bilden könnte, wenn die elterliche 
Traditionsübermittlung ausgefallen ist. Das ist 
keine Anklage gegen die Familie, denn es sind 
mächtige gesellschaftliche Tendenzen, die zur 
Untergrabung der Erziehungskraft der Familie, 
selbst da, wo noch Erziehungswilligkeit unterstellt 
werden kann, beigetragen haben. 
Man stellt heute fest, daß das gesamte Schul- und 
Bildungssystem von einem Geist der sittlichen 
Verödung ergriffen ist. Niemand sollte sich jetzt 
darüber wundern, daß an einigen brisanten Stellen 
die irrationale Bereitschaft zur Gewalt in einer 
Form ausbricht, die wenig mit einer Wiederkehr 
des Nationalsozialismus, aber sehr viel mit dem 
Umkippen unserer Gesellschaft in eine neue Form 
der Barbarei zu tun hat. Es ist auch kein Zufall, 
daß die Kriminalität astronomische Höhen erreicht 
hat. Wir haben jetzt jährlich sechs Millionen Delikte 
mit steigender Tendenz. Es werden bereits mehr 
Sicherheitskräfte privat angestellt und finanziert, 
als der Staat noch zu unterhalten in der Lage ist. 
Die Polizei in Frankfurt hat in diesen Tagen der 
Öffentlichkeit signalisiert, daß sie vor der Auswei- 
tung des Verbrechens kapituliert habe. Was be- 
deutet das? Michail Gorbatschow sagte in seiner 
Zeit als Reformer, die Entwicklung des Sozialismus 
in der Sowjetunion sei an der moralischen Krise 
des Landes gescheitert und die wichtigsten Aus- 
wirkungen dieser Krise seien Alkoholismus und 
Kriminalität. 

Was sind die Hintergründe des unheimlichen Pro- 
zesses, der sich in unserer Gesellschaft vollzieht? 
In den großen Städten Deutschlands leben, bei- 
spielsweise in Stuttgart, in fünfzig Prozent der 
Haushalte nur noch Singles. Nach elf Jahren einer 
maßgeblich von der CDU geführten Bundesregie- 
rung, die 1982 mit der Erklärung angetreten war, 
daß sie in der Erhaltung und Förderung der Familie 
ihr wichtigstes gesellschaftspolitisches Ziel über- 
haupt sehe, erleben wir eine bereits weit fortge- 
schrittene und tendenziell weiter fortschreitende 
Aufhebung der Familie. Man kann auch über den 
Feminismus mit vielen schlechten und guten Ar- 
gumenten diskutieren, aber es ist natürlich 
Schwachsinn, den Kandidaten für das Amt des 
Bundespräsidenten Heitmann deshalb zu schmä- 
hen, weil er das Wort Mutter in den Mund genom- 
men hat. Es mag Leute geben, die mit der Mütter- 
lichkeit Probleme haben, aber sie vergessen ein 
zentrales Faktum: Es gibt Kinder! Die Zukunft die- 
ses Landes sind seine Kinder, und bestimmte 
Emanzipationsbewegungen werden, wenn sie 
weiterhin Erfolg haben, zu dem Ergebnis führen, 
das die Gesellschaftswissenschaftler bereits er- 
rechnet und interpretiert haben. Der Direktor des 
von Professor Biedenkopf gegründeten Kölner 
IWG-Instituts, Meinhard Miegel, hat in einem Buch 
mit dem Titel "Das Ende des Individualismus" fest- 
gestellt, wir müßten aufgrund des Geburtenrück- 
gangs in Zukunft bis zu fünfzehn Millionen Auslän- 
der in Deutschland aufnehmen, um unseren Sozi- 
alstandard einigermaßen zu halten. Wenn dies 
aber eintrete, gebe es keine Chance für die Deut- 
schen, ihre Identität zu behaupten. Die Deutschen 



seien im Begriffe, sich selbst biologisch und geistig 
abzuschaffen. Dies ist nicht die Aussage eines fin- 
steren Konservativen, sondern eines liberalen 
Ökonomen und Gesellschaftswissenschaftlers. 
Die Steigerung des ungehemmten und unbe- 
grenzten Individualismus führt nirgends mehr hin. 
Das ist das Hauptmerkmal der inneren Situation 
Deutschlands. Man fragt sich angesichts dessen, 
welche Gedanken die Verantwortlichen der CDU 
hegen. Gerade für sie müßte dies ja eine unge- 
heuere Herausforderung darstellen, weil die CDU 
seit 1945 immer als ein Garant bürgerlicher und 
christlicher Wertehaltungen angetreten war. Sie 
versprach und verspricht immer wieder, die Familie 
zu verteidigen, sie beschwört die sogenannten 
"Werte" und spricht in jedem zweiten Satz vom 
christlichen Menschenbild. Diese Partei müßte in 
der jetzigen Lage auf das Höchste alarmiert sein. 
Lesen wir aber das letzte große Interview, das der 
ehemalige Generalsekretär der Partei gegeben 
hat, und fragen wir uns, welche Zukunftsperspekti- 
ven aus diesen Ausführungen hervorleuchten. Wir 
sehen dort eine Verkündigung des Pazifismus - nur 
in gewissen Ausnahmefällen seien noch militäri- 
sche Mittel angebracht- einen unbegrenzten Inter- 
nationalismus, eine vehemente Parteinahme für ,,jj 
den Feminismus, bis hin zur Aufforderung an die 
Frauen, sie mögen sich zur Abschüttelung ihrer 
Knechtschaft den sie verknechtenden Männern 
verweigern. Ich erwähne Herrn Geißler nicht immer 
deshalb, weil ich etwas gegen ihn hätte, sondern 
Herr Geißler ist ein hochbegabter und intelligenter 
Mann, der den Vorzug hat, offenbar der einzige zu 
sein, der mit der CDU Inhalte verwirklichen will. 
Dafür kann man ihm ja keinen Vorwurf machen. 
Zu diesen Inhalten gehört auch diese faszinierende 
Vision der "Multikulturellen Gesellschaft". Da wird 
die Vorstellung zwar nicht formuliert, aber doch 
suggeriert, alle Armen, Unterdrückten und Ent- 
rechteten dieser Erde hätten einen Anspruch, ja 
ein Recht, in den Genuß der Wohltaten des deut- 
schen Sozialstaats zu kommen. Die große Gefahr, 
die dieser Mann sieht, ist die Renationalisierung 
Deutschlands. Die potentiellen Träger dieser dü- 
steren Wiederkehr der schlimmsten Vergangenheit 
Deutschlands, meint er, seien die Konservativen. 
Auf einem Landesparteikongreß der Jungen Union t^ 
hat er erst kürzlich dazu aufgefordert, Strategien 
zu entwerfen, um diese Gruppe zu marginalisieren, 
am Hochkommen zu hindern. Sie sei gewisserma- 
ßen das letzte Hindernis, das den großen Marsch 
in die multikulturelle, pazifistische Zukunft der 
Menschheit politisch aufhalte, eine Zukunft, in der 
alle sich nur wie Brüder und Schwestern im großen 
Menschheitsbund auf dem Boden der universalen 
Republik vereinigen würden. Das ist, nur wenig 
zugespitzt, seine Vorstellung. 
Dem gegenüber steht die Wirklichkeit, daß 
Deutschland insgesamt und die Basis der CDU 
und selbst Teile der Jungen Union seit drei Jahren 
deutlich nach rechts rutschen. Der Sozialismus als 
Gegenmodell ist zusammengebrochen, und die 
Hoffnungen, daß die Nationalstaaten sich in Eu- 
ropa auflösen würden, schwinden dahin. Politisch 
ist Deutschland heute aufgrund der weltgeschicht- 
lichen Ereignisse ein immer mehr auf sich selbst 
zurückgeworfener Nationalstaat. Was würde unter 
diesen Bedingungen die Folge sein, wenn dieses 
hier nur kurz angesprochene Konzept für die CDU 
zukunftsverbindlich würde? Ein anderes Konzept 



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MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



von vergleichbarer prinzipieller Bedeutung gibt es 
in der CDU überhaupt nicht. 
Es ist völlig klar, daß sich in der genannten Stunde 
X diejenigen durchsetzen werden, die ein Konzept 
haben. In solchen Entscheidungssituationen setzt 
sich erfahrungsgemäß immer der durch, der genau 
weiß, was er will. Daher halte ich es für das Wich- 
tigste, sich darüber klar zu werden, was man will. 
Das vom ehemaligen Generalsekretär vertretene 
Programm ist an der Vollstreckung der Grundten- 
denz der Aufklärung orientiert, die seit zweihundert 
Jahren auf der Tagesordnung der Geschichte steht 
und auf die Vollendung des liberalen Programms 
einer Befreiung des Menschen abzielt. Hier stellt 
sich die entscheidende Frage. Natürlich kann man 
ein solches Programm haben, zumal es von den 
Medien gefeiert und gefördert wird. Mit diesem 
Programm haben Sie die Chance, in jede Talks- 
how zu kommen. Aber wie ist das denkbar, daß 
nach einer der größten weltgeschichtlichen Kata- 
strophen, dem Zusammenbruch des Sozialismus, 
der ja auch nichts anderes wollte als die Verwirkli- 
chung dieses Programms, diese Ziele so undisku- 
tiert und selbstverständlich hingenommen werden? 
Auch der Sozialismus wollte nichts anderes als 
eine weltrevolutionäre Strategie, um die Mensch- 
heit am Ende im Namen des Pazifismus, der Brü- 
derlichkeit und Schwesterlichkeit, der Aufhebung 
aller kulturellen und nationalen Unterschiede, der 
Herstellung von Freiheit und Gleichheit zu vereini- 
gen. 

Es ist eines der merkwürdigsten Dinge, daß dieser 
Zusammenbruch eines der größten Experimente 
der Weltgeschichte von uns in seiner geistigen Di- 
mension überhaupt nicht diskutiert wird. Wir reden 
vulgärmaterialistisch nur von der Transformation 
sozioökonomischer Bedingungen und von Geld- 
transfers. Keiner fragt nach der geistigen Zieldi- 
mension. Aber wer sollte das tun, wenn nicht die 
CDU? Ist der Zusammenbruch der Utopie eine Sa- 
che, die nur Rußland oder Osteuropa betrifft? Of- 
fenbar ist das ein großer Irrtum! Deutschland wird 
von den Vorgängen in Ost- und Mitteleuropa mehr 
betroffen sein als während der ganzen vierzig 
Jahre der Blockkonfrontation. Der Ausgang der 
gegenwärtigen Entwicklung in Rußland wird von 
schicksalhafter Bedeutung für uns sein. Wir trans- 
ferieren 80 Milliarden DM für den Aufbau eines 
neuen ökonomischen Systems, und ein geistiger 
Dialog findet nicht statt. Haben wir den Menschen 
in Rußland oder auch in der ehemaligen DDR 
nichts anderes anzubieten als die Verheißungen, 
die an die Marktwirtschaft gebunden sind? Das ist 
die Herausforderung. 

Was die CDU bisher über das ökonomische Modell 
hinaus programmatisch anzubieten hatte, bewegte 
sich um den Begriff des sogenannten "christlichen 
Menschenbildes". Aber gibt es das "christliche 
Menschenbild ? Wenn wir hinsehen, stellen wir 
fest, daß die Bilder, die die Christen vom Men- 
schen haben, so unterschiedlich sind wie die 
Ideologien, die in der Gesellschaft herrschen. Die 
Frage, nach welchem christlichen Menschenbild 
man sich orientiert, bleibt deshalb der subjektiven, 
ganz willkürlichen Entscheidung des einzelnen, 
eventuell auch bestimmter Demagogen, überlas- 
sen. 

Da fragt es sich, wo das "christliche Menschenbild" 
seine Begründung hat. Zur Antwort wird immer 
wieder die These von der Gottesebenbildlichkeit 



des Menschen angeführt. Auch die Grundsätze 
universaler Gleichheit werden mit der Gotteseben- 
bildlichkeit begründet. Aber haben wir denn unse- 
ren christlichen Konfirmanden- oder Religionsun- 
terricht vergessen? Wir müßten doch wissen, daß 
die Gottesebenbildlichkeit durch das Ereignis der 
Sünde, "peccatum", zerstört worden ist! Das Fak- 
tum, das uns von der Ebenbildlichkeit Gottes 
trennt, haben die Christen seit zweitausend Jah- 
ren, ohne zu erröten, Sünde, Schuld oder 
"peccatum" genannt. Wir können dieses Faktum 
nicht beiseite schieben und uns auf einen paradie- 
sischen Urzustand beziehen. Die Kernursache der 
unbegrenzten Modernisierung des Christentums 
bis hin zu seiner Auflösung ist die Eliminierung von 
Sünde und Schuld. 

Was bedeutet die christliche Rede von der Schuld? 
Es ist die realistische Wahrnehmung des Men- 
schen als eines seinen Trieben und Süchten ver- 
fallenen, in sich gebrochenen und immer wieder 
schuldhaft verhafteten Wesens. Das Großartige, 
das die Menschheit dem Christentum zu verdan- 
ken hat, gründet in dieser realistischen Sicht des 
Menschen, wie_ er ist. Dieses Bild verschwindet, 
wenn ich unter Überspringung all dessen, was eine 
zweitausendjährige Tradition unter "peccatum" 
verstand, meine, unmittelbar auf die Ebenbildlich- 
keit rekurrieren zu können. Wenn ich das tue, folge 
ich der Vision der Aufklärung, daß der Mensch von 
Natur gut sei und es nur die Verhältnisse oder In- 
stitutionen seien, die ihn hindern, seine Güte un- 
eingeschränkt zu entfalten. Hegel sagte einmal, die 
Lehre, daß der Mensch gut sei, sei eine Lehre 
neuerer Zeiten und mit ihr sei das ganze Chri- 
stentum abgeschafft. 

Wenn ich die Lehre von Sünde und Schuld strei- 
che, ist es nicht mehr einsichtig zu machen, wes- 
halb das Christentum keine soziale Befreiungs- 
oder Emanzipationsreligion sein soll, sondern, wie 
die Christen seit zweitausend Jahren glaubten, 
eine Erlösungsreligion ist. Wenn die Theologen 
nicht mehr wissen, wovon erlöst werden soll und 
muß, ist die Verwandlung des Christentums in eine 
sozialemanzipatorische oder kollektiv-sozialisti- 
sche Befreiungsreligion unaufhaltsam. 
Wenn wir auf dem Boden dieser Fiktion von der 
Güte des Menschen argumentieren, hat das unge- 
borene Leben gar keine Chance. Ich muß dann nur 
noch behaupten, daß die Frau in ihrem Gewissen 
eigenständig und verantwortlich handeln wird, 
dann kann das Leben des Kindes bei dieser Frau 
ja nur in den besten Händen sein und jeder Eingriff 
von außen, etwa seitens des Staates, kann dann 
nur noch als Repression und Unterdrückung der 
Frau gedeutet werden. Wenn der christliche theo- 
logische Hintergrund verloren geht und ideologi- 
sche Fiktionen an seine Stelle treten, können Sie 
Ihre Schlacht um die Bewahrung des Lebens nur 
verlieren. 

Wie tritt man gegen ideologische Fiktionen an? 
Wenn Sie nicht die politische Realität dieses Jahr- 
hunderts zur Sprache bringen, haben Sie keine 
Chance. Die Sprache unseres Jahrhunderts ist die, 
daß die beiden bisherigen großen Versuche einer 
zwangsmäßigen Entchristlichung der Gesellschaft, 
sowohl im Kommunismus wie im Faschismus und 
Nationalsozialismus, nicht nur zur Barbarei geführt 
haben, sondern auch zu einem Zustand, in dem 
Verbrecher sich des Staates bemächtigen und 
seine modernsten Mittel anwenden, um bestimmte 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



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Kategorien der Gesellschaft auszurotten wie Un- 
geziefer. 

Niemand wagt heute, die Frage zu stellen, ob die- 
ses Ergebnis nicht auch auf anderem als dem 
staatstotalitären Wege eintreten könnte. Das ist 
der reale Kern der Entchristlichung der Gesell- 
schaft. Wenn ich es heute fCir sozial gerechtfertigt 
halte, ungeborenes Leben zu töten, warum dann 
morgen nicht auch altes und krankes Leben? 
Wenn der Sozialstaat ohnehin nicht mehr zu be- 
zahlen ist und die Versorgung von Alten und Kran- 
ken aufgrund der unausgeglichenen Altersstruktur 
morgen zusätzliche Milliardensummen verschlin- 
gen wird, sollte dann nicht das Argument, man 
solle diese Menschen aus wohl erwogenen huma- 
nitären Gründen von ihren Leiden befreien - natür- 
lich nach einer ergebnisoffenen Beratung -, nicht 
auf Zustimmung stoßen? 

Wer gegen die Tötung ungeborenen Lebens 
kämpft, kämpft deshalb nicht nur für eine Kategorie 
von Menschen, sondern potentiell für alle. Nach 
dem, was in unserem Jahrhundert möglich war, 
sollten wir wissen, daß morgen jeder zur Disposi- 
tion stehen kann, wenn er nur gewisse Bedingun- 
gen erfüllt, die dem grenzenlosen Liberalisierungs- 
zug der Gesellschaft im Wege stehen. Wo ist die 
absolute, das heißt unüberschreitbare Grenze, die 
uns davor bewahren sollte? So konnte man in 
jüngster Zeit beobachten, daß konservative Chri- 
sten in die Nähe einer Sekte gerückt wurden. Die 
Abqualifizierung und Kriminalisierung von enga- 
gierten Bürgern als Sekte ist ein für die Demokratie 
außerordentlich gefährliches Ereignis. Inzwischen 
hat nämlich Herr Warnfried Dettling, einer der eng- 
sten Mitarbeiter von Herrn Geißler, im öffentlich- 
rechtlichen Fernsehen erklärt, daß die CDU eine 
"Mammutsekte" sei. Der Sektenvorwurf kann also 
zum Damoklesschwert werden, denn als Sekte 
kann man alle die bezeichnen, die im Verdacht 
stehen zu dissentieren, also von einem vorherr- 
schenden Trend abzuweichen. Morgen kann die 
ganze CDU, wenn sie sich nicht auf dem von den 
Medien vorgeschriebenen Pfad bewegt, zur Sekte 
erklärt und kriminalisiert werden. 
Das "christliche Menschenbild" ist also eine 
schwierige Sache. Selbst wenn es das gäbe, wäre 
die entscheidende Frage, ob die dadurch vermit- 
telte Form von Aufklärung legitimierbar und be- 
gründbar sei. Hier stehen wir am Konvergenzpunkt 
aller unserer Überlegungen. Es bedarf einer Auf- 
klärung über das Verhältnis von Aufklärung und 
Christentum. Bisher hat die Aufklärung so erfolg- 
reich über das Christentum und im Christentum 
aufgeklärt, daß sie im Begriff ist, nicht nur das 
Christentum, sondern auch sich selber abzu- 
schaffen. Der erste, der die Selbstdestruktion der 
Aufklärung durch ihre Emanzipation vom Chri- 
stentum und von der antiken Philosophie radikal 
verkündet hat, war kein anderer als Nietzsche. 
Eine Aufklärung, die nicht substantielle Güter - die 
sogenannten "Werte" - festhalten kann, die also 
alle Kulturinhalte zur Disposition stellt, schafft sich 
in letzter Konsequenz selbst ab. 
Das größte Gebot und höchste Gut der Aufklärung 
war die Humanität, die Vervollkommnung und Ver- 
besserung des Menschen, der Glaube an seine 
Vernunft. Wenn die Aufklärung diese Kernsätze 
um willen einer exzessiv gewordenen Liberalität 
zerstört, zerstört sie sich selbst. Es gibt heute 
nichts mehr, worüber aufgeklärt werden könnte. 



Nur ein einziges Tabu, das noch gebrochen wer- 
den könnte, gibt es in dieser Gesellschaft. Es ist 
das Tabu, Embleme zu zeigen oder Sätze zu wie- 
derholen, die aus der Zeit des Nationalsozialismus 
stammen. Sie dürfen heute jede Schweinerei auf 
die Bühne bringen, Sie können ganz hemmungslos 
Pornographie und Unzucht zum höheren Abend- 
vergnügen des liberalen Bürgertums über die 
Fernsehkanäle schicken, das wird alles als hoher 
Grad liberaler Reife gefeiert. Nur, wer das nicht für 
die Humanität als förderlich ansieht, gilt schon als 
halber Faschist. Die Folgen der prinzipiellen Hem- 
mungslosigkeit lassen aber nicht auf sich warten. 
Kleine Kinder ermorden andere und antworten auf 
die Frage, was sie bewegt habe, sie hätten einmal 
erfahren wollen, wie das ist, wenn man einen Men- 
schen tötet. 

In dieser Situation ist nicht nur eine Aufklärung 
über, sondern durch das Christentum notwendig. 
Wir brauchen eine christliche Aufklärung. Ich 
meine nicht eine missionarische Verbreitung des 
christlichen Glaubens, die zwar dringend notwen- 
dig, aber nicht die Aufgabe einer politischen Partei 
oder Gruppierung ist. Worüber aufgeklärt werden 
muß, ist die schlichte Tatsache, daß eine Kultur, 
die aus dem Erbe des Christentums lebt und auch 
von den säkularisierten Formen des Christentums 
zehrt, mit dem Christentum sich selber abschafft. 
Nachdem uns heute alle Religionen der Welt ab- 
wechselnd als zukunftsverheißende Gestalten der 
Menschheitskultur empfohlen werden, muß es er- 
laubt sein, an das zu erinnern, was unsere ge- 
samte Kultur und wir selbst dem Christentum ver- 
danken. Es muß daran erinnert werden, daß ge- 
rade die ganze moderne Kultur von jenem säkula- 
risierten Christentum gelebt hat, das jetzt in ein 
letales Stadium eingetreten ist. Es muß gesagt 
werden, daß es angesichts dieses Verschwindens 
für uns zur Substanz des Christentums keine Al- 
ternative gibt. Wir können weder eine asiatische 
Religion noch den Mohammedanismus noch ir- 
gendwelche Naturreligionen an die Stelle des Chri- 
stentums setzen, ohne die Form der vernünftigen 
Humanität, aus der auch die Aufklärung noch ge- 
lebt hat, zu verlieren. 

Wenn uns die multikulturelle Gesellschaft als eine 
großartige Sache anempfohlen wird, weil dann 
junge Menschen in einen interkulturellen Aus- 
tausch eintreten und sich wechselseitig bereichern 
könnten, so mag das sein. Aber was soll denn ein 
deutscher junger Mensch einem jungen Türken 
noch mitzuteilen haben, wenn er kein Vaterland, 
keinen Glauben, keine sittlichen Überzeugungen 
hat, während der prachtvolle junge Türke dies alles 
hat, es selbstbewußt vertritt und nicht im Traume 
daran denkt, es im Diskurs zur Disposition zu stel- 
len? Wir entziehen also mit der Zerstörung unserer 
kulturellen Identität auch einer möglichen multikul- 
turellen Gesellschaft die Grundlagen. Nur 
Schwachsinnige oder solche, die eigentlich etwas 
anderes wollen als die multikulturelle Gesellschaft, 
können nationale Identität und multikulturelle Ge- 
sellschaft gegeneinander ausspielen. 
Diese Aufklärung durch das Christentum ist aus 
einem zweiten Grund notwendig. Alle auf dem Bo- 
den der Aufklärung gewachsenen Ideologien sind 
in das Stadium des politisch-geistigen Siechtums 
übergegangen. Andre Malraux sagte einmal, die 
große Frage des 21 . Jahrhunderts werde nicht die 
Ökonomie, sondern die Religion sein. Wir müssen 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



zur Kenntnis nehmen, daß die Religion auf die Ta- 
gesordnung der Geschichte zurijcl<gel<ehrt ist. In 
diesem weltgeschichtlichen Augenblick treibt die 
CDU entschlossen ihre christlich bewußtesten An- 
hänger an den Rand. Wie wollen wir in den Welt- 
dialog der Religionen und ihrer Kulturen eintreten, 
wenn wir selbst nichts einzubringen haben? Im 
Gegenteil, wir verbreiten selbst jeden abartigen 
Unsinn, den irgendjemand Ciber das Christentum 
behauptet. Führen wir nicht eine gespenstische 
Diskussion in den Medien, indem der Papst immer 
nur als der Experte für besondere Sexualpraktiken 
zitiert und stilisiert wird, während die Gegenseite 
behauptet, daß sie in diesen Praktiken nicht ihr se- 
xuelles Glück finden könne? Kann denn das Chri- 
stentum tiefer herunterkommen als dadurch, daß 
es sich auf die Ebene dieser Fragestellung ein- 
läßt? 

Der dritte Grund, der eine christliche Aufklärung 
notwendig macht, ist der gegenwärtige krisenhafte 
Zustand der Bundesrepublik. Der Bundeskanzler 
sagt, in den Köpfen der Menschen müsse sich et- 
was ändern. Er hat recht und er müßte vor allen 
Dingen sagen, was sich in den Köpfen zu ändern 
hat, um in der gegenwärtigen Krise zu bestehen. 
Beispielsweise sind die Chancen, unser Verständ- 
nis des Sozialstaates zu erneuern, ohne Christen- 
tum und ohne die Weckung neuer Formen des 
christlichen Ethos äußerst gering. Wir erleben, daß 



alle für alle möglichen Einsparungen eintreten, so- 
lange andere betroffen sind. Sobald sie selbst be- 
troffen sind, verteidigen sie mit Zähnen und Klauen 
ihre Besitzstände. Die Gesellschaft verteidigt sich 
damit gegen die Realität, sie verteidigt ihre Ver- 
gangenheit gegen die Zukunft. Wir stehen vor ei- 
ner vergleichbar großen sozialpolitischen Konver- 
sion wie nach 1945. Der Bundeskanzler hat ge- 
sagt, daß uns eine große Anstrengung abverlangt 
werden wird. Es wird aber nicht nur eine Konver- 
sion der Sozialordnung und der Tarifverträge sein 
können. Wenn nicht die Herzen der Menschen, 
wenn nicht ihre innersten Erwartungen verändert 
werden und ihnen nicht die Kraft vermittelt wird, 
eine neue, häufig harte und grausame Realität an- 
zunehmen, ohne daß die Barmherzigkeit in unse- 
rem Lande dabei stirbt, darf man über die Zukunft 
der Deutschen nicht allzu optimistisch denken. Aus 
diesen Gründen brauchen wir eine christliche Auf- 
klärung. 

Literaturhinweis: 

1 Religion und Politik in der Krise der Moderne, 
Styria, Köln 

Bei der Gesellschaft für Kulturwissenschaft e.V., 
Ahornweg 5a, 76467 Bietigheim/Baden. Tel.: 
07245-89015, kann dieser Vortrag als Broschüre 
bezogen werden. 



l-iinweis: Kongress in Sion/Sitten (Scliweiz) IVlai 
1994 

Sciiwangersciiaft, Geburt, das Kind — 
Wo sind etiiisciie Überlegungen gefragt? 

Am 26. - 28. Mai 1994 organisieren die Vereinigung 
der Katholischen Ärzte der Schweiz VKAS und die 
Internationale Ärztevereinigung für Natürliche Fa- 
milienplanung lANFP einen Kongress zum obigen 
Thema. Der Kongress steht unter dem Patronat 
seiner Eminenz Heinrich Cardinal Schwery und ist 
ein Beitrag zum Internationalen Jahr der Familie. 
Die Thematik betrifft in ganz besonderer Weise die 
Familie, und damit die menschliche Gesellschaft. 
S.E.Heinrich Cardinal Schwery und S.D.Prinz Ni- 
kolaus von und zu Liechtenstein sprechen zum 
Thema "Familie". Prof.O'Rahilly, Freiburg iUe gibt 
eine Einführung über die Entwicklung des men- 
schlichen Lebens vor der Geburt, Prof.Kayser, 
Bern spricht über diejenige der pränatalen Diagno- 
stik, welche ein allenfalls krankes Kind möglichst 
rasch einer Behandlung zuführen kann, 
Prof.Avanzini, Inverigo und Dr.Michele Guy, 
Grenoble berichten über verschiedene Aspekte 
des Stillens. 

Ein Schwerpunktsthema der Tagung ist das "Post- 
Abortion-Syndrom". Bei diesem Syndrom handelt 
es sich um die Gesamtheit von Krankheiten, die 
die Abtreibung nach sich zieht. Obwohl die Exi- 
stenz eines solchen Post-Abortion-Syndroms oft 
verleugnet wird, ist sie dennoch eine Wirklichkeit, 
die unsere Aufmerksamkeit verdient. Dazu spre- 
chen Dr.Scheppens, Ostend, Dr.Maria Simon, 
Würzburg, Dr.Marie Peeters, Paris, Dr.Wanda 
Poltawska, Krakau (im 2. Weltkrieg Insassin eines 
Konzentrationslagers!) und Frau Karin Struck, 
Hamburg, Autorin des Buches "Ich sehe mein Kind 
im Traum". 
Prof.Lejeune, Paris, Pater (Prof.) Cottier OP, Rom, 



Pater (Prof.) Laun, Wien und Msgr.Sgreccia spre- 
chen über theologische, philosophische und ethi- 
sche Grundsatzfragen. 

Die natürliche Empfängnisregelung wird auch vor- 
gestellt, nicht so sehr ihre praktische Durchfüh- 
rung, als viel mehr ihr Beitrag zu einer Lebens- 
weise, die u.a. wesentlich zum Vermeiden von Ab- 
treibungen beitragen kann. Dazu sprechen 
Dr.Elisabetta Meier-Vismara, Breganzona, 

Prof.Rötzer, Vöcklabruck und Dr.Catherine Vier- 
ung, Paris. Zusätzlich finden Workshops in 
Sprachgruppen zum Thema "Natürliche Empfäng- 
nisregelung" statt. 

Dr. Neuer, Tübingen äussert sich zur Bedeutung 
der Gebote Gottes für die staatliche Gesetzgebung 
unter besonderer Berücksichtigung der Abtrei- 
bungsproblematik. 

Kongressprachen: Deutsch, Französisch und Ita- 
lienisch; nach Möglichkeit werden schriftliche 
Übersetzungen oder zumindest Zusammenfassun- 
gen in den je anderen Sprachen angeboten. Der 
Kongress richtet sich nicht nur an Ärzte, sondern 
an alle an diesen Themen Interessierten. Damit 
möglichst viele vom breitgefächerten Angebot pro- 
fitieren können, sind die Kongressgebühren be- 
wusst nicht kostendeckend angesetzt. 
Für das Gelingen dieser Veranstaltung sind wir auf 
Ihre Mithilfe angewiesen. Der Kongress soll ja 
auch Früchte tragen. Dabei zählen wir in erster Li- 
nie auf Ihr Gebet. Wir bitten Sie auch, Ihre Be- 
kannten auf den Kongress aufmerksam zu ma- 
chen. 

Das definitive Programm ist Anfang März 1994 er- 
hältlich. Auskunft durch Dr.med.N.Zwicky-Aeber- 
hard. Untere Hauptgasse 14, CH-3600 Thun, Te- 
lefon 033/22 22 56 oder 43 32 45, FAX 033/22 01 
56. (Vorwahl von Deutschland jeweils statt 033 
bitte 0041/33...) Die Veranstalter 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



19 



Dipl.Ing. Peter Pioch ;;■ f ;; 

Grundsätzliche und anthropologische Gesichtspunkte zum Thema 
"Homosexualität" -^ 



Zum Begriff Sexualität: 

Zu Anfang muß der Begriff "Sexualität" etwas ge- 
nauer betrachtet werden. Im allgemeinen wird der 
Begriff "Sexualität" als das lat. Wort für 
"Geschlechtlichkeit" erklärt. Das ist aber bei ge- 
nauer Betrachtung so nicht richtig. Der Mensch 
wurde geschaffen als Mann und Frau, männlich 
und weiblich. D.h. spricht man von dem Ge- 
schlecht des Menschen, so meint man die Tatsa- 
che, daß dieser Mensch entweder als Mädchen 
oder als Junge geboren wurde. 

Wäre das Wort "Sexualität" die exakte Überset- 
zung des Wortes "Geschlechtlichkeit", so könnte 
die Bezeichnung "asexuell" nicht gebraucht wer- 
den. Als "asexuell" werden Menschen bezeichnet 
die ihren Geschlechtstrieb nicht ausleben können. 
Z.B. kleine Kinder. "Asexuell", wörtlich verstanden, 
würde aber einen Menschen als geschlechtsloses 
Wesen bezeichnen, was es nicht gibt. 

Ein Kind ist kein geschlechtsloses Wesen. Es ist 
entweder Junge oder Mädchen. Daher muß fest- 
gestellt werden, daß der Gebrauch des Begriffes 
"Sexualität" sich verselbständigt hat. Mit "Sexuali- 
tät" wird nicht nur die Bedeutung "Geschlechtlich- 
keit" gemeint, sondern die Ausübung des Ge- 
schlechtstriebes. 

Unter "homosexuell" wird im allgemeinen jemand 
verstanden, der eine geschlechtliche Beziehung zu 
jemand des gleichen Geschlechtes hat. Es wird die 
Praktizierung der Beziehung stillschweigend vor- 
ausgesetzt. Wenn es tatsächlich eine homosexu- 
elle "Veranlagung" gäbe, im folgenden werde ich 
zeigen, daß es diese nicht gibt, dürfte ein Homo- 
sexueller keine größeren Probleme haben als jeder 
unverheiratete Mensch. Warum sollte er nicht in 
der Lage sein, sich der Beziehungen zu enthalten? 

Gängige These ist jedoch, jeder Mensch habe das 
Recht auf freie Entfaltung seiner Sexualität. Was 
wird darunter verstanden? Mit "Entfaltung der Se- 
xualität" wird die geschlechtliche Betätigung ge- 
meint. Wer sich dieser enthält, gilt als asexuell, je- 
mand, der geschlechtslos ist. Ist somit eine Diako- 
nisse, ein kath. Priester geschlechtslos? Hier zeigt 
sich der eigentliche Widerspruch. Geschlechtlich- 
keit des Menschen hat weit größere Formen als 
die geschlechtliche Beziehung. Es ist durchaus 
nicht unweiblich, wenn eine Frau sich der Ehe ent- 
hält und Gott ganz dienen will im Dienst am Men- 
schen. Durch ihren Dienst wird sie "Mutter" von 
weit mehr Menschen als sie je als Ehefrau Kinder 
haben könnte. 

Der Begriff "Sexualität" verkürzt also die wahre 
Dimension menschlicher Geschlechtlichkeit. Leider 
ist es aber unmöglich, den Begriff zu vermeiden, 
da er sich viel zu sehr eingebürgert hat. 



Wir leben in einer übersexualisier- 
ten Gesellschaft. 

Vor einigen Jahren wurde Arbeitgeberpräsident 
Hans Martin Schleyer und sein Fahrer umgebracht. 
Sie fielen einem Terrorakt zum Opfer. Die Täter 
näherten sich auf einem Motorrad seinem Aulo 
Der Beifahrer erschoß während der Fahrt die bei- 
den Männer. Einige Tage darauf erschien in einer 
Illustrierten eine Werbeanzeige über ein Motorrad 
gerade der Marke, auf dem die beiden Terroristen 
gesessen hatten. Der Werbetext lautete: "Das 
Motorrad für Scharfschützen". Nun war die Zeitung 
schon vor dem Attentat gedruckt. Also entschul- 
digte sich der Motorradkonzern in einigen Fernseh- 
spots für diese unpassende Werbung. Man mag 
darüber denken, was man will. Die Anzeige: "Das 
Motorrad für Scharfschützen" appelliert an den 
Machttrieb im Menschen. Wenn Du dieses Motor- 
rad fährst, bist Du stärker als der Rest der Welt. 
Erst der zufällige, tragische Zusammenhang be- 
leuchtet, wie unverantwortlich diese Werbung ist. 
Ein Appell an den Machttrieb angesichts von üba 
10.000 Todesopfern auf bundesdeutschen Stra- 
ßen. Im Prinzip ist der Machttrieb nichts Negatives, 
wenn er kontrolliert wird. Denn dieser Trieb sorgt 
dafür, daß wir für unsere Familie und Volk das 
notwendige tun, um sie zu erhalten. Dieser Macht- 
trieb ist gekoppelt mit einer Lust. Wenn wir alles 
uns mögliche getan haben, um die unsrigen zu 
schützen, ist dies für uns mit dem guten Gefühl der 
Geborgenheit gekoppelt. 

Löst man aber den eigentlichen Triebgrund (die 
Vorsorge für die anvertrauten Menschen) von der 
Lust (das Gefühl der Machtausübung) ab, perver- 
tiert ihn also, wird der Trieb zur Sucht. Die Anzeige 
spricht den Machttrieb an, nur um etwas zu ver- 
kaufen. Über die Anzeige hätte sich wahrscheinlich 
keiner aufgeregt, wenn nicht das Attentat diesen 
unverantwortlichen Zusammenhang aufgedeckt 
hätte. 

Der Geschlechtstrieb hat einen Triebgrund (die 
Weitergabe des menschlichen Lebens) und eine 
damit verbundene Lust. Trennen wir die Lust von 
dem Triebgrund, wird der Trieb zur Sucht. Gerade 
diese Trennung ist aber ein gebräuchliches Mittel, 
um bestimmte Ziele zu erreichen. In der Werbung 
wird der Geschlechtstrieb immer wieder angespro- 
chen, um eine Ware zu verkaufen. Eine Dar- 
stellung, die gezielt den Geschlechtstrieb anspricht 
(Pornographie), wird immer wieder gebraucht, um 
Menschen dazu zu bringen, eine Ware zu kaufen. 
Im Prinzip ist dies genau das gleiche wie die An- 
zeige für das Motorrad. 10.000 Todesopfer pro 
Jahr sollten eigentlich genügen, um die Motor- 
radanzeige abzulehnen. Die Tatsache, daß immer 
mehr Menschen geradezu sexsüchig sind, sollte 
eigentlich Grund genug sein, um die Verwendung 
und Verbreitung von entsprechenden Darstellun- 
gen zu verbieten. Die spezifischen geschlecht- 
lichen Vorgänge beim Menschen sind nur ein klei- 



^ 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



nerTeil des ganzen Menschen. Dennoch findet ge- 
rade dieser Teil den größten Raum in der Erzie- 
hung. IVlit fächerübergreifender Sexuall^unde wird 
heute in vielen Schulen unseren Kindern immer 
wieder eingetrichtert, ein Mensch ohne aktives Se- 
xualleben sei kein vollwertiges Wesen. 

Das Problem der praktizierten Homosexualität darf 
nicht isoliert gesehen werden, sondern ist ein Teil 
der Tatsache, daß unsere Gesellschaft "übersex- 
ualisiert" ist. Die Ausübung des Geschlechtstriebes 
ist das goldene Kalb. Dies zeigt sich in der Be- 
deutungsverschiebung des Wortes "Sexualität". 
Aber auch in der Verwendung manch anderer Be- 
griffe. Z.B. wird von "Versagerquoten" bei Verhü- 
tungsmitteln gesprochen. Sind Kinder denn "Ver- 
sager", wenn sie unter Verhütungsmitteln empfan- 
gen werden? Es wird von "Schwangerschafts- 
abbruch" gesprochen, obwohl die Beendigung der 
Schwangerschaft wohl weniger gravierend ist als 
die Beendigung des Lebens des ungeborenen 
Menschen. 

Wodurch ist Homosexualität be- 
dingt? 

* Ist sie angeboren, genetisch verankert? 

* Ist sie eine Spielart der Sexualität, die mit 
prozentualer Wahrscheinlichkeit vorkommt? 

* Ist sie im Laufe des Lebens erworben? 

Wenn Homosexualität genetisch verankert ist, 
dürfte sie längst ausgestorben sein. Da sich Ho- 
mosexuelle nicht fortpflanzen, bestünde für die 
Gene keine Möglichkeit der Reproduktion. Inner- 
halb weniger Generationen wäre diese Erbanlage 
verschwunden. Dazu trifft auch folgende Überle- 
gung. Ein Homosexueller hätte keine Möglichkeit 
zu einem normalen Verhalten zu kommen, da die 



genetische Verankerung sich nicht ändern läßt. 
Dies widerspricht der Tatsache, daß viele ehemals 
Homosexuelle heute glücklich verheiratet sind. Zu- 
dem gibt es aus der Zwillingsforschung den Fall 
eines eineiigen männlichen Zwillingspaares (mit 
fast identischer genetischer Erbinformation) bei 
dem einer später homosexuell war, während der 
andere es nicht war. 

Die gängigste Auffassung ist heute, daß Homose- 
xualität eine Spielart ist, die mit prozentualer Wahr- 
scheinlichkeit vorkommt. Dagegen spricht die Tat- 
sache, daß auch dies den Gesetzen der Vererbung 
unterliegen muß, damit müsste sich der Prozent- 
satz verringern. Deutlich wird dies z.B. bei der 
Hundezucht. Mit prozentualer Wahrscheinlichkeit 
tritt die Hüftgeleksdypiasie (HD) auf. Wenn ein 
Kollektiv von Hunden zur Zucht ausgewählt wird, 
werden davon betroffene Tiere herausgenommen 
und damit verhindert, daß die HD weiter vererbt 
werden kann, denn diese Krankheit wird genetisch 
übertragen. Sondert man alle von HD betroffenen 
Tiere aus, so vermindert sich in dem Zuchtkollektiv 
der Prozentsatz der betroffenen Tiere im Laufe 
einiger Generationen. 

Analog muß gefolgert werden, daß Homosexualität 
auch nicht als Spielart der Sexualität genetisch be- 
dingt sein kann. 

Der wichtigste Angriffspunkt zur Klärung des Ur- 
sprunges sind jedoch Beiträge der Hirnforschung, 
einer medizinischen Anthropologie. 
Leicht vereinfacht läßt sich hier folgendes aussa- 
gen: Der Mensch besitzt Hirnpartien die typisch 
menschlich sind. Es sind diese: 

Stirnhirnes, 
(knöcherne 



a) das Orbitalhirn (Teil des vorderen 
oberhalb der knöchernen Augenhöhle; 
Augenhöhle = lat. Orbita) 

b) Die Präfrontalrinde (vorderstes Stirnhirn) 
Hirnpartien kommen bei Tieren nicht vor. 



Diese 



Zwischenhirn 



Präfrontairinde^^;^ 



Orbital 
hirn 




Auge Hypophyse/ \ 

n •■ ^ . A Hirn- \ 

(l<nocherne Augen- \ 

höhle lat. Orbita) stamm 



Kleinhirn 



M-,]- 



Ungefähre Lage der Präfrontalrinde und des Orbitalhirnes im menschlichen Gehirn. Schnitt zwischen den 
beiden Hirnhälften gibt den Blick frei auf die rechte Gehirnhälfte mit den vielen Hirnwindungen, 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



21 



Die Frage ist nun, welche Funl^tionen diese Hirn- 
partien haben? Selbstverständlich können zur Lö- 
sung dieser Frage keine Versuche am Menschen 
gemacht werden. Jedoch gaben die Hirnverletzten 
der beiden Weltkriege Aufschluß darüber. Es gab 
hin und wieder Hirnverletzte, die diese Verletzung 
überlebt haben. Bei einer beidseitigen Verletzung 
z.B. der Präfrontalrinde kam es zu Antriebsverlust 
und intellektueller Verflachung. Also ein Verlust der 
Initiative. Bei Zerstörung des Orbitalhirnes kann 
der betroffene Mensch nicht ethisch verantwortlich 
handeln. Zwar kann er Zusammenhänge einsehen, 
jedoch kann er nicht mehr sein Handeln danach 
ausrichten. Er wird zum Spielball hemmungsloser 
Triebe, vor allem von Aggression und Sexualität. 

Es gibt einige Beispiele, wo Menschen nach Zer- 
störung des Orbitalhirnes nicht mehr in der Lage 
waren, Ihren Sexualtrieb unter Kontrolle zu halten, 
und deshalb wegen sexueller Straftaten verurteilt 
wurden. 

Für unsere Betrachtungen wichtig ist nun die 
Frage, wie das Orbitalhirn zu seiner Funktion 
kommt. 

Es gibt beim Menschen "plastische Perioden", in 
denen gewisse Fähigkeiten gelernt werden müs- 
sen. Z.B. kann ein Kind innerhalb einer gewissen 
Zeit Laufen lernen. Wird es daran durch Krankheit 
gehindert, hat es später eine ungleich größere 
Mühe das Laufen noch zu lernen. 

Die Erziehung des Menschen zur Liebesfähigkeit, 
zum Vertrauen muß in den ersten Lebensjahren 
geschehen. Gerade die ersten 3 Jahre entschei- 
den viel für das weitere Leben des Menschen. Die 
Fähigkeit des Menschen seinen Geschlechtstrieb 
zu formen, muß ebenfalls in den ersten Lebens- 
jahrzehnten erworben werden. Bei Tieren ist der 
Geschlechtstrieb instinktgesichert, d.h. auf Grund 
von Schlüsselreizen kann der Geschlechtstrieb ak- 
tiviert werden. Die Instinkte werden vom Stamm- 
hirn gesteuert. Beim Menschen kommt nun hinzu, 
daß der Geschlechtstrieb vom Orbitalhirn "sozial 
integriert" werden kann, werden muß. Penfield 
macht die fundamentale Aussage: "Das Gehirn 
des Menschen wird durch seinen Geist geformt"; 
und weiter "Das Gehirn erfährt eine Umbildung 
durch den Unterricht, den ein Kind erhält und durch 
die persönliche Anstrengung, die es macht." Damit 
ist die unerhörte Möglichkeit ausgedrückt, daß die 
Person ihr eigenes personales Organ, das Gehirn, 
formen kann. 

Letztlich wird also auch die Fähigkeit den Ge- 
schlechtstrieb zu beherrschen durch Training des 
Menschen erlernt. 

Von hier her wird der Ursprung homosexuellen 
Handelns deutlich. Der Geschlechtstrieb des Men- 
schen wird durch das Lernen und den Umgang 
geformt. So kann ein Mensch durch gleichge- 
schlechtlichen sexuellen Umgang, oder Mißbrauch, 
auf Gleichgeschlechtlichkeit festgelegt werden. 
Ebenso kann der Mensch durch Askese, also be- 
wusstes Verzichten, lernen den Geschlechtstrieb 
(und auch andere Triebe) zu beherrschen. Richtig 



beherrscht ist jeder Trieb etwas sehr positives, der 
beherrschte Trieb führt zur Freiheit des Menschen. 
Freiheit des Menschen ist ja nicht die Möglichkeit 
unter 50 Zigarettenmarken und unter 300 alkoholi- 
schen Getränken wählen zu können, sondern die 
Fähigkeit darauf zu verzichten. Die Freiheit des 
Menschen besteht darin, den Geschlechtstrieb so 
zu nutzen, daß das eigentliche Ziel des Triebes, 
die soziale Integration, erreicht werden kann. Das 
beinhaltet auch die Fähigkeit, verzichten zu kön- 
nen. 

Geschlechtliches Verhalten wird gelernt. Wenn nun 
gelehrt wird, daß homosexuelles Verhalten eine 
normale Spielart menschlicher Sexualität sei, wird 
die Zahl der Homosexuellen steigen. Je mehr eine 
Kultur eine Sitte toleriert, desto mehr nimmt sie 
überhand. Wenn Kinder in einer Umwelt aufwach- 
sen, in der das Beherrschen des Geschlechtstrie- 
bes nicht gelernt wird, ja sogar verpönt ist, in der 
das Abreagieren jeder geschlechtlichen Spannung 
möglichst bald und möglichst oft ermöglicht wird, 
verlieren sie die Möglichkeit im späteren Leben ih- 
ren Geschlechtstrieb zu beherrschen. Das Orbital- 
hirn kann mangels Übung die Integration des Ge- 
schlechtstriebes nicht ausüben. Dies bezieht sich 
auf alle Arten geschlechtlichen Verhaltens, nicht 
nur auf Homosexualität. 

Erziehung nach einem christlichen 
IVIenschenbild 

Das Wort "Erziehung" beinhaltet das Wort 
"ziehen". Bei einer Erziehung muß ein Ziel klar 
sein, wohin ich den Menschen ziehe. Wenn das 
Ziel unklar ist, kann ich keinen Menschen ziehen. 
Bei der heutigen "Pluralität", in der alle Meinungen 
als gleichwertig betrachtet werden, egal ob richtig 
oder nicht, müssen wir uns in der Erziehung an ei- 
nem Menschenbild orientieren. Das Menschenbild 
des Materialismus bewertet den Menschen als 
"denkende Materie". Von da her ist allein die Wei- 
tergabe der Gene, des menschlichen Erbgutes, 
wichtig. Hierbei kann alles als richtig angesehen 
werden, was dem Menschen bequem ist. Ein 
christliches Menschenbild sieht den Menschen als 
Geschöpf Gottes. Die Weitergabe des Lebens 
schließt Erziehung, (auch in religiösen Fragen) mit 
ein. Aus dem vorher gesagten ergibt sich die 
Wichtigkeit Kinder und Jugendliche im Umgang mit 
der Geschlechtlichkeit zu erziehen. Die Frage, wo- 
hin dabei erzogen werden soll, kann nur ein christ- 
liches Menschenbild beantworten. 

Literatur: 

Dr. med. Josef Rotzer: Menschenbild, Sexualität 
und Ehe, Grundriß einer evolutiven Anthropologie. 
Theologische Brennpunkte Band 21/22. (Der Band 
ist vergriffen. Ausleihen über die Landesbiblio- 
theken möglich) . i 

Dr. med. Josef Rotzer: Verantwortliche Elternschaft 
im Lichte eines christlichen Menschenbildes. Vor- 
trag vom Kongreß der Europäischen Ärzteaktion in 
Meran. Mit ausführlichem Literaturhinweis zur me- 
dizinischen Anthropologie. Zu erhalten bei: Euro- 
päische Ärzteaktion, Postfach 1123, 89001 Ulm 



22 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



s 



Zum Tod eines 
außergewöhnlichen l\/lenschen 

Prof. Max Thürkauf starb am 2. Weihnachtsfeiertag 
1993. 

Vor einiger Zeit traf ich in einer westdeutschen 
Stadt einen Kapuziner-Pater. Er fiel mir unter den 
modern gel^leideten IVIenschen sofort auf. Denn er 
trug das ordensübliche Kleid der franziskanischen 
Ordensgemeinschaften, den braunen Habit, die 
Kutte des Heiligen Franziskus. Er versteckte sich 
nicht! Er zeigte Farbe! Farbe tragen, heißt Farbe 
bekennen. Dieser Pater bekannte sich und legte in 
der Gesellschaft ein öffentliches Bekenntnis ab. 
Das machte Eindruck, auch auf mich. Respekt vor 
diesem Mann, so dachte ich. 

Daher ging ich auf den Pater zu und begann das 
Gespräch mit ihm. Sein Gesicht strahlte genau das 
aus, was man hinter ihm vermutete: Friede, 
Freude, Glück, Güte, Menschenfreundlichkeit. Für 
mich war klar: Von ihm bekomme ich keine 
"Kapuziner-Predigt" zu hören! Danach sah der 
Pater nicht aus. So spürte ich sofort, von ihm war 
Verständnis für alles Menschliche, auch für alles 
Allzumenschliche zu erwarten. Daher fragte ich 
den Pater, woher er komme, wo er stationiert sei. 
Seine Antwort war: Er komme vom Kapuzinerklo- 
ster Frankfurt am Main. Dieses liege im Schäfer- 
gäßchen Nr. 3, ganz in der Mitte der Stadt Frank- 
furt, unweit der Hauptwache, dicht neben der Zeil, 
der Hauptstraße der deutschen und wohl auch 
bald der europäischen Finanz- und Wirtschaftsme- 
tropole. 

Als ich die Frage stellte, was er dort den ganzen 
Tag mache, kam die spontane Antwort: Er sei dort 
der Haupt- Beichtvater und sitze die ganze Woche 
von morgens bis abends im Beichtstuhl. Auf mei- 
nen Einwand: "Da bekommen Sie aber viel zu hö- 
ren" kam sofort die zurechtweisende Entgegnung: 
"Sagen Sie dies nicht! In Frankfurt und Umgebung 
gibt es etwa 200 Heilige!" Darüber wunderte ich 
mich, denn in den Seitenstraßen, die von der Zeil 
abgehen, liegen die vielen Unterhaltungs- und 
Vergnügungszentren der Stadt Frankfurt. Doch 
dies wußte der Pater auch. Er mußte aber auch 
wissen, daß trotz einer solchen Umgebung heilig- 
mäßig lebende Menschen in Frankfurt ihrem Beruf, 
ihrem Auftrag, ihrer Lebensaufgabe nachgehen 
und dieses in einem besonders schwierigen und 
gewiß nicht leichten Lebensumfeld. 

Wenn es in Frankfurt 200 Heilige gibt, dann gibt es 
Heilige auch in Köln, in Hamburg, in Berlin, in 
Leipzig, in München, in Wien, in Zürich und sicher 
auch in Basel. Einer dieser modernen Heiligen in 
Basel war - das darf man annehmen und man liegt 
damit sicher nicht ganz falsch in der Beurteilung - 
der Physiker und Chemiker Professor Dr. phil. Max 
Thürkauf. 

1925 in Basel geboren wurde Max Thürkauf in sei- 
ner Heimatstadt getauft und in die katholische Kir- 
che aufgenommen. Doch sein Lebensweg war 
nicht vorprogrammiert. Es war kein gerader, kein 
kontinuierlicher. In seinem Leben gab es Umwege, 
Abweichungen vom Ziel jedweden menschlichen 
Lebens. Schließlich kam es, wie so oft bei Natur- 
wissenschaftlern und bei Wissenschaftlern über 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 









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haupt, zum Glaubensverlust, zum Bruch mit der 
Kirche und zum Austritt aus der katholischen Kir- 
che. Daran änderte auch der Schmerz, den er sei- 
nen Eltern damit bereitete, nichts. Und auch die 
Heirat mit der im benachbarten Freiburg i.Br. gebo- 
renen Schauspielerin Inge Hugenschmidt ver- 
mochte daran nichts zu korrigieren. 

Wie so viele Wissenschaftler, insbesondere Na- 
turwissenschaftler, glaubte auch Prof. Thürkauf nur 
an das Beweisbare, das exakt Erklärbare, das 
Meßbare. Er glaubte nur an den menschlichen 
Verstand, dem allein die Erkenntnis der Wahrheit 
und vor dem Erkennen dieser der Primat des Han- 
delns zukomme. Prof. Thürkauf wurde und war 
lange Zeit seines Lebens Pragmatiker. Ihn interes- 
sierte nur das Machbare. Wie Max Scheler (1874- 
1928) lehrte, war auch bei ihm neben dem Geist 
der Drang zum Erreichen wissenschaftlichen Fort- 
schritts ein Prinzip des Weltprozesses und der 
menschlichen Lebensgestaltung, auch das seines 
eigenen Lebens. Der Pragmatismus wurde und 
war lange Zeit Inhalt seines Lebens. Sein For- 
schen galt daher allein dem Nutzbarmachen, den 
praktischen Anwendungsmöglichkeiten der For- 
schungsergebnisse und des Erkennens physika- 
lisch-chemischer Prozesse. Damit hatte Prof. 
Thürkauf große wissenschaftliche Erfolge zu errei- 
chen vermocht. So war er ganz befangen in seiner 
Wissenschaft und ein Gefangener der Chemie und 
der Physik. Darüber hinaus vermochte er nichts 
mehr zu erkennen. In seiner Befangenheit strebte 
er auch gar nicht danach. Er war wie geblendet, er 
war blind für alles, was noch über Chemie und 
Physik stehen konnte. Was Augustinus (354-430 
n.Chr.), der größte christliche Platoniker und Be- 
gründer einer großartigen und der ersten christli- 
chen Anthropologie, schon im 4. Jahrhundert sa- 



23 



I 



gen konnte "Immer, wenn ich nicht mehr verstehen 
l<ann, ist Gott", das war für* Prof. Thürl^auf Jahr- 
zehnte seines Lebens hindurch ein völlig fremdes 
Denken. Zur Religion hatte er keinen Bezug. Doch 
es sollte anders kommen. 

Prof. Thürkauf fing ganz unten an in seiner berufli- 
chen Laufbahn. Er verließ mit 15 Jahren die 
Schule und trat als Laborgehilfe in eine der chemi- 
schen Fabriken seiner Heimatstadt ein. Die Arbeit 
als Laborgehilfe befriedigte ihn nicht. Er wollte 
weiterkommen, sein Wissen erweitern und nicht 
nur Routinearbeit leisten. Daher besuchte er die 
letzten drei Jahre seiner immerhin siebenjährigen 
Fabrikarbeitszeit ein Abendgymnasium und erwarb 
sich die Hochschulreife. 1948 als 23-Jähriger be- 
gann er an der Universität Basel das Studium der 
Chemie und Physik. Doch als Student verlor erden 
Glauben seiner Kinder- und Jugendzeit und - kon- 
sequent, wie er war - trat er auch aus der Kirche 
aus. Sein wissenschaftlicher und beruflicher Auf- 
stieg ging aber rasch nach oben. Max Thürkauf 
wurde nach seiner Promotion zum Dr.phil. und 
nach seiner Habilitation Professor für physikalische 
Chemie an der Universität Basel. Als solchem ge- 
lang ihm die Herstellung von schwerem Sauerstoff, 
was 1963 zur Verleihung des Ruzicka-Preises 
führte. 

Prof. Thürkauf war auch Miterfinder einer Anlage 
zur Gewinnung von schwerem Wasser. Die Folgen 
der Entwicklung dieser Anlage - sie half Frankreich 
zur Entwicklung und zur Herstellung seiner ersten 
Atombombe - waren es auch, die bei Prof. Thür- 
kauf zu der Einsicht führten, daß es keine Wert- 
freiheit, auch physikalisch-chemischer Forschung 
gibt und daß es eine Mitverantwortung der For- 
schung und des Forschers für mögliche bedrohli- 
che Folgen ihrer Ergebnisse am Leben und an der 
Gesundheit vieler Menschen gibt. 

Als Frankreich in der Wüste Sahara seine erste 
Atombombe zündete, an deren Entwicklung Prof. 
Thürkauf maßgeblich beteiligt war, schlug auch für 
ihn seine "Damaskus-Stunde". Wie einst vor Da- 
maskus dem Saulus, dem Zeltemacher aus Tarsus 
an der Südküste der heutigen Türkei, so fiel es 
beim Aufblitzen der Sahara-Bombe auch Max 
Thürkauf "wie Schuppen von seinen Augen, und er 
sah wieder" (Apg. 9,18). Auch "er stand auf" (Apg. 
9,18), glaubte wieder und bekehrte sich zum Glau- 
ben seiner Jugend. Er kehrte um in einer Radika- 
lität, wie sie nur Heiligen eigen ist, und gab alles 
auf, was er besaß: Seinen Lehrstuhl an der Uni- 
versität Basel, seinen materiellen Besitz, seine so- 
ziale Absicherung. Wie aus dem Zeltemacher aus 
Tarsus der größte Theologe aller Zeiten und der 
Völkerapostel Paulus wurde, so wurde aus dem 
Professor für physikalische Chemie an der Univer- 
sität Basel ein Bekenner, ein Künder der Wahrheit, 
daß es keine wertfreie Wissenschaft gibt, keinen 
"Deus ex machina", daß es keine Technokratie 
geben darf, sondern nur die moralische Verant- 
wortung gegenüber Gott, die Verantwortung, die 
nie abgeschoben werden kann und die nicht auf 
andere delegiert werden darf. Wie Franziskus, dem 
größten Heiligen aller Zeiten, war es von nun ab 
Max Thürkauf klar, "daß er sein bisheriges Leben 
auf Nichtigkeiten aufgebaut, daß er seine Jugend- 
jahre spielerisch vertan hatte und sich schämen 
müsse vor den Großen der Geschichte und vor 



Gott (Hl. Franziskus von Assisi von Hans Hümme- 
ler in "Helden und Heilige", Siegburg 1964). Max 
Thürkauf kehrte daher nicht nur in äußerster Uner- 
bittlichkeit um, er lebte von nun ab nur in aller- 
größter Bescheidenheit, verzichtete wie Franziskus 
auf alle Annehmlichkeiten des Lebens und bezog 
eine karge Wohnung im Dachgeschoß eines ho- 
hen Mietshauses in Basel, die er erst gegen Ende 
seines Lebens, von schwerer Krankheit gezeich- 
net, gegen eine nicht minder bescheidene Woh- 
nung in Weil am Rhein auf der Basel gegenüber 
liegenden Rheinseite vertauschte. 

Max Thürkauf starb in Weil am Rhein am Tag des 
Heiligen Stefanus 1993 nach einer langen und 
schweren Leidenszeit in seinem neunundsechzig- 
sten Lebensjahr. Er wird, dessen dürfen wir sicher 
sein, weiterleben bei Gott, für den er die letzten 
Jahre seines Lebens als unerschrockener Beken- 
ner sich selbst verzehrte, er wird weiter leben in 
den über zwanzig Büchern und sonstigen Veröf- 
fentlichungen, die er rastlos geschrieben hat, er 
wird weiterleben bei den unzähligen Zuhörern sei- 
ner fast pausenlosen Vorträge in ganz Europa, er 
wird aber auch weiterleben in den Herzen vieler 
Freunde und Anhänger, die ihm ein dankbares An- 
gedenken bewahren. Zu ihnen zählen ganz be- 
sonders die Mitglieder der Europäischen Ärzteak- 
tion in den deutschsprachigen Ländern. 
Alfred Häußler 

Die Europäische Ärzteaktion verlor mit unserem 
verehrten Professor Max Thürkauf nicht nur einen 
großen Wissenschaftler, sondern einen wahrhaften 
Zeugen (Professor) für die ganze Wahrheit und 
Wirklichkeit unserer menschlichen Existenz. Er 
verkörperte jene Synthese des exakten Wissen- 
schaftlers, der die materiellen Grundlagen unserer 
Welt bis in die letzten physikalischen und chemi- 
schen Gesetzmäßigkeiten von ihrer äußeren Er- 
scheinung her "objektiv" wissenschaftlich erkannte 
und der doch andererseits die Frage nach dem in- 
neren Wesen der Schöpfung und des Menschen 
mit ungewöhnlicher Vollmacht damit "komplemen- 
tär" verbunden hat. 

Er war deshalb ein wahrhafter Prophet für unsere 
Zeit, für dessen Hilfe und Freundschaft wir nicht 
genug danken können. Die Floskel, die man heute 
gemeinhin gebraucht, "Wir werden ihm ein ehren- 
des Andenken bewahren" trifft in seinem Fall für 
uns nicht zu. Nein, wir alle sind mit verantwortlich, 
daß sein Wort und seine Botschaft nun, nachdem 
sie durch seinen Tod das Siegel des Unvergängli- 
chen erhielt, nicht nur ein schönes Andenken wird, 
sondern durch seine Bücher, Schriften, Tonband- 
und Videokasetten erst zur vollen Wirkung kommt. 
Für sein Sterben gilt jenes Wort aus der Offenba- 
rung des Apostel Johannes im vollen Sinne: 
"Und ich hörte eine Stimme vom Himmel zu mir 
sagen: Schreibe: Selig sind die Toten, die in dem 
Herrn sterben von nun an. Ja, spricht der Geist, sie 
sollen ruhen von ihrer Mühsal; denn ihre Werke 
folgen ihnen nach. Off 14, 13" 
Wir verneigen uns vor diesem großen Toten in 
Dankbarkeit und Verehrung und nehmen teil an 
dem Schmerz um den unersetzlichen Verlust, den 
seine liebe Frau durch seinen Heimgang erlitten 
hat. 

Im Namen der Europäischen Ärzteaktion 
Dr. med. Siegfried Ernst, I.Vorsitzender. 



24 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



Prof.Dr.med. Hans-Bernhard Wuermeling .^^t 

Zusammenhang von Friedensgesinnung und Abtreibung 



S 



Mit seinem Anfang - und nicht erst durch seine 
Geburt - ist ein IVIensch biologisch als Mensch ge- 
kennzeichnet und von allem anderen Lebendigen, 
sei es vormenschlich (z.B. Ei und Samenzelle), sei 
es nichtmenschlich wie Pflanze und Tier, klar un- 
terscheidbar. Er ist nicht mehr ein verfügbares Et- 
was, sondern ein unverfügbarer Jemand. Natürlich 
gewinnt er vorgeburtlich erst mit der Zeit die un- 
verwechselbare Gestalt eines Menschen. Ebenso 
bildet er ja auch nach seiner Geburt erst mit der 
Zeit jene Besonderheiten aus, die den vollendeten 
Menschen etwa mit Freiheit, Verantwortung oder 
Kommunikationsfähigkeit auszeichnen: Aus der 
bereits existierenden Person wird vor und nach der 
Geburt immer mehr die erfahrene und erfahrbare 
Persönlichkeit. Person aber ist bereits das Wesen, 
hinter dem mehr steckt, als der erste Anschein 
vermittelt, nämlich eben ein Jemand, der sich sel- 
ber Zweck ist und damit niemandes anderen blo- 
ßes Mittel sein darf. 

Es gibt nun zwei innere Einstellungen, mit denen 
Menschen andere Menschen töten. Oft gehen sie 
ineinander über. Die eine versucht, das Töten zu 
rechtfertigen. Die andere fragt gar nicht erst nach 
Rechtfertigung. 

Der Rechtfertigungsversuch besteht darin, den zu 
Tötenden als Nicht-Menschen zu deklarieren. So 
bezeichnete der Psychiater Hoche Geisteskranke 
als "leere Menschenhülsen", um sie einer unerbe- 
tenen, schönfärberisch als "Euthanasie" (= schö- 
ner Tod) bezeichneten Tötung unterziehen zu kön- 
nen. So bezeichneten die Nationalsozialisten die 
Juden als "Untermenschen", um den an ihnen in- 
dustriell vollzogenen Massenmord zu rechtfertigen. 
So sprachen die europäischen Eroberer Amerikas 
den dort lebenden Indios das Menschsein ab, um 
sie rücksichtslos ausbeuten und ausrotten zu kön- 
nen. Nach dem gleichen Muster wird noch nicht 
geborenen Menschen unter Hinweis auf ihre Un- 
vollkommenheit die Eigenschaft Mensch abge- 
sprochen. Das geschieht mittels primitiver - und 
besseres Wissen unterdrückender - Beschreibung 
ihrer Gestalt ("himbeerähnliches Gebilde") oder 
aber auch durch wunschgeleitete Deutung ihrer 
Lebensphase ("reiner Bestandteil des weiblichen 
Körpers"). 

Besonders raffiniert ist es, dem Ungeborenen die 
Qualität Mensch deswegen abzusprechen, weil 
und solange er noch nicht von Menschen akzep- 
tiert sei. Auf diese Weise wird die Zugehörigkeit zu 
dem geschützten Kreis der Menschen nicht mehr 
ganz einfach vom Dasein abhängig gemacht, son- 
dern von einer jeweils angeblich erforderlichen be- 
sonderen Aufnahme in diesen Kreis von denen, die 
sich schon darin befinden. Das kommt der Auslie- 
ferung des Menschen an die Willkür derjenigen 
gleich, die - wie auch immer - das Sagen haben. 

In jedem Falle wird der Nicht-Mensch, der Noch- 
nicht-Mensch oder der Nicht-mehr-Mensch zur 
Disposition gestellt und zum Töten freigegeben. 



Bei diesen Ausgrenzungsversuchen wird das Ver- 
bot, Menschen zu töten, im Grunde immer noch 
als gültig angesehen. Darum wird ja im Einzelfall 
versucht, diese Gültigkeit unter Hinweis auf die 
Nicht-Mensch-Eigenschaft des zu Tötenden zu be- 
streiten. Daneben gewinnt immer mehr eine primi- 
tivere Einstellung zum Töten an Bedeutung, die 
besorgter Beobachtung bedarf. 

Diese fragt einfach nicht mehr nach Menschsein 
oder nicht, sondern sie folgt rücksichtslos eigenen 
Interessen. Oft tarnt sie gewöhnlichen Egoismus 
mit dem Wort Selbstverwirklichung. 

Ausgangspunkt ist der Konflikt, den die Existenz 
eines Kindes hervorruft, für den eigenen Lebens- 
plan, wirtschaftlich oder auch in der Partnerbezie- 
hung. Der Konflikt wird durch die Beseitigung des 
Konfliktgegners erledigt. Das geht leicht, weil der 
Staat Abtreibung nicht oder nicht nachhaltig ver- 
folgt, gar ein Recht darauf verleiht, wie die ehema- 
lige DDR, oder Abtreibung für Minderbemittelte 
durch Sozialhilfe finanziert (wie gegenwärtig in der 
Bundesrepublik). Das geht auch deshalb leicht, 
weil viele Menschen so "kleine" und im mehr oder 
weniger privaten Bereich sich vollziehende Tötun- 
gen hinzunehmen bereit sind. 

Im Grunde ist aber damit ein Handlungsmuster 
gutgeheißen, das mit dem friedlichen Zusammen- 
leben der Menschen unvereinbar ist. Es besteht 
darin, Konflikte eben durch Beseitigung des Kon- 
fliktgegners zu lösen. Da dies natürlich immer nur 
dem Stärkeren gelingt, ist dieses Handlungsmuster 
die Verwirklichung des Rechtes des Stärkeren. 
Das Recht des Stärkeren wird mit dem Verweis auf 
"die Natur" begründet, in der es ja auch herrsche - 
und sogar zu einem Grundprinzip der Evolution 
alles Lebendigen geworden sei: "Survival of the 
fittest", das Überleben des Stärkeren, habe die 
Selektion der Besten aus der allgemeinen Masse 
ermöglicht. In der Form des Sozialdarwinismus, 
also der primitiven Übertragung natürlicher Vor- 
gänge auf das Sollen des Menschen, ist diese 
Auffassung politisch umgesetzt und hat im Natio- 
nalsozialismus organisiert Gewalt vor Recht ge- 
setzt, was in millionenfachem Morden endete. 

Von dem Augenblick an, in dem der Mensch nicht 
mehr nur Bestandteil der Natur und ihr ausschließ- 
lich unterworfen war, sondern darüber hinaus 
(meta-physisch) zum Zweck seiner selbst wurde, 
wie auch immer dies geschehen sein mag, gab es 
mehr als das Recht des Stärkeren. Es gab die Er- 
fahrung der Friedenssehnsucht und ihr entspre- 
chend die Pflicht zum Frieden. Friedlich zu handeln 
heißt nun aber zuallererst, Konflikte nicht durch 
Beseitigung des Konfliktgegners zu erledigen. 
Wollte man das nämlich zulassen, so wäre alle 
Form menschlicher Gemeinschaft, ja jedes Zu- 
sammenwirken von Menschen durch die Möglich- 
keit sittlich vertretbaren Tötens vergiftet. 

Weil das Tötungsverbot so grundlegend wichtig für 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



25 



das Zusammenleben der Menschen ist, muß es 
auch in echten oder vermeintlichen Grenzberei- 
chen sorgsam hochgehalten werden. Wo sich 
aber, wie in der Abtreibungsfrage, eine Gesinnung 
breitmacht, aus der heraus Konfliktgegner, kleine 
und deshalb schwache, einfach beseitigt werden, 
neigt eine solche Gesinnung dazu, sich auch auf 
andere Gebiete auszubreiten. Dem ist durch Er- 
ziehung zur Friedensgesinnung und mit Mut zur 
Ethik entgegenzutreten. 

Die Praxis der Abtreibung und mehr noch ihre viel 
weiter verbreitete Duldung erodiert aber heimlich 
die lebensnotwendige Friedensgesinnung unter 
den Menschen und eröffnet uns, wenn wir dies 
nicht erkennen und aufklärend und erzieherisch 



darauf antworten, geradezu unheimliche Aspekte: 
den Krieg aller gegen alle. 

Gerade die, die sich mit bestem Willen und allem 
Engagement für den Frieden einsetzen, dürften für 
diese Überlegung ansprechbar sein und sollten 
damit angesprochen werden. Friede ist nicht Na- 
turgegebenheit, sondern Kulturleistung und nicht 
nur physisch, sondern auch intellektuell bedroht. 

Prof. Dr. med. Hans Bernhard Wuermeling ist 
Lehrstuhlinhaber für Rechtsmedizin an der Univer- 
sität Erlangen - Nürnberg und Direktor des ge- 
richtsmedizinischen Institutes dieser Universität 



Zum BVG - Urteil vom 28.5.93 

Am Recht Maß genommen - 
aber Lebensschutz-wirksam? 

Eine Besprechung des damals noch mit Spannung 
erwarteten zweiten Urteils des Bundesverfas- 
sungsgerichtes in Sachen Lebensrecht (nach sei- 
nem eindeutigen, aber jahrelang unterlaufenen 
Urteil vom 25.2.74) erfolgt erst mehr als neun Mo- 
nate später, weil abgewartet werden sollte, ob es 
denn im Ergebnis diesmal nicht als zweideutig ab- 
getan werden muß. Jetzt nach der 1. Lesung der 
erneut notwendig gewordenen Gesetzesentwürfe, 
die noch aufgrund verbaler Disziplin an den Bun- 
destagsausschuß "Schutz des ungeborenen Le- 
bens" (vor den schon am 15.11.1991 ein Abtrei- 
bungsmediziner sich berühmen konnte, er habe 
seit 1980 zweiunddreißigtausend Schwanger- 
schaftsabbrüche durchgeführt) zur Weiterberatung 
überwiesen wurden, ist die Zeit gekommen für eine 
ausreichend schlüssige Beurteilung der Lebens- 
rechtssprüche vom 28.5.93 aus Karlsruhe. 
Immerhin: Das Töten eines im Mutterleib nurmehr 
heranwachsenden Kindes ohne den zureichenden 
Grund einer noch so windigen Indikation ist 
rechtswidrig und darf von der Gesetzlichen Kran- 
kenkasse nicht finanziert werden. Zweitens ist das 
vom BVG jetzt ermöglichte Nur-Beratungs-Modell, 
nachdem vom Gesetzgeber das Beratungs- und 
Indikationsmodell weder im Gesetz noch schon gar 
in der Praxis nie ernsthaft in geltenes Recht um- 
gewandelt wurde, diesmal ausdrücklich ein Modell 
auf Probe. Das Gericht hat öffentliche Beobach- 
tung durch das Statistische Bundesamt angeordnet 
und erwartet im Versagensfall Nachbesserung. 
Drittens lesen sich die Seiten 119 bis 129 (nach 
dem vom Gericht verteilten Originalabdruck) weit- 
hin als Ärzteschelte und fordern - nochmals her- 
ausgehoben im Leitsatz 13 zum Urteil - eine ge- 
setzliche Regelung, die sicherstellt, daß vom "Arzt" 
eine Lebensschutzfunktion ausgeht, womit die der- 
zeit herrschende Meinung, nunmehr liege die sog. 
Letztverantwortung bei der Frau, so nicht richtig 
ist, denn: "Der Arzt darf einen verlangten Schwan- 
gerschaftsabbruch nicht lediglich vollziehen, son- 
dern hat sein ärztliches Handeln zu verantworten" 
(S. 119). Der Arzt ist also offiziell kein Erfüllungs- 



gehilfe des Verlangens, ein nichtangreifendes indi- 
viduelles Menschenleben im Mutterleib zu töten. 
Kann ein Arzt, der in mehr als 25 Jahren von sei- 
nen Kollegen immer wieder zu ihrem Interessens- 
vertreter gewählt wurde und in dieser berufsent- 
scheidenden Frage nicht nur immer Recht hatte, 
sondern sogar vom obersten Gericht seines Lan- 
des zweimal (1974 u. 1993) recht bekam, denn 
noch eigentlich mehr verlangen? - Nein! - es sei 
denn, es handelt sich um einen Deutschen, dessen 
Landsleute seit nun bald 50 Jahren einer latenten 
Kollektivscham, aber auch Schuld an tödlichen 
Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind und 
von dem - wie von jedem verantwortlich Tätigen - 
Zivilcourage verlangt wird bei elementaren Verstö- 
ßen der Stärkeren gegen das Lebensrecht der 
Schwächeren, noch dazu als Angehörigem eines 
Berufsstandes, der einem Tötungsauftrag gegen- 
über diametral entgegengesetzten Heilungsauftrag 
verpflichtet ist und daher die Einbindung seines 
Berufsstandes in ein gesetzliches Tötungssystem 
nicht hinnehmen kann. Gerade an diesem Punkt 
der Fremdbestimmung eines ganzen Berufsstan- 
des entsteht m.E. die Pflicht für jeden berufsord- 
nungsgemäß handelnden Arzt zum Widerstand, 
denn aus den strafgesetzlich verankerten Verwei- 
gerungsrecht des Arztes, bei einer ohne jede Indi- 
kation verlangten Abtreibung mitwirken zu sollen, 
folgt zwingend die Verweigerung der Kollegialität 
mit dem berufsmäßigen Abtreiber, der nicht nur - 
wie vom Bundesverfassungsgericht zutreffend so 
qualifiziert - ständig rechtswidrig handelt, sondern 
ausschließlich vom Töten lebt. Darüberhinaus 
sollte die Ärzteschaft alles tun, daß die approbier- 
ten Abtreibungsmediziner aus der verfassten Ärz- 
teschaft entlassen und in einer staatlich konzes- 
sionierten Berufsgruppe der Schwangerschaftsab- 
brecher organisiert werden (Lebensbeendigerkam- 
mer). Denn es beschränkt zwar in unserer eng 
verflochtenen Gesellschaft die Erweiterung des 
Freiraumes von A automatisch den Freiheitsraum 
von B, aber dies darf doch nicht mit gleicher Kon- 
sequenz zum ethischen Bankrott eines vormals 
hochstehenden Berufsstandes führen können. 
Nachlesenswert hat das Bundesverfassungsge- 
richt am Recht auf Leben und den daraus folgen- 
den Rechten Maß genommen, aber dann doch der 
staatlichen Verpflichtung zum Lebensschutz der 



26 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 






Schwächeren - woraus jeder Rechtsstaat seine ei- 
gentliche Existenzberechtigung herleitet - keine 
begehbare Brücke gebaut, sondern den staatlichen 
Lebensschutz de facto ausgehebelt. Allein die 
Feststellung des BVG auf S. 175 seines Urteils 
vom 28.5.93...",daß der Staat zur Verwirklichung 
des Schutzkonzepts für das Bereitstehen ärztlicher 
Hilfe zum Abbruch der Schwangerschaft in einer 
Entfernung zu sorgen hat, die von der Frau nicht 
die Abwesenheit über einen Tag hinaus verlangt", 
bedeutet realiter den Vorrang staatlicher Fürsorge 
für flächendeckende Versorgung mit Tötungsein- 
richtungen vor jeder staatlichen Lebensschutz - 
Anstrengung, die zur Privatsache gemacht wird. In 
diesem Zusammenhang ist die Auffassung des zu- 
ständigen juristischen Sachbearbeiters der Bayeri- 
schen Staatsregierung, Herrn Ministerialrat Ger- 
hard Hoisl, von elektrisierendem Interesse, nach 
dem der Freistaat den ausschließlichen Abtreibern 
für die Einrichtung ihrer privaten Einrichtungen 



noch dankbar sein müßte, weil der Staat sonst sol- 
che Abtreibungsmühlen selber zu schaffen hätte. 
Bei dieser Sachlage vermag die wohlmeinende 
BVG - Kennzeichnung "Verwirklichung des 
Schutzkonzeptes" nicht mehr zu beruhigen, denn 
hier wird die staatliche Schutzpflicht doch an 
pflichtvergesse "Ärzte" delegiert, die selbst nahe 
am Wohnort der Schwangeren nun einmal ihren 
Lebensunterhalt mit Töten am Fließband bestrei- 
ten. 

So wird man fragen dürfen, ob dieses Konzept 
nicht viel mehr eine bevölkerungspolitisch wirk- 
same Abtreibungs-Routine "schützt" als etwa 
wehrloses Menschenleben vor seinen unwilligen 
Eltern. Und nach den Erfahrungen aus totalitärer 
Vergangenheit in West und Ost sind "Schutzkon- 
zepte", an denen interessierte Mediziner mitwirken, 
nun einmal zu fürchten. 

Dr. med. Ernst Th. Mayer 



aus: HLI Reports Gaithersburg, USA Februar 1994 

In Deutschland Abtreibung auf Wunsch 



i. 



Eine Stellungnahme von P.Dr. Paul Marx OSB, 
dem Präsidenten von Human Life International 
zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts über 
die Regelung der Abtreibungsgesetzgebung und 
seiner Beurteilung durch führende Vertreter der 
Katholischen Kirche in Deutschland und USA. 

Über die Entscheidung des Bundesverfassungsge- 
richtes zur Abtreibung vom 27. Mai 1993 habe ich 
mindestens 20 falsche Urteile gelesen. Kardinal 
John O'Connor nannte sie (in seiner Diözesanzei- 
tung) "Catholic New York" prächtig (magnificent), 
Prälat Philip J. Reilly, Geschäftsführer der "Helpers 
of God's Precious Children" (eines sich ausbrei- 
tenden Hilfswerks für den Schutz ungeborener 



Der Benediktiner und Soziologieprofessor Dr. Paul 
Marx stieg vor 40 Jahren von seinem Lehrstuhl an 
der St. John's University in Collegevill, Minnesota, 
herab und übernahm die Aufgabe, überall in der 
Welt, bisher in 77 Ländern, die von der internatio- 
nalen Hochfinanz finanzierte Verhütungs- und Ab- 
treibungskampange der "International Planned 
Parenthood Organisation" und ihre Mythologie der 
"Bevölkerungsexplosion" zu entlarven. Er ist der 
Gründer und Leiter der "Human Life International" - 
Organisation U.S.A. mit Filialen in verschiedenen 
Ländern. Über seine weltweiten Erfahrungen und 
von ihm organisierten internationalen Kongresse 
geben seine Bücher "Confessions of a Prolife Mis- 
sionary" und "Fighting for Life" sowie eine Reihe 
periodischer Informationszeitschriften beredte 
Auskunft. Papst Johannes Paul II. hat ihn gegen 
alle Widerstände zur Fortführung des "guten 
Kampfes" als der "wichtigsten Aufgabe der Ge- 
genwart" ermutigt und bestärkt. 



Kinder und ihrer Mütter in der Diözese Brooklyn), 
pries sie (Vgl. Wanderer, S.Juli 1993). Der Heraus- 
geber der (kath. Zeitschrift) "First Things" gab 
ebenfalls einen falschen Bericht. 
Ich möchte die Sache richtigstellen. Die kompli- 
zierte 183-seitige Entscheidung läuft auf Abtrei- 
bung auf Wunsch hinaus. 

Kinder und ihrer Mütter in der Diözese Brooklyn), 
pries sie (Vgl. Wanderer, S.Juli 1993). Der Heraus- 
geber der (kath. Zeitschrift) "First Things" gab 
ebenfalls einen falschen Bericht. 
Mit einem Votum von 6 zu 2 hat das Gericht das 
Abtreibungsgesetz von 1992, die sogenannte Fri- 
stenregelung, teilweise für nichtig erklärt und eine 
Übergangsregelung geschaffen, die bis zum Erlaß 
eines neuen Gesetzes in Kraft ist. Danach wird 
eine Abtreibung nicht bestraft, wenn sie innerhalb 
der ersten 12 Wochen von einem Arzt vorgenom- 
men wird, die Frau dies verlangt und mindestens 
drei Tage zuvor eine Beratung stattgefunden hat, 
die durch eine Bescheinigung nachgewiesen wird. 
An der Fristenregelung kritisiert das Bundesverfas- 
sungsgericht vor allem, daß Abtreibung unter den 
vorgenannten Bedingungen "gerechtfertigt" sein 
soll; sie könne dagegen nur "straffrei" sein. Das 
Gericht stellt nun bereits zum zweiten Mal klar, daß 
das menschliche Leben mit der Empfängnis be- 
ginnt. Das allein sollte der deutschen Verfassung 
entsprechend den vollen Schutz fordern 
Die juristische Unterscheidung zwischen "gerecht- 
fertigter" und "straffreier" Abtreibung ist beispiellos 
in der Gesetzesgeschichte; sie ist vor allem for- 
maler Natur und hat kaum einen Effekt auf die 
hemmungslose Abtreibungspraxis. De facto be- 
deutet sie Abtreibung auf Wunsch, denn für die 
Schwangere und/oder den Arzt, der die Abtreibung 
vornimmt, ist es entscheidend, ob sie Strafe zu er- 
warten haben. 
Das grundsätzlich Neue (weltweit) am Urteil des 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



27 



L_ 



Gerichtes ist, daß es als verfassungsl^onform be- 
zeichnet wird, die Schutzwirl^ung von Strafe durch 
Beratung (und Hilfe) zu ersetzen. Damit hat das 
oberste deutsche Gericht einen Paradigmenwech- 
sel vollzogen: Beratung statt Strafe! Folgerichtig 
müßte es dann verfassungsgemäß sein, die Eu- 
thanasie aufgrund vorheriger Beratung straffrei zu 
stellen. Prominente Juristen haben die Wider- 
sprüchlichkeit und Einmaligkeit der Scharade des 
Gerichts hervorgehoben. 

Auch ist zu bedenken, daß wenn bei der Verlet- 
zung des Höchstwertes Leben Strafe durch Bera- 
tung ersetzt werden kann, dies prinzipiell auch bei 
der Verletzung aller niedrigeren Güter und Werte, 
z.B. Gesundheit, Eigentum, Ehe, Rede- und Ge- 
wissensfreiheit, möglich wäre. Wenn ich z.B. ein 
Auto stehlen möchte, könnte ich mir nach Beratung 
eine Bescheinigung geben lassen, die mir einen 
straffreien Diebstahl gewährt. 
Da die Beratung die Strafe ersetzen soll, bestimmt 
das Gericht, daß sie dem Schutz des Lebens zu 
dienen habe. Darum muß der Berater für den 
Schutz des Lebens eintreten, aber auch Methoden 
der Geburtenkontrolle empfehlen. Der Bericht des 
Beraters für den Arzt soll die Gründe für die ge- 
wünschte Abtreibung enthalten und angeben, wel- 
che Bemühungen zur Erhaltung des Lebens (Hilfe, 
Information etc.) erfolgt sind. 
Amtliche Beratungsstellen und Abtreibungsein- 
richtungen dürfen weder organisatorisch noch wirt- 
schaftlich miteinander verbunden sein. Personen 
aus dem familiären Umfeld der Schwangeren, wel- 
che die Schwangere zur Abtreibung zwingen oder 
auch nur drängen, werden mit Strafe bedroht. So- 
gar der abtreibende Arzt ist verpflichtet, alles zu 
tun, was er kann, um die Schwangere zu überzeu- 
gen (ihr Kind) nicht abtreiben zu lassen. 
Der Schwangeren ist medizinische, soziale und ju- 
ristische Information zu vermitteln. Es ist ihr be- 
wußt zu machen, daß es sich bei der Abtreibung 
um die Vernichtung eines menschlichen Lebens 
handelt und dies Unrecht ist, jedoch "straffrei", falls 
sie sich für Abtreibung entscheidet. Somit sagt das 
Gesetz, "Nein, aber..." 

Obschon die aufgrund der Beratung in den ersten 
drei Monaten straffreie Abtreibung "Unrecht" bleibt, 
wird der Frau die letztverantwortliche Entscheidung 
und damit ein Herrschafts recht über das Leben 
ihres ungeborenen Kindes zugesprochen. 
Dementsprechend sollen die Beratungsstellen die 
Beratung "ergebnisoffen" gestalten und die Ent- 
scheidung der Frau in jedem Fall respektieren. 
Sollte die Frau sich für die Tötung ihres Kindes 
entscheiden, hat die Beratungsstelle ihr einen Be- 
ratungsschein auszustellen, der das Kind zur 
straffreien Tötung freigibt. Es ist offensichtlich, daß 
eine solche gesetzlich festgelegte Straffreiheit 
vermittelnde Beratung gegen christliche Grund- 
sätze verstößt und von der katholischen Kirche 
oder pro-life Gruppen nicht mitgetragen werden 
kann. 

Wenn der Arzt sich weigert, eine "unrechtmäßige" 
Abtreibung, die durch eine mit Regierungsgeldern 
unterstützte Beratung sanktioniert wird, durch- 
zuführen, kann ihm gekündigt werden, wenn die 
Klinik ihn nicht anderweitig beschäftigen kann. 
Ferner erklärt das Gericht, gegen die Durchführung 
der Abtreibung könne keine Nothilfe geleistet wer- 
den. Somit hat auch der Vater kein legales Recht, 
sein ungeborenes Kind vor der Vernichtung zu be- 



wahren. 

Das Gericht hat die normalerweise mit "unrecht- 
mäßiger" Abtreibung verbundenen rechtlichen Fol- 
gen beseitigt mit der Begründung, daß sie dem 
Schutzkonzept der Beratung entgegenstünden. 
Doch das Gericht hat nicht nur die von einem Arzt 
in den ersten drei Monaten nach vorheriger Bera- 
tung vorgenommenen Abtreibungen für "straffrei" 
erklärt, sondern Abtreibungen aus folgenden 
Gründen (sog. Indikationen) als "gerechtfertigt" be- 
zeichnet: 

aus medizinischen (Gesundheit und Leben), 
kriminologischen (Vergewaltigung und Inzest) und 
embryopathischen (genetischen Gründen). ^ 

Eine Beschreibung folgt: ■ b 

Die "medizinische" Indikation 

Falls nach dem Urteil des Arztes die schwangere 
Frau in Gefahr einer schweren Beeinträchtigung 
ihres körperlichen und seelischen Gesundheitszu- 
standes oder ihres Lebens ist, darf der Arzt das 
Kind abtreiben. Die Basis für die "medizinische In- 
dikation" ist die Gesundheitsdefinition der 
Weltgesundheitsorganisation (WHO), die Gesund- 
heit als "totales physisches, psychisches und so- 
ziales Wohlbefinden" definiert. Wie die Erfahrung 
zeigt, führt diese Indikation für sich allein bereits zu 
Abtreibung auf Wunsch, weil es keinen objektiven 
Maßstab für emotionale Gesundheit gibt. Falls eine 
solche "medizinische Indikation" vorliegt, ist Ab- 
treibung nach dem Gesetz nicht nur straffrei, son- 
dern sogar "gerechtfertigt", und zwar vom Beginn 
der Schwangerschaft an bis zu den Eröffnungswe- 
hen. Der Arzt kann, wenn eine "medizinische Indi- 
kation" vorliegt, die Abtreibung nur dann verwei- 
gern, wenn er einen anderen Arzt findet, der bereit 
ist sie durchzuführen. Natürlich kann man alle an- 
deren Indikationen in diesen Gesundheitsbegriff 
unterbringen. 

Die "embryopathische" Indikation 

Wenn ein ungeborenes Kind eine ernste Behinde- 
rung hat, die durch medizinische Hilfe nicht geheilt 
werden kann, darf eine Abtreibung bis zur 22. Wo- 
che nach der Empfängnis durchgeführt werden. 
Das wird "embryopathische Indikation" genannt. Es 
ist die gleiche Indikation, die in dem vorherigen 
Gesetz "eugenische" genannt wurde. Warum än- 
derte man den Namen? Offenbar möchte man jede 
Implikation oder Erinnerung an die eugenische Na- 
zivergangenheit vermeiden, da die Deutschen in 
dieser Beziehung höchst sensibel sind. Nach der 
kürzlichen Entscheidung eines niedrigeren Ge- 
richts ist ein Arzt, der eine Behinderung des Kindes 
nicht entdeckt oder darüber die Schwangere nicht 
informiert, finanziell verantwortlich für dieses 
"fehlerhafte" Leben. 

Das Bundesverfassungsgericht sagt weiter, der 
Schaden des Kindes müsse ernsthaft sein, doch 
entscheidend ist, ob die Frau glaubt, den vermute- 
ten oder tatsächlichen Schaden des Kindes nicht 
ertragen zu können. Das wirft die Frage auf: 
Warum nicht auch töten nach der Geburt, wenn 
das Kind einen Defekt hat, der vorher nicht festge- 
stellt wurde? Die Zulassung dieser Indikation durch 
das Gericht ist viel kritisiert worden. 



28 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



1 



) 



J 



Die "kriminologische" Indilotion 

Wenn der Arzt davon überzeugt ist, daß die 
Schwangere vergewaltigt wurde oder ein Opfer 
von Inzest ist, darf eine Abtreibung vorgenommen 
und natürlich von der Krankenkasse bezahlt wer- 
den, jedoch nur während der ersten drei Monate. 
Man kann sicher sein, daß in Deutschland ziemlich 
leicht Vergewaltigung als Grund für Abtreibung an- 
gegeben wird, wie es in Colorado geschah, als 
dieser Staat als erster Vergewaltigung als Recht- 
fertigung für die Abtreibung erlaubte. 
Das Gericht erklärt, falls eine dieser Indikationen 
vorliegt, ist Abtreibung nicht nur "straffrei", sondern 
sogar "gerechtfertigt. Das ist unverhüllte Abtrei- 
bung auf Wunsch und erinnert an die Erklärung der 
Starabtreiberin aus Minnesota, Dr. Jane Hodge- 
son. Als sie gefragt wurde, wann ein medizinischer 
Grund für Abtreibung vorliege, antwortete sie: 
"Jedwede Frau, die Abtreibung wünscht, hat einen 
medizinischen Grund." 

Bei der vorherigen Abtreibungsregelung war es 
noch zweifelhaft, ob Abtreibungen aufgrund von 
Indikationen "gerechtfertigt" sind. Doch nun gibt 
das Gericht an, daß eine Abtreibung juristisch 
"gerechtfertigt" sei, wenn eine der genannten Indi- 
kationen vorliegt. Das Gericht begründet die 
Rechtfertigung damit, daß dann die für die Frau 
zumutbare Belastungsgrenze überschritten sei. 
Auch wird auf die einzigartige Verbindung zwi- 
schen der Mutter und dem ungeborenen Kind hin- 
gewiesen und darauf, daß die Frau jahrelang für 
das Kind zu sorgen habe. 

Warum sollte eine erwachsene Tochter, die für ihre 
alte und kranke Mutter zu sorgen hat, dann nicht 
auch zwecks Euthanasie aus dem gleichen 
Grunde auf die einzigartige Verbindung und die sie 
erwartende jahrelange Belastung hinweisen kön- 
nen? 

Über alle Abtreibungen sollen Statistiken geführt 
werden. Das Gericht ermächtigt den Staat, dafür 
zu sorgen, das ausreichend und leicht zugängliche 
und flächendeckende Kliniken und ambulante Ab- 
treibungseinrichtungen vorhanden sind. 
"Abtreibungsdienste" müssen innerhalb von 24 Ki- 
lometern zur Verfügung stehen. Welche Möglich- 
keiten für die deutsche Planned Parenthood, eu- 
phemistisch "Pro Familia" genannt. Sie hat den 
weitaus größten Anteil an bezahlter Beratung. 

Die nationalen Gesundheitsdienste bezahlen für 
Abtreibung nur, wenn eine der genannten 
Indikationen vorliegt. Wenn eine bedürftige 
Schwangere in den ersten 3 Monaten nach straf- 
befreiender Beratung (ohne Vorliegen einer Indika- 
tion) abtreiben will, kann sie Sozialhilfe in An- 
spruch nehmen. Sie kann auch von ihrem Arbeit- 
geber verlangen, daß er ihren Lohn weiterbezahlt, 
falls sie arbeitsunfähig ist. 

Es ist unglaublich, daß der Vorsitzende der Deut- 
schen Bischofskonferenz, Bischof Karl Lehmann, 



diese Entscheidung des Gerichts als ein "histori- 
sches" und "wegweisendes" Ereignis begrüßt hat. 
Der wahre Gewinner sei der Mensch, sagte der Bi- 
schof befremdlicherweise (Deutsche Tagespost, 2. 
Juni 1993). 

Auch ist es unbegreiflich, daß Lehmann vorschlug, 
die katholische Kirche solle im staatlichen 
Schwangerenberatungssystem verbleiben. Er 
sagte, die Kirche werde wohl, was die Vorschriften 
für die Beratung angehe, "an einigen Stellen ei- 
gene Wege gehen", doch "dies verbiete nicht, daß 
die Beratungsstellen in dem (vom Bundesverfas- 
sungsgericht) neu geschaffenen Rahmen ihre Tä- 
tigkeit ungehindert und mit voller Kraft fortsetzen" 
(DT. 19. Juni 1993). Demgegenüber ist zu bemer- 
ken, daß die Kirche, wenn sie an der gesetzlichen 
Schwangerenberatung teilnimmt, auf den oben an- 
gegebenen Inhalt des Gesetzes verpflichtet ist. 
Vor der Verabschiedung des Fristenregelungsge- 
setzes am 1 1 . Juli 1992 hatte Lehmann sich ge- 
genteilig geäußert: "Die Beratungsstellen können 
sich nicht in ein Verfahren einbinden lassen, daß 
die Ausstellung einer Beratungsbescheinigung zu 
einer wesentlichen Voraussetzung für die straffreie 
Tötung eines ungeborenen Menschen macht". Wo 
bleibt die konsequente Reaktion? Auch die Präsi- 
dentin des Zentralkomitees der deutschen Katholi- 
ken (ZdK), Rita Waschbüsch, ist der Ansicht, daß 
die Kirche auch nach dem Urteil des Bundesver- 
fassungsgerichts in dem staatlichen Beratungssy- 
stem verbleiben solle. "Die Kirche versucht, 
Frauen zu helfen und zu unterstützen, ohne deren 
selbständige Entscheidung (gemeint ist für oder 
gegen Abtreibung) zu beeinflussen " (DT 
2.6.1993). 

Die deutschen kirchlichen Beratungsorganisatio- 
nen Caritas, Sozialdienst katholischer Frauen und 
der katholische deutsche Frauenbund dürften 
keine Schwierigkeiten haben, bei der vom Bundes- 
verfassungsgericht vorgegebenen Beratung mit- 
zuwirken und dadurch Straffreiheit für Abtreibung 
zu vermitteln, denn es ist ihr Grundprinzip die selb- 
ständige Entscheidung der schwangeren Frau zu 
respektieren. Für sie ist König das ungeformte 
"Gewissen". 

Erzbischof Johannes Dyba von Fulda hat sich ge- 
weigert, die neue Beratungsregelung mitzuma- 
chen. Seine Diözese wird keine Bescheinigungen, 
die straffreie Abtreibung ermöglichen, ausstellen. 
Er hat sein eigenes Erziehungs-, Beratungs- und 
Hilfs-programm zur Rettung von Babys errichtet. 
"Wir werden beraten wie nie zuvor, aber (nur) für 
das Leben" sagte er. Kein schizophrenes Gesetz 
für ihn! Ungleich anderen deutschen Bischöfen, 
lehnt er es absolut ab, in irgendeiner Weise an der 
Strafbefreiung und Erleichterung von Abtreibung 
teilzunehmen. Deswegen bezeichnete ihn ein ho- 
her Kirchenfunktionär als "out of his mind" (von 
Sinnen). 

Falls die niedrigen Geburtenraten anhalten, wird es 
in 100 Jahren kein Deutschland mehr geben. 
Goodbye, Germany! . 



ii.-W'i 



=ö4. 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



29 



aus idea, 10/94 

Ein Kommentar von Christa IVleves 



Jf'"'.-]r'''in'. 



"Wer ist eigentlich andersrum?" 






Wie die Jugend durcli staatliclie Broscliüren 
manipuliert wird 

Das ist nun fast sclnon ein reichlich alter Hut, der 
seit 25 Jahren jedem BCirger unserer Republik 
überzustülpen versucht wird: daß es zwecks 
Glücksfindung vor allem darauf ankäme, Sex zu 
haben - von der Wiege bis zur Bahre und in wel- 
cher Form auch immer. Es habe alles die gleiche 
Gültigkeit, ob promiskuitiv, ob polymorph-pervers, 
ob bisexuell oder was auch immer. Aber hat das 
Trommelfeuer der "gleichen Gültigkeit" so viel 
Gleichgültigkeit bewirkt, daß wir hinnehmen, daß 
unsere Jugend seit kurzem mit Hilfe höchster amt- 
licher Dienststellen einer lebensgefährlichen Mani- 
pulation ausgesetzt wird? Da taucht Aids als eine 
neue tödliche Geschlechtskrankheit auf. Zunächst 
waren es zu 85 Prozent Homosexuelle, die daran 
sterben. Nach einigen Jahren mehren sich dann 
auch die Zahlen angesteckter Frauen und infizier- 
ter Kinder. Die Seuche verbreitet sich, ohne daß 
ein Großteil der Infizierten davon weiß, denn oft 
bleiben über lange Zeit (oft sogar bis zu zehn Jah- 
ren) Symptome aus. Aber in dieser Zeit, kann der 
HlV-Infizierte in zahllosen Fällen zum Überträger 
der tödlichen Seuche werden. 

Aids: Gigantischer Feldzug zur 
Beschwichtigung 

Unbegreiflicherweise reagierte die Regierung der 
Bundesrepublik (im Gegensatz zur DDR übrigens!) 
nicht mit einer Einbindung der neuen Krankheit in 
das Seuchengesetz. Die frühere Bundesgesund- 
heitsministerin Rita Süssmuth (CDU) trat der Un- 
ruhe in der Bevölkerung vielmehr mit einem gigan- 
tischen Beschwichtigungsfeldzug entgegen. Spots, 
in denen Aids-Kranke von ihren Freunden geküßt 
werden oder mit ihnen aus einer Tasse trinken, 
flimmerten per TV in die Wohnzimmer. Statt der 
Jugend angesichts der neuen Situation eine Ab- 
kehr von der ihr bis dahin geradezu aufgenötigten 
vorehelichen Intimbeziehung zu empfehlen und sie 
zu warnen, schlug das Ministerium befremdliche 
Wege ein. Nicht nur, daß - wie auch den Erwach- 
senen - das Kondom als Verhütungsmittel gera- 
dezu aufgedrängt wurde, es wurde in zahllosen 
Aufklärungsschriften betont auf die Sexfreuden im 
Jugendalter fast werbend hingewiesen und große 
Mühe darauf verwandt, in möglichst jugendnaher 
Nonchalance nun noch besonders auf die gleiche 
Gültigkeit aller verschiedenen "Spielarten der Se- 
xualität" hinzuweisen. In keiner dieser Machwerke 
fehlt deshalb eine ausführliche Erörterung der an- 
geblichen "Gleichwertigkeit" der Homosexualität. 

"Schwul sein ist normal" 

"Wer ist hier eigentlich andersrum?" heißt zum 
Beispiel eine Überschrift in dem Aufklärungsheft 
der Gesundheitsbehörde der Landesregierung 
(SPD/FDP) von Rheinland-Pfalz "Let's talk about 
Sex", um dann über den Fotos, die zwei gleichge- 



schlechtliche nackte Paare in Annäherung zeigen, 
zu resümieren: "Zu lieben ist normal. Und schwul 
sein ist dann auch normal, egal wen du liebst." 
Dieses Beispiel ist kein Einzelfall, sondern durch- 
gängige Tendenz in ähnlichen Postillen. So enthält 
die Aufklärungsschrift für Jugendliche "Na-Nu" aus 
der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 
die im Auftrag des Bundesgesundheitsministeri- 
ums erstellt ist, den Satz: "Man sollte nicht den 
Fehler begehen und ohne Nachdenken zwischen 
'normal' und 'anders' unterscheiden; denn schließ- 
lich geht es hier um Gefühle, und da ist jeder 
Mensch 'anders'." Und in der Aids-Mappe des 
Bundesjugendrings heißt es entsprechend: "Jeder 
Mensch ist - mehr oder weniger - zu homosexuel- 
lem Verhalten fähig." In dieser Organisation haben 
sich die bundesweit tätigen Jugendverbände - dar- 
unter auch die evangelischen und katholischen - 
zusammengeschlossen. Sie umfassen etwa fünf 
Millionen Mitglieder. 

Wie Jugendliche "umgepolt" werden 

Man muß sich das ganz klarvor Augen stellen: Da 
taucht eine Geschlechtskrankheit auf, bei der Ver- 
letzungen am After durch Analverkehr eine beson- 
ders häufige Eingangspforte der Infektion sind. 
Und in dieser Situation bricht eine Kampagne der 
für die Jugend zuständigen Behörden aus, die 
dazu angetan ist, die Jugendlichen mit einer 
Fehlinformation geradezu zur Homosexualität zu 
ermuntern. Dieses Verhalten ist äußerst verant- 
wortungslos. Nicht nur, daß Homosexualität hier 
eher geradezu als das Besondere, das einst sogar 
Geschmähte (und welcher Jugendliche möchte 
sich nicht gern tapfer damit solidarisieren!) be- 
schrieben wird. Es wird auf diese Weise durch 
Desinformation mancher Jugendliche zum Irrtum 
über sich selbst verführt. 

In der sogenannten homoerotischen Phase im Ju- 
gendalter neigen viele Jugendliche nämlich 
zunächst zu einem gleichgeschlechtlichen 
Schwärm. Sie verlieben sich harmlos erotisch in 
eine besonders "tolle Type" des gleichen Ge- 
schlechts, die sie eine Zeitlang schwärmerisch an- 
himmeln. Fällt ihnen nun aber eins der Aufklä- 
rungshefte in die Hände, so glauben sie häufig, sie 
seien von Geburt an homosexuell, obgleich das - 
wie eine Langzeitstudie des Batelle-Instituts in 
Seattle (USA) gerade herausgefunden hat - extrem 
selten ist (nur ein bis zwei Prozent sollen aus- 
schließlich homosexuell sein). Die Hefte sind aber 
darauf aus, gerade das zu suggerieren: "Die eige- 
nen sexuellen Gefühle auf die Dauer zu verleug- 
nen, ist die schlechteste Alternative", heißt es in 
diesem Zusammenhang zum Beispiel in "Let's talk 
about Sex", und das meint: Dann praktiziere doch 
auch diesen so besonderen Sex, mit dem du dich 
aus dem Gewöhnlichen, dem Üblichen, dem Hete- 
rosexuellen heraushebst. 

I 



30 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



Trendwende in den USA: Sex nur 
mit einem Partner 

Die mit Steuergeldern vom Staat und den Kirchen 
finanzierte "Aids-Hilfe" verdient somit schauerli- 
cherweise diesen Namen: Denn homosexuelles 
Verhalten wird in Broschüren als erstrebenswert 
hervorgehoben und gleichzeitig der häufige Part- 
nerwechsel als normal dargestellt. So wird Aids 
auch in die heterosexuellen Beziehungen der jun- 
gen Generation hineingetragen. 

Dürfen wir dem stillschweigend zusehen? In den 
USA, wo Aids mit seinem schrecklichen, qual- 
vollen, langwierigen Sterben nun schon viel mehr 
als eine Bedrohung - auch gerade der Jugend - ins 
allgemeine Bewußtsein getreten ist, hat nach jüng- 
sten Meldungen eine Trendwende eingesetzt: Ju- 
gendliche organisieren sich in Clubs, die sich für 
das Sich-bewahren für den Lebenspartner einset- 
zen. 



Wer nicht sterben will, muß 
enthaltsam sein ' 

"Was ist angesichts von Aids die Wahrheit?", fragt 
der katholische Pater Otto Maier (Deidesheim/ 
Pfalz) in einem Aufsatz und antwortet: "Wenn du 
nicht sterben willst, mußt du enthaltsam sein! Ent- 
haltsamkeit ist jene Tugend der Jugend, die ge- 
sunde und lebensstarke Völker in allen Kulturen 
und unter allen Religionen immer besessen und 
verteidigt haben." Und er schließt seinen Aufsatz 
mit den aufrüttelnden Worten: "Stehen ganze Re- 
gierungen der Völker vor dem Götzen Unzucht 
samt seiner Pornographie stramm? Opfert man 
unsere letzten Kinder und Jugendlichen, die dem 
Feuerbrand der Abtreibung und Verhütung entron- 
nen sind, diesem Pansexualismus, der mittels Aids 
nun zum Totentanz geleitet?" Sind wir in der Lage, 
aufzuwachen und die Verantwortlichen in ihre Ver- 
antwortung für den Schutz der Jugend zu rufen? 
Oder zerschellt auch dieser Aufruf am Tabu eines 
Denkverbots, das den Warner medienweit nieder- 
schreit, weil er es wagt, die Wahrheit auszuspre- 
chen? 



Die Autorin, Christa Meves (Uelzen), 
und Jugendlichenpsychotherapeutin. 



ist Kinder- 



Prof.Dr. med. Gottfried Roth 

Professor für Pastoralm edizin 



Die Notwendigkeit der ethischen Reflexion seitens des Arztes 



Der Hippokratische Eid und seine 
Tradition 

Zweifelsohne hat die antike Haltung und Gesittung 
mit dem Gebot, niemals zu schaden und stets zu 
helfen, mit den Verboten des Schwanger- 
schaftsabbruches, der Beihilfe zum Selbstmord 
und der Tötung eines Patienten, mit dem Gebot 
der Schweigepflicht ein grosses normatives Ge- 
wicht. Es bedarf solcher Leitsätze, damit in Ent- 
scheidungskonflikten nicht erst alle Gegebenheiten 
und Möglichkeiten jeweils neu durchdacht werden 
müssen, damit unsichere Ärzte Sicherheit gewin- 
nen und andere den rechten Maßstab. 
Der Hippokratische Eid ist eingebettet in einen 
griechisch-hellenischen Naturalismus, demzufolge 
Krankheit aus der Gebrechlichkeit der Natur des 
Menschen kommt. Dieser Auffassung steht auf- 
grund des Personcharakters des Menschen ein 
semitischer Personalismus gegenüber (Pedro Lain 
Entralgo); zwei geistesgeschichtlich relevante Po- 
sitionen, die im frühen Christentum integriert wur- 
den, demzufolge Krankheit auf eigene oder fremde 
Handlung des Menschen zurückgeführt werden 
kann oder auf das Ungenügen der Natur des Men- 
schen, pathogene Noxen unwirksam zu machen. 
Das Fortwirken des Hippokratischen Eides in einer 
integrierten Form zeigt sich symbolhaft in jenen 



Manuskripten, in welchen der Text in Kreuzesform 
geschrieben wurde und in der Präambel, in wel- 
cher der Heilgon Apollo durch Christus medicus 
ersetzt wurde. Die Lebendigkeit des Hippokrati- 
schen Eides zeigt sich auch in der modernen 
Transponierung des antiken Textes in die Genfer 
Deklarabon von 1948 und vorher schon durch die 
Jahrhunderte in der Tradition der Promotions- 
gelöbnisse, die mehr und mehr aus Universitäts- 
und Fakultätseiden sich in feierliche Gelöbnisse 
wandelten, die die Pflichten des Arztes gegenüber 
den kranken Menschen anführen. 
Wenn heute vom Hippokratischen Eid gesprochen 
wird, so geschieht dies meist im Sinne eines Ober- 
begriffes; auch haben die einzelnen Texte in den 
verschiedenen Ländern eine unterschiedliche juri- 
stische Verbindlichkeit. 

Die österreichische Situation ist heute durch eine 
Verbindung des Promotionsgelöbnisses mit dem 
Ärztegesetz (Pflichten gegenüber dem Patienten) 
und dem Strafgesetz (Pflichten gegenüber dem 
menschlichen Leben) gegeben. 
In der jüngsten Vergangenheit zeichnen sich drei 
Entwicklungstendenzen ab, die gegen die hippo- 
kratische Orientierung der Medizin verstoßen (W. 
Wieland). In der Anonymisierung wird der kranke 
Mensch in seiner Individualität gefährdet; in der 
Judifizierung, in der Verrechtlichung ärztlicher 
Maßnahmen, die das ärztliche Risiko zu einer Mi- 
nimalisierung zwingt (Defensivmedizin), wird der 
mögliche Umfang der therapeutischen Maßnah- 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



31 



men reduziert; in der Probabilisierung arztethischer 
Überlegungen verstößt man allzu leicht gegen das 
Interesse des kranken Menschen, statt dem Tutio- 
rismus den Vorzug zu geben, z.B. bei Entschei- 
dungen über das Leben des ungeborenen Men- 
schen. 

Die gegenwärtige Situation ist auch durch andere 
Gewichtungen gekennzeichnet. Man muß gegen 
eine wissenschaftspositivistische-pragmatische 
Medizin um die Anerkennung der Personalität des 
kranken Menschen ringen, aber auch den Bereich 
des menschlichen Leibes, des gesunden wie des 
kranken, gegen eine Mythologisierung der Medizin 
verteidigen. 

Es wird deutlich, daß der Hippokratische Eid in un- 
serer Gegenwart sehr wohl ein Leitbild ist, daß 
aber die Wirklichkeit sich nicht immer und überall 
mit diesen arztethischen Konstanten deckt; daß 
aber dennoch die Lebendigkeit einer deontologia 
medici perennis gegeben ist, wie die Geistesge- 
schichte der Medizin dies lehrt. Es ist gewiß, daß 
diese ihre Gültigkeit haben wird, wenn die gegen- 
wärtigen Forderugen der Gesellschaft durch an- 
dere abgelöst worden sind; denn letztere können 
niemals die Legitimität von arztethischen Kon- 
stanten begründen. 

Ethische Systeme in der IVIedizin 

Im folgenden sollen nun ethische Systeme darge- 
stellt werden, wie sie in der Medizin angewandt 
werden, Auffassungen, die aller Diagnostik und 
Therapie zugrunde liegen, freilich unterschiedlicher 
Art, wie deutlich werden wird. 
Die ethischen Systeme in der Medizin sind insofern 
von ausschlaggebender Bedeutung, weil sie durch 
ein je spezifisches Menschenbild bestimmt wer- 
den. Die wichtigsten ethischen Systeme seien nun 
angeführt. 

Der ethische Skeptizismus leugnet, daß ethische 
Fragen beantwortet werden könnten; es würde zur 
ethischen Irrelevanz kommen. Der ethische Relati- 
vismus leugnet überhaupt sittliche Werte und Nor- 
men und nimmt nur umweltbedingte und milieube- 
dingte Verhaltensweisen an. Der ethische Agnosti- 
zismus schließt eine Erkenntnismöglichkeit norma- 
tiver Motivationen aus. Zum ethischen Relativis- 
mus gehören auch partielle Auffassungen wie die 
Wiederherstellung von Arbeitsfähigkeit und Lustfä- 
higkeit (Hedonismus) als Ziel ärztlichen Handelns. 
Der Pragmatismus oder Utilitarismus sieht das 
Prinzip der Sittlichkeit in der praktischen Nützlich- 
keit und im praktischen Erfolg, eine Ethik, die 
heute weit verbreitet ist und sich dem rechneri- 
schen Nutzen ausgeliefert hat. Die US-amerikani- 
schen Schulen neigen zu dieser Auffassung, wäh- 
rend die europäische Arztethik sich mehr an nor- 
mativen Leitbildern orientiert. 
Eine evolutionäre Ethik geht von der Annahme 
aus, daß der Mensch das Ergebnis der biologi- 
schen Evolution darstellt, woraus sich Verhalten, 
Neigungen und Fähigkeiten ableiten, zum guten 
Teil genetisch determiniert und vorprogrammiert 
und durch Erziehung und soziale Konditionierung 
nicht beliebig überspielbar und variierbar. 
Der dialektische Materialismus sieht im Wohl von 
Gesellschaft und Klasse die absolute verbindliche 
Norm. 

Eine epistemologische Ethik postuliert das Ethos 
des wissenschaftlichen Verhaltens. Das Ziel der 



Wissenschaft ist Erkenntnis; diese Form kann allzu 
leicht in einen Wissenschaftspositivismus abglei- 
ten. 

Alle diese ethischen Systeme erreichen nicht den 
unabdingbaren Kern ärztlicher Aufgaben gegen 
über dem gesunden und dem kranken Menschen; 
diese Qualität und Quantität gewährleistet die Ver- 
antwortungsethik. 

"Im Unterschied zu den genannten Richtungen 
wird hier eine Ethik zugrundegelegt, die einerseits 
das Gelingen des lebenslangen Werde- und Rei- 
fungsprozesses des Menschen im Blick hat, ande- 
rerseits die personalen Relationen umfaßt, nämlich 
die Beziehungen des Menschen zu sich selbst wie 
zum Mitmenschen, aber auch zur geschaffenen 
Natur, eine Ethik, die primär als Verantwortungs- 
und Beziehungsethik bezeichnet werden darf, eine 
Ethik also, die Würde und Schutz des menschli- 
chen Lebens umgreifen muß" (M. Balkenohr). 
Die Pastoralmedizin und neuerdings auch die Me- 
dizinphilosophie zeigen inhaltliche Entsprechungen 
eben zu dem ethischen System der Verantwor- 
tungsethik. Die Medizinphilosophie zeigt nämlich 
folgende Entwicklung und fuhrt zu einem Status, 
von dem die Pastoralmedizin aufgrund ihrer Kon- 
zeption a priori ausgegangen ist. 
Um 1935 publizierte Rudolf Allers ein dreidimen- 
sionales Menschenbild. Heilung sei möglich 
sowohl bei körperlichen Krankheiten oder Män- 
geln, bei Störungen im Verhalten zu den Mit- 
menschen oder der Gemeinschaft wie (zu den 
Gütern der Kultur oder auch) der Beziehung zu 
den Glaubenswerten. 

1952 folgt Hans Asperger sub specie sanitatis mit 
einem gleichsinnigen Menschenbild, demzufolge 
zur Gesundheit gehört: die innere Harmonie des 
Menschen hinsichtlich seiner Geisteskräfte und 
des Gemütes, die Fähigkeit, mit anderen Men- 
schen zu sein, und die Verbundenheit mit dem Hö- 
heren und Heiligen. 

Eine ähnliche Dreiteilung postuliert Viktor E. von 
Gebsattel: eine apersonale Dimension, einen mit- 
menschlichen Bereich und Gottesebenbildlichkeit 
des Menschen. 

1957 nennt F. Büchner in einer Typologie humaner 
Erkrankungen krankhafte Zustände, die aus der 
mangelnden Erfüllung in der Kommunikation mit 
dem Absoluten kommen. 

Und 1987 kommt Christian Scharfener hinsichtlich 
der heilenden Begegnung zwischen Arzt und Pati- 
enten auf diese drei Dimensionen zu sprechen: in- 
trapersonaler Bereich (Wissen um den eigenen 
Leib, um die eigene, lebensgeschichtliche Ver- 
knüpfung), interpersonaler Bereich (zwischen- 
menschliche Bezüge in und außerhalb der Familie) 
und transpersonaler Bereich (Beziehung zu Natur, 
zum All, zu Gott). 

Im Sinne christlicher, islamischer und hebräischer 
Auffassungen, aufgrund des diesen Religionen zu- 
grundeliegenden Monotheismus ist die 
"Bezogenheit des Menschen nicht nur zur Schöp- 
fung, sondern ebenfalls zu seinem Schöpfer zu 
sehen, sodaß in diesem Betracht von einem vier- 
fachen Beziehungs- und Verantwortungsbereich 
gesprochen werden kann, nämlich von der Bezie- 
hung des Menschen zu sich selbst, zum mit- 
menschlichen Du, zu Gott, dem transzendenten Du 
des Menschen, und zum geschaffenen Kosmos" 
(M. Balkenohl). 
Mit den Arbeiten Balthasar Staehelins hat sich 



32 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



diese Position in der IVIedizinphilosophie verdichtet, 
und man l<ann mit ihm rechtens von einer Ent- 
wicl^lung in der IVIedizin sprechen, die ihren Weg 
von der helfenden Naturwissenschaft zur heilen- 
den Christuswissenschaft genommen hat, je mehr 
mit dem alten Wort, daß Gott der Herr über Leben 
und Tod ist, ernst gemacht wird (B. Staehelin). 
Das Mittelalter hat den in ordo-Charakter der Ge- 
sundheit des Menschen hervorgehoben. Ärztliche 
Ethik bestimmt den Arzt, seinen Beruf ohne zu 
schaden (primum non nocere - das erste Gebot: 
nicht schaden), zum Wohl des Patienten (lex su- 
prema salus aegroti - das oberste Gesetz ist das 
Heil der Kranken), zum Heil und Trost der Kranken 
(saluti et solatio aegrorum) zu verwirklichen: aus- 
gerichtet auf die vorgegebene Ordnung im Men- 
schen. Diese ist allerdings eine umfangreichere 
und tiefere als eine rein somatische oder psycho- 
somatische Gegebenheit. Ein wohldurchdachter, 
den ganzen Menschen tatsächlich berücksichti- 
gender Begriff der Gesundheit umfaßt auch die 
heilsame Verbindung der Menschen untereinander 
und die nicht minder heilsame, heilbringende Ver- 
bundenheit mit Gott. 

Dieses Menschenbild ist für die Pastoralmedizin 
konstitutiv, die Medizinphilosophie hat, wie oben 
gezeigt werden konnte, gleichgezogen, beide ha- 
ben nunmehr gemeinsames Formalobjekt, gleiches 
Anliegen und gleiches Ziel. 

Priorität der ärztlichen Ethil< 

Mit der Vermehrung und Intensivierung der medi- 
zinischen Einzelberufe (Krankenseelsorge, Kran- 
kenpflege, Diätetik, Gymnastik, Balneotherapie, 
spezifische diagnostische und therapeutische 
Verfahren) glaubte und glaubt man, es könne nun 
nicht mehr rechtens von einer ärztlichen Ethik ge- 
sprochen werden, sondern von einer medizini- 
schen (umfassenden) Ethik. 
Diese Überlegungen richten sich nicht gegen 
Kompetenz und Seriosität einzelner Autoren, son- 
dern gegen den drohenden und bereits vielfach 
eingetretenen Verlust (existentieller) ärztlicher Er- 
fahrung als Basis ethischer Überlegungen und Er- 
örterungen in der Medizin. In einer notwendiger- 
weise arbeitsteilig strukturierten Humanwissen- 
schaft wie der Medizin, die ja unbestreitbar Natur- 
und Geisteswissenschaft ist, kann letztlich die Un- 
mittelbarkeit ärztlicher Erfahrung nicht zurückge- 
drängt oder vernachlässigt werden, so sehr auch 
die gemeinsame Diskussion zu verhindern vermag, 
daß das unmittelbare Verhältnis von Arzt und ge- 
sundem oder krankem Menschen völlig ausge- 
schaltet würde. Wie immer, es besteht die Gefahr, 
daß das Gewicht tatsächlicher ärztlicher Erfahrung 
verringert wird, zugunsten (nicht unnotwendiger) 
Überlegungen nicht-ärztlicher Provenienz. 
Worin besteht nun die ärztliche Erfahrung, die man 
nicht vermindern oder ausschalten kann, ohne den 
gesamten Fragekreis oder Aufgabenbereich we- 
sentlich zu verkleinern? 

In der Anamnese erhebt der Arzt die Lebens- und 
Krankengeschichte des Patienten, in der ärztlichen 
Betreuung erlebt der Arzt diese Lebens- und Kran- 
kengeschichte des Patienten mit, in der Objektivität 
der medizinischen Wissenschaft und in der Sub- 
jektivität mitmenschlichen "Mitleidens"; die Dia- 
gnose einer akuten oder chronischen Erkrankung 
vermittelt den Status praesens dieses einmaligen 



menschlichen Lebens in aktueller oder langandau- 
ernder Lebensbedrohung. Die Therapie ergibt ge- 
stuft nach symptomatischer oder kausaler Wirk- 
samkeit - einen gewichtigen Einblick in den Hei- 
lungsprozeß, in die Wiederherstellung einer verlo- 
ren gegangenen Ordnung oder aber in das Unge- 
nügen der medikamentösen Maßnahmen oder 
chirurgischen Eingriffe. Der Arzt erlebt unmittelbar 
Heilung, aber auch (objektiv) mangelhaftes oder 
(subjektiv) fehlerhaftes Bemühen um die Heilung. 
Der Arzt erlebt alle subjektiven Reaktionen wäh- 
rend der Krankheit seines Patienten mit, Hoffnung 
und Verzweiflung, Schmerz und Leid, aber auch 
Gesundung und Glück. Auch die mitmenschlichen 
Begegnungen mit den Verwandten des Patienten 
sind zu berücksichtigen - auch dann, wenn part- 
nertherapeutische oder familientherapeutische 
Gründe keine Rolle spielen sollten. 
All diese ärztliche Erfahrung ist notgedrungen für 
Nicht-Ärzte nicht so unmittelbar, vor allem deswe- 
gen, weil dem Arzt die direkte Verantwortung zu- 
kommt, die auch das Miterleben tiefer werden läßt. 
Versagen und Vergeblichkeit der Therapie jenseits 
der Grenze eines Kunstfehlers - prägen sich dem 
tiefer ein, der aktiv den Krankheitsvorgang heilsam 
beeinflussen wollte, als dem, dem diese Aktivität 
kompetenterweise verschlossen ist. 
In einer notwendigerweise arbeitsteilig strukturier- 
ten Humanwissenschaft wie der Medizin, die un- 
bestreitbar Natur- und Geisteswissenschaft ist, 
kann letztlich die Unmittelbarkeit ärztlicher Erfah- 
rung nicht zurückgedrängt oder vernachlässigt 
werden, so sehr es auch einer interdisziplinären 
Diskussion bedarf. Folgerichtig hat die ärztliche 
Erfahrung Priorität, weil dem Arzt die direkte Ver- 
antwortung zukommt. Er muß diagnostische und 
therapeutische Entscheidungen treffen und per- 
sönlich verantworten. Die These also, daß es in- 
folge eines Verlustes ärztliche Erfahrung in der 
arztethischen normativen Dimension der Medizin 
zu einer Gefährdung des Menschen kommen 
kann, besteht zurecht. 



Arztliche Ethik und Pastoralmedizin 

Was bisher im Rahmen einer medizinischen Ethik 
zugunsten einer übergeordneten ärztlichen Ethik 
gefordert wird, gilt gleicherweise auch für die Pa- 
storalmedizin als Lehrfach. 

Man unterteilt seit langem die Pastoralmedizin in 
eine Pastoralmedizin im engeren Sinne als Dienst 
der Medizin für Theologie und Seelsorge und in 
eine ärztliche Ethik als Dienst der Theologie und 
Ethik für Medizin und Arzttum; diese letztere kann, 
wie eben ausgeführt, gefährlich vermindert und 
eingeschränkt sein, wenn sie nicht von einem Arzt, 
der theologisch versiert ist, gelehrt wird. In gleicher 
Weise ist zu betonen: 

Überall da, wo die Pastoralmedizin nicht von einem 
Arzt gelehrt wird, wo sie sich in eine Pastoralpsy- 
chologie verwandelt hat, ist zweifelsohne der Ver- 
lust ärztlicher Erfahrung eingetreten, und damit die 
erhebliche Gefahr einer einseitigen, verkürzten 
Sicht des kranken Menschen gegeben. Dieser 
Gefahr unterliegt auch die nicht-ärztliche Psycho- 
therapie, da nicht wenige somatische Erkrankun- 
gen oder psychosomatische Zustandsbilder im 
Prodromalstadium oder im Bereich des Krank- 
heitserlebens primäre psychische Störungen vor- 
täuschen. In diesen Fällen ist eine Psychotherapie 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



33 



keine kausale Therapie und verhindert bei Nichter- 
kennen der wahren Krankheitsursache auch eine 
wirksame ärztliche Therapie. Diese Gefahr besteht 
auch für eine therapeutische Seelsorge, insofern 
deren Vertreter vermeinen, ohne ärztliche Hilfe und 
Beurteilung ihr Auslangen zu finden. Besonders 
tragisch kann es im Rahmen von Heilungsbe- 
mühungen mittels Gebet oder/und Gottesdienst 
werden, wenn nur medizinisch heilbare Erkrankun- 
gen übersehen oder vernachlässigt werden. _^ 
Am Schluß sei nochmals die These dieser Überle- 
gungen wiederholt: 

Die Gefährdung des Menschen durch den Verlust 
der ärztlichen Erfahrung in der arztethischen nor- 
mativen Dimension der Medizin. 



Literaturhinweise: '•j.n 

Rudolf Allers: Heilerziehung bei Abwegigkeit des Charakters, 
Einsiedeln - Köln, oJ. 

Hans Asperger: Grundlagen der Willensfreiheit, Arzt und Christ 
(Wien) 2,1952. 

Manfred Balkenohl: Ethische Aspekte der Gentechnologie und 
der Fortpflanzungsmedizin. In: M. Balkenohl - H. Reis - C. 
Schirrer, Vom beginnenden menschlichen Leben, Hildesheim 
1987. 

Franz Büchner: Vom geistigen Standort der Medizin, Freiburg 
im Breisgau 1957. 

Pedro Lain Eldralgo: Heilkunde In geschichtlicher Entschei- 
dung, Salzburg 1950. 

Gottfried Roth: Christliche Ethik in Medizin und Arzttum. In: 
Christliche Ethik in Wissenschaft und Alltag, Freiburg Im 
Uechtland 1991. 

Gottfried Roth: Die monotheistischen Präambeln und Schluß- 
formeln der ärztlichen Eide, Wissenschaft und Glaube (Wien) 
1991. 

Christian Scharfetter: Heilung und Wandlung, Schweiz. Ärzte- 
zeitung 1987. 

Balthasar Staehelin: Von der helfenden Naturwissenschaft zur 
heilenden Christuswissenschaft, Lausanne 1987. 
Wolfgang Wieland: Strukturwandel der Medizin und ärztlichen 
Ethik, Heidelberg 1986. 



I 
1 



Dr. Thomas Schirrmacher* 

Die Abtreibung in der Antii^e 
und ihre Ablehnung durch die 
christliche Kirche 

Abtreibung in der Antil^e 

Wie in vielen Kulturen^ war die Abtreibung Inder 
griechischen und römischen Welt eine Selbstver- 
ständlichkeit und ebenso wie die Kindes- 
aussetzung nach der Geburt weit verbreitet^ wo- 
bei natürlich Mädchen häufiger zu den Opfern ge- 
hörten^. 

"Abtreibung, Kindestötung und Aussetzung ge- 
hörten zu den Realitäten des antiken Alltags. '* 
Plato forderte für seinen Idealstaat nicht nur die 
"Aussetzung aller Kinder mit Körperfehlern"^ son- 
dern auch den Einsatz von Abtreibung und Kindes- 
aussetzung in großem Stil durch den Staat zur 
Aufzucht von gesundem Nachwuchs^ Aristoteles 
wollte durch eine staatliche Aufsicht und Durchfüh- 
rung der Abtreibung die Bevölkerungszahl immer 
gleich halten', beschränkte aber die Abtreibung 
auf die Zeit "bevor (der Embryo) Empfindung und 
Leben erhielt"^ also vorder Beseelung (beim Jun- 
gen am 40., beim Mädchen am 90. Tag), eine Ein- 
schränkung, die in vielen altkirchlichen und 
mittelalterlichen Auffassungen eine große Rolle 
spielte^ 

"Man hat hier sowohl in Griechenland wie in Rom 
beschlossen, daß ein Kind erst dann zur Familie 
und Gesellschaft als Mitglied gehörte, wenn es 



Der Verleger Dr. Thomas Schirrmacher promo- 
vierte 1985 in Theologie (Kampen, Niederlande) 
und 1989 in Kulturanthroplogie (Los Angeles, 
USA). Er lehrt an der Freien Evangelisch-Theolo- 
gischen Akademie Basel (FETA) und am Philadel- 
phia Theological Seminary der Reformierten Epi- 
skopalen Kirche in Philadelphia, USA. 



durch eine Zeremonie ausdrücklich anerkannt 
worden war; erst dann bekam es Lebensrecht. "' ° 
"Kindertötung war somit eine Form der Familien- 
planung ..."' , nahm also die Rolle ein, die heute 
die Abtreibung einnimmt. 

Aristoteles ging davon aus, daß der Mensch erst 
spät seine Seele erhält und 
"daß die Leibesfrucht am Anfang nur eine Art 
Pflanzenleben führt.. Das ist in Wirklichkeit auch 
die Annahme, die den modernen Abtrei- 
bungsgesetzen zu Grunde liegt "'^ 
Auch der bis heute benutzte griechische 
'hippokratische Eid', der oft zitiert wird, weil Ärzte 
sich damit nach dem Wortlaut gegen die Abtrei- 
bung verpflichten, ändert an diesem Bild nichts, 
denn 1 . war der Eid in der Antike praktisch bedeu- 
tungslos'^ und 2. war Hippokrates durchaus für 
Abtreibung, hielt sie nur nicht für die Aufgabe der 
Ärzte". 

In der griechisch-römischen Welt war die Abtrei- 
bung allerdings nicht generell freigegeben, son- 
dern das alleinige Recht des Vaters' \ In Rom 
"galt uneingeschränkt die hausväterliche Ge- 
walt"' \ womit die eventuelle Bestrafung der Ab- 
treibung auch der Gerichtsbarkeit des Vaters un- 
terstand. 

"Erst seit Septimus Severus (193 bis 211 n. Chr.) 
gab es staatliche Strafen ... Geschütztes Rechts- 
gut war aber nicht die Leibesfrucht die als Teil des 
mütterlichen Körpers galt sondern die Hoffnung 
des Mannes auf Kinder ...Im germanischen Recht 
verhielt es sich ursprünglich ähnlich ... "^^ 

Die Ablelinung der Abtreibung in 
der Antike durcli die cliristliclie Kir- 
clie 

Dem stand von Anfang an die christliche Ableh- 
nung'* entgegen, die sich allerdings intern immer 
wieder mit dem Einfluß der griechischen Philoso- 
phen auseinanderzusetzen hatte. 
In der Didache 2,2 (ca. 1 00-1 50 n. Chr.) heißt es: 
"Du sollst nicht töten ein Kind durch Abtreibung 



34 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



und sollst nicht töten das Kind nach seiner Ge- 
burt.''' 

Im Barnabasbrief 19,5 heißt es: 
"Liebe deinen Nächsten mehr als deine Seele. 
Töte ein Kind nicht durch Abtreibung, töte nicht das 
Neugeborene. '^° 

Ähnlich heißt es im Barnabasbrief 20,2: 
"Auf dem Weg des Todes gehen neben Kindes- 
mördern auch die Vernichter des Gebildes Got- 
tes.'" 

Die Apostolische Konstitution 7,3,2 (ca. 380 n. 
Chr.) legt unter Berufung auf 2. Mose 21 ,23 fest: 
"Du sollst nicht dein Kind durch Abtreibung töten 
noch das Geborene umbringen. Alles Gebildete 
wird, weil es von Gott eine Seele empfangen hat, 
gerächt werden wie bei Mord. '^^ 
Die Petrusapokalypse 8,26 (ca. 300-350 n. Chr.) 
schreibt nach der Darstellung der ewigen Qualen 
von Mördern und anderen Sündern: "Das sind die, 
welche ihre Kinder abtreiben und das Werk des 
Herrn, das er geschaffen hat, verderben."" 
Außerdem verurteilten die Synode von Elvira 
(Kanon 63+68), die Synode von Levira (Kanon 2; 
beide um 300 n. Chr.) und die Synode von Ancyra 
(Kanon 21; 314 n. Chr.) die Abtreibung auch 
kirchenrechtlich^V 

Klaus Bockmühl schreibt darüberhinaus zu Recht: 
"Bei allen großen Kirchenvätern finden sich Sätze, 
die die Abtreibung verurteilen. '^^ 
Basilius von Caesarea und Chrysostomos 
(344/354-407 n. Chr.) bezeichneten Abtreibung als 
Mord^^ 

Athenagoras (2 Jh. n. Chr.) wehrt sich in einem 
Schreiben an Kaiser Marc Aurel (121-180 n. Chr.) 
gegen den Vorwurf, daß Christen Menschenfleisch 
im Gottesdienst äßen, indem er darauf verweist, 
daß doch die Christen selbst die Abtreibung als 
Mord" bezeichnen (177 n. Chr.): 
"Wie sollten wir, die das behaupten, daß jene 
Frauen, die zur Herbeiführung eines Abortus Medi- 
kamente anwenden, Menschenmörderinnen sind 
und sich einst bei Gott darüber zu verantworten 
haben, Menschen umbringen können? Es wäre 
doch inkonsequent zu behaupten, auch der Em- 
bryo sei schon ein Mensch und Gegenstand gött- 
licher Fürsorge, und ihn dann, wenn er das Licht 
der Welt entdeckt hat, zu töten; und die Ausset- 
zung eines Kindes zu verbieten, weil Kin- 
desausetzung einem Kindesmorde gleichkommt, 
dasselbe aber dann, wenn es herangewachsen ist 
zu beseitigen. '^® 

Klemens von Alexandrien (ca. 155-220 n. Chr.) 
schreibt: 

"... und nicht das nach göttlicher Vorsehung ent- 
stehende Menschengeschlecht durch verruchte 
Künste töten. Diese nämlich bedienen sich zur 
Verheimlichung der Unzucht verderbenbringender 
Mittel, die ganz zum Verderben führen, und töten 
so mit der Abtreibung des Embryos zugleich das 
menschliche Gefühl' . 

Auch Minucius Felix wehrt sich gegen den Vorwurf 
des Kindermordes im Gottesdienst (Anfang 3. Jh. 
n.Chr.): 

"Euch allerdings sehe ich die neugeborenen Kinder 
bald aussetzen, bald durch Erdrosseln auf jäm- 
merliche Weise aus dem Leben schaffen. Manche 
Weiber vernichten im eigenen Leibe durch einge- 
nommene Arzneien den Keim künftigen Lebens 
und begehen einen Kindesmord, ehe sie gebä- 



ren. 



,so 



Tertullian (160/170-215-220 n. Chr.) schreibt in 
Apologeticum 9,8: 

"Wir aber dürfen, da der Mord uns ein für allemal 
verboten ist, auch den Fötus im Mutterleibe, wäh- 
rend noch das Blut zur Bildung eines Menschen 
absorbiert wird, nicht zerstören. Die Geburt verhin- 
dern ist nicht nur eine Beschleunigung des Mor- 
des, und es verschlägt nichts, ob man ein schon 
geborenes Leben entreißt oder ein in der Geburt 
begriffenes zerstört. Was erst ein Mensch werden 
soll, ist schon ein Mensch. '^ ' 
Tertullian hielt das Kind im Mutterleib für einen 
Menschen und für unantastbar und berief sich 
dazu - vermutlich als erster - auf Lk 1,41ff^^ In 
'Über die Keuschheit' 12 bespricht Tertullian 
darüberhinaus den Fall, daß das Kind nicht er- 
wünscht ist: 

"Willst du etwa das Empfangene durch Arzneimittel 
beseitigen? Mich dünkt, es ist uns ebenso wenig 
erlaubt, einen in der Geburt begriffenen Menschen 
als einen schon Geborenen zu töten. "'^ 
Tertullian verwirft damit entschieden die aristoteli- 
sche Sicht der Beseelung des Kindes im Mutterleib 
nach 40 bzw. 90 Tagen * und läßt den Schutz des 
Kindes im Mutterleib mit der Empfängnis be- 
ginnend^. 

Noch deutlicher ist das bei Basilius dem Großen 
(329-379 n. Chr.) (Brief an Amphilochius 188,2) 
der Fall: 

"Eine Frau, die absichtlich die Leibesfrucht ab- 
treibt macht sich des Mordes schuldig. Eine spitz- 
findige Unterscheidung zwischen ausgebildeter 
und gestalteter Leibesfrucht gibt es bei uns nicht 
Denn solches Tun rächt sich nicht nur am kei- 
menden Leben, sondern auch an der, die sich da- 
mit selbst gefährdet, weil ja solche Versuche den 
Frauen in der Regel das Leben kosten. Dazu 
kommt aber noch die Vernichtung des Embryos, 
ein zweiter Mord, beabsichtigt wenigstens von 
denen, die solches wagen. '^^ 
Hippolyt von Rom (?- ca. 236 n. Chr.) bezeichnet 
in seiner Schrift Elenchos 9,12 (Anfang 3. Jh. n. 
Chr.) das Einschnüren des Bauches, um eine Ab- 
treibung einzuleiten, ebenfalls als Mord." 
Wo sich das christliche Recht durchsetzte, wurde 
Abtreibung als Mord angesehen und damit die 
Strafe für Mord auch für eine Abtreibung ange- 
setzt. So wurde etwa durch Christianisierung im 
gotischen Recht die Todesstrafe für Abtreibung 
eingeführt^^ 

Allerdings gibt es hier keine gradlinige Entwick- 
lung, zum einen, weil sich das christliche Recht oft 
nur teilweise durchsetzte, zum anderen, weil die 
christliche Ethik immer wieder mit dem Einfluß der 
überlieferten Ethik der griechischen Philosophie 
und des hellenistischen Judentums zu kämpfen 
hatte. 

"In unterschiedlicher Ausgestaltung stellten dage- 
gen die christlich-germanischen Volksrechte den 
Schwangerschaftsabbruch unter Strafe; auch die 
Todesstrafe kam (vorbehaltlich einer Ablösung 
durch Wergeid) vor ... Das Mittelalter kannte im 
allgemeinen keine staatliche Strafe für Abtreibung; 
die Ahndung blieb wohl der Kirche überlassen ... 
Das Kirchenrecht betrachtete die Tötung des Un- 
geborenen zwar als Mord. Nicht unangefochten, 
aber herrschendS.8 war jedoch bis zum Ende des 
19. Jahrhunderts der Satz, daß menschliches Le- 
ben erst mit der Beseelung beginne. Als Zeitpunkt 
der Beseelung galt der 40., bei Mädchen der 80. 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



35 



■ m:' 



Tag. ... Die Gesetzgebung der deutschen 
Partikularstaaten seit der Aufklärung folgte dem 
nicht. Sie stellt die Abtreibung vom Beginn der 
Schwangerschaft an unter Strafe, jedoch nicht 
mehr als Totschlag oder Mord. '^^ 
Keine Geringeren als die Kirchenväter Hieronymus 
(ca. 345-419 n. Chr.) und Aurelius Augustin (354- 
430 n. Chr.), sowie später das Decretum Gratia- 
num (12. Jh.) hielten zwar Abtreibung für mit der 
Höchststrafe zu belegenden Mord, ließen al- 
lerdings das Menschsein des Fötus erst beginnen, 
wenn er seinen 'ungeformten' Status hinter sich 
läßt", was einer Fristenlösung entsprach. Als 
Zeitpunkt galten die genannten Zeitpunkte Piatos, 
die allein schon deswegen ungeheuerlich sind, weil 
sie das Mädchen erst später zum Menschen wer- 
den lassen als den Jungen und damit zur Abtrei- 
bung von Mädchen doppelt so viel Zeit zur Verfü- 
gung stellten als für Jungen. 
Piatos Behauptung der Beseelung am 40. bzw. 80. 
Tag nach der Empfängnis wurde jedoch meist 
durch die griechische Übersetzung des Alten Te- 
stamentes, die Septuaginta, vermittelt, wie das 
etwa bei Augustin ganz offensichtlich ist"". Die 
Septuaginta übersetzt in Abweichung vom he- 
bräischen Text 2Mose 21,22-25 nämlich so, daß 
sich eine Fristenlösung ergibt. Darauf baute die jü- 
disch-hellenistische Sicht auf, daß ein Embryo erst 
zum Menschen werde und nicht mehr abgetrieben 
werden dürfe, sobald er ein menschliches Gesicht 
habe''^ Diese Auffassung wirkt bis heute nach, wie 
der folgende Kommentar einer großen deutschen 
Tageszeitung kritisch vermerkt. 
"Gantes minutiöse Darstellung macht deutlich, wie 
sehr im Kreis der Befürworter der Fristenregelung 
alte Theorien, die man längst überwunden glaubte, 
fortwirkten, so die römisch-rechtliche Auffassung, 
wonach das ungeborene Kind ein 'den Eingewei- 
den vergleichbarer Teil des mütterlichen Organis- 
mus' sei und die auf Aristoteles zurückgehende 
These der 'sukzessiven Beseelung' - obwohl man 
längst wußte, daß in der befruchteten Eizelle das 
vollständige genetische Programm eines Individu- 
ums enthalten war!... Und Willi Weyer wies in der 
Bundesratssitzung vom 10. Mai 1974 zur Begrün- 
dung der Dreimonatsfrist der Fristenregelung auf 
die 'alte philosophische und theologische 
Unterscheidung von 'foetus inanimatus' und von 
'foetus animatus' hin. Ein zähes Nachleben alter 
Vorstellungen in vermeintlich fortgeschrittener 
Epoche - zu einer Zeit als längst jedes Schulkind 
wußte, was DNS, was der genetische Code be- 
deutet."'" 



.A3 



Anmerkungen: 



V3I. zur Geschichte des Abtreibungsstrafrechtes vor 
ailem Günter Jerouschek. Lebensschutz und Lebens- 
beginn: Kulturgeschichte des Abtreibungsverbots. IVle- 
dizin in Recht und Ethik 17. Friedrich Erike Verlag: 
Stuttgart, 1988. Jeder, der sich mit der heutigen Abtrei- 
bungsproblematik intellektuell auseinandersetzt, wird 
diese juristische Dissertation begrüßen und verwenden, 
auch wenn Jerouschek das Thema rein historisch be- 
handelt und keine Folgerungen für die Gegenwart zieht. 
Der Autor verfolgt die juristische Einschätzung der Ab- 
treibung von der Antike bis zur deutschen Strafprozeß- 
ordnung von 1871. Mit Akribie werden die einzelnen 
Ansichten zusammengetragen und nebeneinanderge- 
stellt. Die griechische Antike, die kaum nennenswerte 
Gründe gegen die Abtreibung hervorbrachte (auch der 
Eid des Hippokrates wendet sich nicht gegen die Ab- 
treibung an sich, S. 17-20) unterscheidet sich von der 
römischen Situation, in der dem Vater die Ent- 
scheidungsgewalt zustand und natürlich von der christli- 
chen Sicht, die die Abtreibung stark zurückdrängte. 



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aber doch in sich starken Schwankungen unterworfen 
war. Das Buch ist zugleich ein Lehrstück dafür, wie 
stark religiöse Grundsatzentscheidungen zu allen Zei- 
ten die Rechtsethik beeinflußt haben. Es ist illusorisch 
zu meinen, jemals ein 'neutrales' Recht erreichen zu 
können, weil das Recht nur der verlängerte Arm der 
religiös begründeten Ethik ist. (Aus 2Mose 21 ,22-25 
entnimmt der Autor [S. 28-29], daß das Alte Testament 
nicht gegen Abtreibung gerichtet sei. Wir sehen den 
Text jedoch als Beweis dafür an, daß der Totschlag ei- 
nes Fötus mit dem Totschlag eines erwachsenen Men- 
schen gleichgestellt wird und darauf die Todesstrafe 
steht.) Vgl. zur Verbreitung der Abtreibung bei den sog 
'Naturvölkern' Georg Devereux. A Study of Abortion in 
Primitive Societies. Julian Pr. X.: New York, 1955394 
S.Kopien, bes. die Tabellen S. 361-371 
Vgl. zur Abtreibung in der antiken Welt Rousas J. Rus- 
hdoony. Institutes of Biblical Law. Presbyterian and Re- 
formed Publ.: Phillipsburg, 1973. S. 263-266 (mit 
scharfer Verurteilung aus christlicher Sicht); Rousas 
John Rushdoony. The One and the Many. Thoburn 
Press: Fairfax (VI), 1978. S. 129-130; Günter Je- 
rouschek. Lebensschutz und Lebensbeginn, a. a. O. S. 
11-29; vgl. Emiel Eyben. "Family Planning in Graeco- 
Roman Antiquity". Anclent Society 11/12 (1980/1981): 
5-82; Joseph Dölger. "Das Lebensrecht des ungebore- 
nen Kindes und die Fruchtabtreibung in der Bewertung 
der heidnischen und christlichen Antike". Antike und 
Christentum 4 (1934) 1-61; Enzo Nardi. Procurato Ab- 
orte Nel Monde Greco Romano: Milano, 1971; Achim 
Keller. Die Abortiva der Römischen Kaiserzelt. Quellen 
und Studien zur Geschichte der Pharmazie 46. Deut- 
scher Apotheker Verlag: Stuttgart, 1988; Paul Carrick. 
Medical Ethics in Antiquity: Philosophlcal Perspectiyes 
on Abortion and Euthanasia. Philosophy and Mediane 
18. Reidel: Dordrecht, 1985; Otto Steen Due. "Amores 
und Abtreibung: Ov. Am. II 13 & 14". Classica et Me- 
diaevalia (Kopenhagen) 32 (1971-1980): 135-150; Sa- 
rah B. Pomeroy. "Infanticide in Helenistic Greece". S. 
207-222 in: Averil Cameron; Amelie Kuhrt. Images of 
Women in Antiquity. Croom Helm: London, 1983; J. H. 
Waszink. "Abtreibung". Sp. 55-60 in: Thedor Klausner 
(Hg.). Reallexikon für Antike und Christentum. Bd. 1. 
HIersemann: Stuttgart, 1950. S. 55-59; Hartmann. 
"Abtreibung". Sp 108 in: Georg WIssowa (Hg.). Paulys 
Realencyclopädie der Classischen Al- 

tertumswissenschaft. Bd. 1. J. B. Metzler: Stuttgart, 
1894 

So bes. Emiel Eyben. "Family Planning in Graeco-Ro- 
man Antiquity". a. a. O.S . 16 

Antje Krug. Heilkunst und Hellkult: Medizin in der An- 
tike. Becks archäologische Bibliothek. C. H. Beck: 
München, 1985. S. 189; vgl. Emiel Eyben. "Family 
Planning in Graeco-Roman Antiquity". a. a. O. S. 12-19; 
Otto Steen Due. "Amores und Abtreibung", a. a. O. S. 
136-138 

Ebd. S. 138; vgl. die Sammlung von literarischen Bele- 
gen für die Aussetzung mißgebildeter und behinderter 
Babys bei Emiel Eyben. "Family Planning In Graeco- 
Roman Antiquity". a. a. O. S. 14-15 
Plato, De re publica V,9; vgl. Joseph Dölger. "Das Le- 
bensrecht des ungeborenen Kindes ...". a. a. O. S. 7; 
Günter Jerouschek. Lebensschutz und Lebensbeginn, 
a. a. O. S. 11-13 

Aristoteles, Politeia, VII, 14,10; vgl. ebd. S. 12-13; vgl. 
Joseph Dölger. "Das Lebensrecht des ungeborenen 
Kindes ...". a. a. O. S. 7-10 
Zitiert nach ebd. S. 7 

Vgl. Klaus Bockmühl. "Die Beurteilung der Abtreibung 
in der Frühzeit der christlichen Kirchen". Theologische 
Beiträge 3 (1 972): 34-43, hier S. 35+41 
Otto Steen Due. "Amores und Abtreibung", a. a. O. S. 
137 

Sarah B. Pomeroy. "Infanticide in Helenistic Greece". a. 
a. O. S. 207 

Otto Steen Due. "Amores und Abtreibung", a. a. O. S. 
138 

Günter Jerouschek. Lebensschutz und Lebensbeginn, 
a. a. O. S. 17-20 (anders dagegen Antje Krug. Heilkunst 
und Hellkult, a. a. O. S. 188-189) 
Günter Jerouschek. Lebensschutz und Lebensbeginn, 
a. a. O. S. 17-20; dem widersprechen Franz Joseph 
Dölger. "Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes ...". 
a. a. O. S. 15-16 und Emiel Eyben. "Family Planning in 
Graeco-Roman Antiquity". a. a. O. S. 43-46, die den Eid 
für eine verbindliche Abfehnung der Abtreibung halten. 
Vgl. 16+22+26-28 

Jähnke. "Sechzehnter Abschnitt: Straftaten gegen das 
Leben" (zu §§ 218-220). in: Hans-Heinrich Jeschek, 
Wolfgang Ruß, Günther Wlllms (Hg.). Strafgesetzbuch: 
Leipziger Kommentar: Großkommentar. Bd. 5: §§ 185 
bis 262. Walter de Gruyter: Bertin, 198910. S. 7 
Ebd. 
Eine ausgezeichnete Darstellung zur Geschichte des 



36 



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, ■; 



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christlichen Kampfes gegen die Abtreibung ist George 
Grant. Third Time Around: A History of the Pro-Life IVIo- 
vement from the First Century to the Present. Wolge- 
muth & Hyatt: Brentwood (TN), 1991; vgl. vom selben 
Autor die Kritik der Geschichte der modernen 30 

Abtreibungsbefürworter George Grant. Grand lllusions: 
The Legacy of Planned Parenthood. Wolgemuth & 
Hyatt: Brentwood (TN), 1988. Vgl. außerdem zur Ge- 31 

schichte der christiiclnen Ablehnung der Abtreibung 
(jeweils mit Zitaten der Frühen Kirche): George Grant. 
Third Time Around. a. a. O. S. 17-47; M. J. Gorman. 
Abortion and the Early Church. InterVarsity Press: 
Downers Grove (IL), 1982 (in Kurzfassung bei: Dolores 32 

E. Dunnett. "Evangelicals and Abortion". Journal of the 
Evangelical Theological Society 33 (1990) 2: 217-225, 33 

hier 218-220); Klaus Bockmühl. "Die Beurteilung der 
Abtreibung in der Frühzeit der christlichen Kirchen", a. 
a. O.; Ernst Volk. "Vom Schutz des ungeborenen Le- 34 

bens". Wahrheit für Heute: eine theologische Zeitschrift 
(Freiburg) 17 (1989) 3: 8-124-16; Emiel Eyben. "Family 35 

Planning in Graeco-Roman Antiquity". a. a. O. S. 62-74; 
Günter Jerouschek Lebensschutz und Lebensbeginn, 
a. a. O. S. 35-37+50-52; J. H. Waszink. "Abtreibung", a. 
a. O. Sp. 59-60. Die wichtigste Untersuchung ist: Franz 
Joseph Dölger. "Das Lebensrecht des ungeborenen 
Kindes ...". a. a. O. Dölger überschätzt allerdings - der 
Zeit der Abfassung (1934) gemäß - das Germanische 
(z. B. S. 1-2) und legt eine meines Erachtens falsche 
Auslegung von 2Mose 21,22-23 (S. 6-7) zugrunde (vgl. 
die Diskussion oben), so daß die jüdische Auffassung 
plötzlich der griechischen entspricht. -V 

Übersetzung nach: Klaus Bockmühl. "Die Beurteilung --, 

der Abtreibung in der Frühzeit der christlichen Kirchen", 
a. a. O. S. 36; vgl. Franz Joseph Dölger. "Das Lebens- 
recht des ungeborenen Kindes ...". a. a. O. S. 23 
Übersetzung nach: Klaus Bockmühl. "Die Beurteilung 
der Abtreibung in der Frühzeit der christlichen Kirchen", 
a. a. O. S. 36; vgl. Franz Joseph Dölger. "Das Lebens- 36 

recht des ungeborenen Kindes ...". a. a. O. S. 24 
Übersetzung nach: Klaus Bockmühl. "Die Beurteilung 
der Abtreibung in der Frühzeit der christlichen Kirchen", 
a. a. O. S. 36; vgl. Franz Joseph Dölger. "Das Lebens- 37 

recht des ungeborenen Kindes ...". a. a. O. S. 24, Anm. 
86. Es muß allerdings offen bleiben, ob Gebilde das 38 

Kind im Mutterleib ab der Empfängnis meint, oder erst, 
vyenn es ausgebildete! ist. 39 

Übersetzung nach: Klaus Bockmühl. "Die Beurteilung 
der Abtreibung in der Frühzeit der christlichen Kirchen". 40 

a, a. O. S. 36-37 

Übersetzung nach ebd. S. 37; vgl. Franz Joseph Döl- 
ger. "Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes ...". a. 
a. O. S. 49-51 41 

Vgl. die Texte und die Diskussion im einzelnen in ebd. 
S. 55-57 42 

Klaus Bockmühl. "Die Beurteilung der Abtreibung in der 43 

Frühzeit der christlichen Kirchen", a. a. O. S. 37 
Vgl. zu allen M. J. Gorman. Abortion and the Early 
Church. S. 66-69 
Ebd. S. 54; 
Übersetzung nach: Klaus Bockmühl. "Die Beurteilung 



der Abtreibung in der Frühzeit der christlichen Kirchen", 
a. a. O. S. 37_ 

Zitiert nach: Franz Joseph Dölger. "Das Lebensrecht 
des ungeborenen Kindes ...". a. a. O. S. 27 
Übersetzung nach: Klaus Bockmühl. "Die Beurteilung 
der Abtreibung in der Frühzeit der christlichen Kirchen", 
a. a. O. S. 37 

Übersetzung nach: Klaus Bockmühl. "Die Beurteilung 
der Abtreibung in der Frühzeit der christlichen Kirchen", 
a. a. O. S. 37-38; vgl. zu Tertullian: Franz Joseph Döl- 
ger. "Das Lebensrecht des ungeborenen Kindes ...". a. 
a. O. S. 32-44 

M. J. Gorman. Abortion and the Early Church. a. a. O. 
S. 55 

Übersetzung nach Klaus Bockmühl. "Die Beurteilung 
der Abtreibung in der Frühzeit der christlichen Kirchen", 
a. a. O. S 38 

Dies betont besonders: Ernst Volk. "Vom Schutz des 
ungeborenen Lebens", a. a. O. S. 8 
Bei Tertullian und Gregor von Nyssa (vgl. Günter Je- 
rouschek. Lebensschutz und Lebensbeginn, a. a. O. S. 
35-37) ist der Grund für diese Position der sog. 
Tradizianismus', das heißt die Lehre, daß die Seele 
des Kindes von den Eltern kommt und daher die Seele 
bereits ab der Zeugung besteht. Der dem entgegenste- 
hende 'Kreationismus', der lehrt, daß die Seele von Gott 
ganz neu erschaffen wird, setzte diese Erschaffung 
bisweilen unter dem erwähnten Einfluß der griechi- 
schen Philosophie erst später als die Zeugung an, was 
aber von der Bibel her nicht zu rechtfertigen ist. Franz 
Joseph Dölger. "Das Lebensrecht des ungeborenen 
Kindes ...". a. a. O. S. 34-35 und Emiel Eyben. "Family 
Planning in Graeco-Roman Antiquity". a. a. O. S. 68-71 
gehen allerdings davon aus, daß auch Tertullian den 
Menschen zwar von Anfang an beseelt hält, ihn aber 
erst zum Menschen erklärt, sobald er eine menschliche 
Form hat. 

Zitiert nach Alfons Heilmann (Hg.). Texte der Kirchen- 
väter. Bd. 3. Kösel-Verlag: München, 1964. S. 632; vgl. 
zu Basilius Günter Jerouschek. Lebensschutz und Le- 
bensbeginn, a. a. O. S. 35-37 

Klaus Bockmühl. "Die Beurteilung der Abtreibung in der 
Frühzeit der christlichen Kirchen", a. a. OS. 38 
Günter Jerouschek. Lebensschutz und Lebensbeginn, 
a. a. O. S. 56 

Jähnke. "Sechzehnter Abschnitt: Straftaten gegen das 
Leben" (zu §§ 218-220). a. a. O. S. 7-8 
Vgl. zu allen M. J. Gorman. Abortion and the Early 
Church. a. a. O. S. 66-69 und zu Augustin speziell 
Franz Joseph Dölger. "Das Lebensrecht des ungebore- 
nen Kindes ...". a. a. O. S. 44-46+57-60 
Günter Jerouschek. Lebensschutz und Lebensbeginn. 
a.a.O. S. 41 
Ebd. S. 33-34 

Hans Maier. "Wenn sich Aufklärung verspätet: Ge- 
schichte des Abtreibungsstrafrechts". Frankfurter All- 
gemeine Zeitung vom 9.9.1991 über Michael Gante. § 
218 in der Diskussion: Meinungs- und Willensbildung 
1945- 1976. Droste: Düsseldorf, 1991 



aus Augsburger Allgemeine 22/23.1 .94 

Eher wie ein bestellter Killer 

Zum Bericht "Mit diesem Urteil kann ich leben" 
(Aus Schwaben und Oberbayem) vom 1 S.Januar: 

36 vollendete Auslöschungen werdenden Lebens, 
vier versuchte Tötungen und 18 Kinder, denen das 
Licht der Welt zu erblicken versagt wurde! Mir er- 
scheint dieser "verantwortungsvolle Arzt" eher wie 
ein bestellter Killer. Durch eine Änderung des ge- 
sellschaftspolitischen Denkens verhängte die Ju- 
stiz eine Strafe von 18 Monaten auf Bewährung, 
was einem Freispruch fast gleichzustellen ist. Eine 
Überlebensangst erfaßt mich: Wehe den geistig 
Behinderten oder den schwer Pflegebedürftigen, 
wenn eine Änderung des gesellschaftspolitischen 
Denkens in diesen Bereichen eintritt. Ihr Schrei 
nach Leben wird ungehört verhallen, wenn Ange- 
hörige oder die Gesellschaft dieser Menschen 
überdrüssig ist. Warnung: Herr Atrott hat sich vor- 
erst auch schon "freigekauft". Zudem sehe ich eine 
gravierende Verletzung des Grundgesetzes, das 



durch die Gewaltenteilung eine unabhängige Ge- 
richtsbarkeit geschaffen hat. Dieses Urteil ist in 
meinen Augen jedoch nicht der einzige Justizirr- 
tum. Ich wünsche mir ein Umdenken hin zum Le- 
ben. 
Klaus Durz, Augsburg 

Mir graut es! 

Als Arzt schäme ich mich, demselben Berufsstand 
anzugehören wie H. Theissen. Als Deutscher 
schäme ich mich für einen Richter, der in seinem 
Urteil einen Mediziner, der menschliche Embryo- 
nen vernichtet, als "guten Arzt" bezeichnet, der 
"gute Medizin geliefert und einwandfreie Arbeit 
geleistet" habe. Offenbar hat die "Änderung des 
gesellschaftlichen Denkens" jetzt auch die ethi- 
schen Grundlagen unserer Richter und Staatsan- 
wälte ausgehöhlt. Wir sind auf einem guten Weg! 
Mir graut es! 
Dr. med. Theo Regensburger, Dillingen 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



37 



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Gesund in vergifteter Umwelt 

Von der Kunst des gesunden Lebens 

In der antiken Medizin bestand die wichtigste Auf- 
gabe der Ärzte nicht darin, Kranl^heiten zu heilen, 
sondern die Kunst des gesunden Lebens zu leh- 
ren. Die Diätetik, die Kunst gesunder Lebensfüh- 
rung, umfaßte das konkrete Leben des einzelnen. 
Sie lehrte die Menschen, ihr Leben so zu gestal- 
ten, daß es ihnen gut tut, daß sie dadurch gesund 
bleiben würden. Die frühe Kirche hat in der Tradi- 
tion der griechischen Medizin auch das geistliche 
Leben als Kunst des gesunden Lebens verstan- 
den. Wenn Benedikt eine Regel für Mönche 
schreibt, dann möchte er damit eine ganz konkrete 
Form des Lebens anbieten, die dem Menschen gut 
tut. Die Regel ist die Übersetzung der Heiligen 
Schrift in das konkrete Leben hinein. Und ohne ge- 
sunden Lebensstil gibt es für Benedikt kein wahres 
geistliches Leben. Spiritualität ist für ihn erdhaft, 
sie bezieht sich auf die Formung des Lebens auch 
in seinen rein weltlichen Bezügen. Es berücksich- 
tigt die Ordnung der Arbeit und des Betens, die Art 
zu essen und zu trinken, zu schlafen und zu wa- 
chen, und die Weise, miteinander zu leben. 

Unser geistliches Leben kann nur dann gesundes 
Leben sein, wenn es allen Bereichen unserer Exi- 
stenz seinen Stempel aufdrückt und sie gestaltet 
und formt. Zwei Wege sind mir dabei wichtig, eine 
geistliche Kunst des gesunden Lebens zu lernen. 
Da ist einmal das Hören auf Gottes Stimme in mir. 
Und zum anderen die konkrete Gestaltung meines 
Lebens, die spirituelle Formung aller Lebensvoll- 
züge, die christliche Diätetik. 

1 . Das Hören auf Gottes Stimme in 
mir 

Gott spricht zu mir nicht nur in der Heiligen Schrift, 
nicht nur in der Feier der Eucharistie oder im per- 
sönlichen Gebet, sondern gerade auch durch 
meine Gefühle und Leidenschaften, durch meine 
Träume und durch meinen Leib. Viele überhören 
diese Stimme. Sie achten nur auf die Stimme 
Gottes in der Offenbarung der Schrift. Aber da sie 
verlernt haben, auf Gott zu hören, der in ihnen 
spricht, verstehen sie die Worte der Schrift oft 
falsch. Die Worte der Schrift fallen für sie vom 
Himmel, sie stülpen sie sich über als moralische 
Forderung, als zu glaubende Lehre. Weil das Wort 
Gottes in der Schrift keinen Resonanzboden in ih- 
rer eigenen Wirklichkeit hat, kann es auch seine 
heilende Wirkung nicht entfalten. 

Als Bild, wie wir auf die Stimme unserer Leiden- 
schaften hören sollten, ist mir das Märchen von 
den Drei Sprachen wichtig geworden. Dort lernt ein 
Königssohn die Sprache der bellenden Hunde. Als 
er in einer Burg übernachten will, kann ihm der 
Burgherr nur den Turm anbieten, in dem wilde 
bellende Hunde hausen, die schon viele zerrissen 
haben. Aber er hat keine Angst davor. Er nimmt 
etwas zu essen mit und spricht freundlich mit den 
Hunden. Sie verraten ihm, daß sie nur deshalb so 
wild sind, weil sie einen Schatz hüten. Und sie zei- 
gen ihm den Weg zum Schatz. Ergräbt das Gold 
aus und das ganze Land hat Frieden. Unsere Lei- 



denschaften, unser Ärger, unsere Wut, unsere Ei-- 
fersucht, unsere Angst, sind oft solch bellende 
Hunde. Wenn wir auf sie hören, dann weisen sie 
uns den Weg zum Schatz in unserem Turm. 

Wenn wir lange genug unsere Gefühle überhört 
oder verdrängt haben, dann wirken sie sich oft 
körperlich aus. Verdrängte Wut setzt sich im Kör- 
per fest und äußert sich als Antriebslosigkeit, als 
diffuse Unzufriedenheit. Verdrängter Ärger kann 
sich in Magengeschwüren ausdrücken. Daher ist 
es wichtig, auf den eigenen Leib zu hören. Wenn 
ich taub bin gegenüber der Stimme Gottes in mei- 
nen Gefühlen, so muß Gott eine lautere Sprache 
sprechen, die Sprache der Krankheit. 
Viele Überhören auch diese laute Stimme Gottes 
in ihrem Leib. Sie wollen die Krankheit wieder in 
den Griff bekommen. Sie wollen nicht die Botschaft 
hören, die ihnen die Krankheit gibt. Die Psycholo- 
gen meinen, die Krankheit sei oft die für den Au- 
genblick günstigste Lösung. Wenn ich nicht krank 
würde, würde ich vielleicht total zusammenbre- 
chen. Die Krankheit zwingt mich, eine Pause zu 
machen, für mich zu sorgen. Sie gibt mir einen 
handfesten Grund, zu den Erwartungen der ande- 
ren nein zu sagen. Ich soll dankbar sein, wenn der 
Körper reagiert. Wenn er nicht reagieren würde, 
würde ich irgendwann in die Katastrophe schlittern. 
Gott spricht zu mir in meinem Leib. Die Kunst des 
gesunden Lebens meint, daß ich auf meinen Leib 
höre, daß ich von der Stimme meines Leibes lerne, 
mein Maß zu entdecken, einen gesunden Umgang 
mit meiner Zeit, mit meiner Kraft, mit meinen Ge- 
fühlen, mit meinen Aggressionen. Dabei muß ich 
mich vor einem neuen Leistungsdruck hüten. Man- 
che haben Angst davor, ihre Krankheit könnte ih- 
nen zeigen, was sie verkehrt gemacht, was sie 
verdrängt und wo sie ungesund gelebt hätten. Sie 
zerbrechen sich den Kopf über ihre Fehler und ihre 
psychischen Probleme. Doch das hilft nicht weiter. 
Ich soll liebevoll mit meiner Krankheit umgehen, 
mich behutsam in meinen Körper hineinhören. 
Vielleicht kann ich die Hand auf die schmerzende 
Stelle legen und spüren, welche Bilder in mir auf- 
tauchen. Dann verurteile ich mich nicht selber, 
sondern durch die Krankheit komme ich in eine 
neue Beziehung zu mir selbst. Durch den bellen- 
den Hund der Krankheit entdecke ich den Schatz 
in mir. Dort wo ich krank bin, liegt auch ein Schatz 
in mir, der gehoben werden möchte. Ich begegne 
in meiner Krankheit nicht nur meinen Problemen, 
sondern auch neuen Möglichkeiten, einer neuen 
Lebensqualität, dem Schatz auf dem Grund mei- 
nes Lebensturmes. 

Um gesund leben zu können, müssen wir auf die 
Stimme Gottes in unseren Gefühlen und Leiden- 
schaften, in unseren Träumen und in unserem Leib 
hören. Es gibt kein Konzept von außen, das wir 
uns überstülpen könnten. Unsere eigenen Gefühle, 
unser Leib und unsere Träume geben uns die 
Richtung an, wie wir gesund leben können. Jeder 
hat sein eigenes Maß und jeder kommt an einer 
anderen Stelle an seine Grenzen. Unsere Gefühle 
zeigen uns unsere Grenzen an. Ich kann nicht ab- 
strakt sagen, wieviel Beichtgespräche ich führen 
sollte. Das kann ich nur erspüren, wenn ich auf 
meine Gefühle höre. Wenn ich mich immer wieder 
ärgere, dann ist das eben ein Zeichen, daß ich 
mein Maß überschritten habe. Ich kann mir nicht 
von einem anderen sagen lassen, wieviel ich ar- 



38 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



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beiten soll. Das muß ich selbst spüren. Wenn mein 
Leib immer wieder mit Krankheit reagiert, muß ich 
mich fragen, ob ich das Maß meiner Arbeit reali- 
stisch sehe, ob ich mich nicht zu wichtig nehme 
und meine, die Welt könnte ohne meine Arbeit 
nicht existieren. Meine Träume geben mir oft die 
Themen an, die bearbeitet werden sollten. Nicht 
meine Vorstellungen von einem gesunden Leben 
sind maßgebend, sondern was Gott mir im Traum 
sagt. Da kann er mich auf Seiten hinweisen, die ich 
sonst nicht sehen würde. Wenn ich auf diese 
Stimme Gottes höre, dann werde ich gesund le- 
ben. Denn Gott ist ja der Arzt meiner Seele. Er 
weiß, was für mich stimmt. Aber er spricht zu mir 
nicht von oben herab, sondern von unten durch 
meine Leidenschaften, durch meine Krankheiten, 
durch meine Träume. 

2. Christliche Diätetik 

Die antike Diätetik, die "Regelung der Lebens- 
weise" wurde von Herodikos von Selymbria im 5. 
Jahrhundert vor Christus begründet und dann von 
Hippokrates und Galenos weiter entfaltet. Nach 
Galenos umfaßt die Diätetik sechs Bereiche: 1 . 
Licht und Luft, 2. Speise und Trank, 3. Bewegung 
und Ruhe, 4. Schlafen und Wachen, 5. Absonde- 
rungen und Ausscheidungen, und 6. Leidenschaf- 
ten der Seele, Gefühle und Emotionen. Hildegard 
von Bingen hat versucht, die antike Diätetik für das 
geistliche Leben fruchtbar zu machen. Unserer 
Spiritualität täte es auch heute gut, wenn wir die 
sechs Bereiche der antiken Diätetik beachten wür- 
den, wenn wir unser konkretes Leben geistlich 
prägen und formen könnten. Dabei ist zu beach- 
ten, daß die meisten Bereiche polar gegliedert 
sind. Gesund wird der Mensch nur, wenn er beide 
Pole miteinander verbindet und ein Gleichgewicht 
zwischen ihnen findet. Dabei ist es nie statisch, 
sondern immer fließend. Die Kunst des gesunden 
Lebens besteht darin, die sechs Bereiche so zu le- 
ben, wie es der Natur des Menschen entspricht, 
und die beiden Pole miteinander ins Gleichgewicht 
zu bringen. 

Der erste Bereich der Diätetik ist der von Licht und 
Luft. Er bezieht sich darauf, daß ich genügend an 
die frische Luft gehe, daß ich in der frischen Luft 
auch genügend Bewegung habe. Zum Thema 
Licht und Luft gehört aber auch eine gesunde 
Wohnkultur. Habe ich auch in meiner Wohnung 
genügend Licht und Luft? Fühle ich mich darin 
wohl? Wer sich in seiner Wohnung nicht wohl fühlt, 
muß ja auf Wanderschaft gehen und bei anderen 
eine Heimat suchen. Geistliches Leben meint, daß 
ich meine Lebensverhältnisse darauf hin an- 
schaue, ob sie gesund oder krank machen, ob sie 
bewußt oder unbewußt, geistlich oder geistlos 
sind. Die äußere Gestaltung meines Wohnbereichs 
kann eine dauerhaftere Verwandlung bewirken als 
ständig neue Vorsätze für mein tägliches Handeln. 
Der zweite Bereich von Essen und Trinken zieht 
heute viel Aufmerksamkeit auf sich. Es geht aber 
nicht nur darum, daß ich mich gesund ernähre, 
daß ich auf die Auswahl der Lebensmittel achte, 
sondern auch wie ich esse. Viele haben heute die 
Kultur des Mahles verloren. Sie ernähren sich 
schnell aus dem Kühlschrank und nehmen sich 
kaum Zeit, miteinander Mahl zu halten. Im Essen 
wird meine Beziehung zur Welt überhaupt deutlich. 



Wenn ich Essen in mich hineinschlinge, werde ich 
auch Bücher und Menschen verschlingen, und ich 
werde die Schöpfung verschlingen und ausbeuten. 
Viele haben heute Eßprobleme. Sie haben das 
richtige Maß für das Maß von Speise und Trank 
verloren. Manche lösen es dadurch, daß sie immer 
wieder fasten. Fasten ist sicher gut sowohl für die 
Gesundheit als auch für die Spiritualität. Denn es 
kann mich innerlich frei machen und mich für Gott 
öffnen. Aber wenn ich mich immer wieder mit Fa- 
sten dafür bestrafe, daß ich zuviel gegessen habe, 
werde ich ständig um das Thema Essen und Fa- 
sten kreisen. Und es wird mir nicht gut tun. Statt 
mein Essen nur mit Disziplin in den Griff zu be- 
kommen, müßte ich vielmehr eine neue Genußfä- 
higkeit lernen. Wenn ich wirklich genieße, dann 
finde ich auch mein Maß. Wer genießt, verschlingt 
nicht, der ißt von innen heraus nur soviel, wie für 
ihn stimmt. 

Der dritte Bereich bezieht sich auf Bewegung und 
Ruhe. Es wäre das Thema ora et labora, bete und 
arbeite, das für die benediktinische Spiritualität 
kennzeichnend wurde. Der Mensch kann in die Ar- 
beit fliehen, er kann aber auch vor ihr davonlaufen. 
Arbeit und Gebet, Bewegung und Ruhe, müssen 
ins Gleichgewicht kommen. Wer vor lauter Arbeit 
keine Zeit zum Beten oder zur Stille findet, dessen 
Aktionismus wird bald leer werden. Wer sich so 
wichtig nimmt, daß er sich keine Zeit der Erholung 
gönnt, wird bald körperlich krank. Um das rechte 
Maß von Bewegung und Ruhe, von Gebet und Ar- 
beit zu finden, muß ich meine Zeit gut ordnen. 
Täglich zur gleichen Zeit aufstehen, Zeit zum Ge- 
bet oder zur Meditation zu reservieren, mit der Ar- 
beit zu beginnen und aufzuhören und zu Bett zu 
gehen, sind da eine große Hilfe. Wenn ich jeden 
Tag neu entscheiden muß, wann ich meditieren 
möchte, brauche ich viel zuviel Energie. Eine gute 
Tagesordnung wird mich innerlich in Ordnung brin- 
gen und mir Zeit für die wichtigsten Lebensvoll- 
züge sichern, für Gebet und Arbeit, für Einsamkeit 
und Gemeinschaft, für Stille und Gespräch. Doch 
nicht jeder wird so frei über seine Zeit verfügen 
können. In der Familie sind viele durch den 
Rhythmus der Kinder bestimmt. Dann wäre es oft 
ein vergeblicher Kampf, sich jeden Tag Zeit zum 
Meditieren zu nehmen. 

Wenn ich in meinem Tagesablauf keine extra Zeit 
für mich finde, dann kann ich zumindest darauf 
achten, wie ich das tue, was ich sowieso tue. Wie 
stehe ich auf, mit welchen Gedanken und Gefüh- 
len, langsam oder hektisch? Welche Rituale habe 
ich entwickelt, um meinen Tag zu beginnen und 
abzuschließen? Für den hl. Benedikt gibt es kein 
gesundes geistliches Leben ohne gesunden Le- 
bensstil. Wenn ich eine gute Art habe, morgens 
aufzustehen, mir Zeit zum Beten zu lassen und in 
aller Ruhe zu frühstücken, dann kann vieles wäh- 
rend des Tages dazwischen kommen, ohne mich 
aus meiner Mitte zu werfen. Ich lebe, anstatt gelebt 
zu werden. 

Mein geistliches Leben taugt nicht viel, wenn es 
nicht die Kraft hat, auch meine Arbeit zu prägen. 
Es wird sich darin zeigen, daß ich konzentriert und 
gleichmäßig arbeite, daß ich mich sachlich den 
Problemen stellen kann, daß ich klug organisiere. 
In meiner Arbeit drückt sich auch meine Seele aus. 
Wenn ich chaotisch arbeite, äußert sich darin mein 
inneres Durcheinander. Die Lustlosigkeit bei der 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



39 



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Arbeit zeigt, daß ich nicht wirl^lich ja dazu gesagt 
habe, daß ich von meinen Bedürfnissen oder von 
inneren Zwängen bestimmt werde. In allem, was 
wir tun, offenbaren wir anderen, wie es in uns aus- 
sieht. Das fängt schon beim Autofahren an. Wenn 
ich bei dem einen mitfahre, kann ich mich bequem 
zurücklehnen, da fühle ich mich sicher. Beim ande- 
ren muß ich dagegen innerlich ständig auf die 
Bremse treten. Es ist nicht nur ein ganz bestimm- 
ter Stil des Autofahrens, sondern auch ein Stil des 
Lebens. Ich begegne darin der Seele des anderen. 
Eine christliche Diätetik achtet darauf, daß die Ar- 
beit von innen heraus geschieht, daß sie aus der 
spirituellen Quelle herausfließt und nicht aus der 
Fahrigkeit einer zerstreuten Seele. 

Der vierte Bereich bezieht sich auf Schlafen und 
Wachen. Damit ist einmal das gesunde Maß von 
Schlafen und Wachen gemeint. Manche nehmen 
sich so wichtig, daß sie meinen, mit möglichst we- 
nig Schlaf auskommen zu müssen. Andere flüch- 
ten in den Schlaf. Wieder andere fürchten sich vor 
schlaflosen Nächten. Sie können nicht einschlafen, 
weil sie nicht fähig sind, sich loszulassen. Die 
Kunst des gesunden Lebens verlangt aber nicht 
nur, daß ich mein Maß des Schlafes finde, sondern 
daß ich auch darauf achte, was Gott mir während 
des Schlafes im Traum sagen möchte. Die Mönche 
haben das Silentium nocturnum, das nächtliche 
Stillschweigen hochgehalten, weil sie noch ein Ge- 
spür dafür hatten, daß wir im Schlaf eintauchen in 
den göttlichen Wurzelgrund. Unsere Abende sind 
oft sehr laut geworden. Viele kommen abends 
enttäuscht und ermüdet von der Arbeit heim, sie 
haben keine Kraft mehr zu einer Kultur des 
Abends, zu einem gesunden Abendritual. Sie 
stopfen ihre Frustration mit Essen und Trinken 
oder mit Fernsehen zu. Wenn sie dann müde ins 
Bett fallen, dann sind sie voll vom Ärger des Tages 
und von den vielen Eindrücken, mit denen sie die 
negativen Gefühle zugestopft haben. Die nicht 
verarbeiteten Gefühle aberwirken im Unbewußten 
weiter. Für die Alten war das gesunde Abendritual, 
das Abendgebet, in dem ich mich Gott überlasse, 
ein Stück Seelenhygiene. Das Abendgebet war 
auch ein Gebet um gute Träume und eine Bitte, 
mich vor Alpträumen zu bewahren. 

Die fünfte Regel der Diätetik behandelt die Abson- 
derungen und Ausscheidungen. Das scheint uns 
zunächst ein nebensächlicher Bereich zu sein. 
Doch zugleich weiß jeder, daß sich in seinen Aus- 
scheidungen auch seine Seele äußert. Der eine 
leidet an Verstopfung, weil seine Seele etwas zu- 
rückhält, der andere an Durchfall, weil er nichts bei 
sich halten kann. Andere schwitzen bei jeder klei- 
nen Aufregung oder Anstrengung oder aus Angst 
vor der Beurteilung der anderen. Anderen sind die 
Ausscheidungen an den Schweißfüßen unange- 
nehm oder ihre schwitzenden Hände. Sie spüren, 
daß sie etwas über sich preisgeben, wenn die an- 
deren ihr Schwitzen bemerken, und daß alles, was 
sie ausscheiden, etwas über ihre Seele sagt. Das 
Achten auf diesen Bereich ist also durchaus wich- 
tig für das eigene Wohlbefinden. 
Absonderungen und Ausscheidungen führen uns 
aber auch zum Thema der Sexualität. Wer die Se- 
xualität in den Turm einsperrt, sperrt sich selbst 
vom Leben aus. Und er wird ständig um das 
Thema der Sexualität kreisen, er lebt ständig in der 



Angst, daß die bellenden Hunde der Sexualität 
doch noch ausbrechen und ihn verschlingen 
könnten. Die in oder außerhalb der Ehe gelebte 
Sexualität ist nicht ohne weiteres eine Quelle des 
Glückes. Hier geschehen vielmehr tiefe Verletzun- 
gen und Verwundungen. Der andere wird miß- 
braucht, damit man sich entspannen, damit man 
seine Lust haben kann. 

Die sexuelle Energie ist immer Energie des Le- 
bens. Wird sie abgeschnitten, unterdrückt man ein 
Stück Leben. Man verdorrt und wird starr und leb- 
los. Doch umgekehrt ist auch die Fixierung auf die 
Sexualität nur die Kehrseite der Angst vor ihr. Man 
kreist ständig um sie, weil man meint, sonst zu 
kurz zu kommen. Es gibt Menschen, die sich nur in 
der Sexualität am Leben fühlen. Sie leben so we- 
nig in Berührung mit sich, mit ihrem Leib, mit ihrem 
Gefühl, daß sie den sexuellen Akt brauchen, um 
sich lebendig zu erfahren. Dann aber verarmt das 
Leben, und die Sexualität wird überfordert. Die 
Kunst des gesunden Lebens möchte uns lehren, 
die Sexualität zu verwandeln in Lebendigkeit im 
Leib, in die Kultur des Eros, der dem Leben Bunt- 
heit und Spannung schenkt, und in Sehnsucht 
nach dem Numinosen, nach der absoluten Liebe 
Gottes. 

Dabei gibt es zwei Wege, die Sexualität in gesun- 
der Weise zu leben: den Weg der Ehe und den 
Weg der Ehelosigkeit. Auch der Ehelose darf seine 
Sexualität nicht abschneiden. Seine Aufgabe ist es 
vielmehr, sie in alle seine Lebensvollzüge zu inte- 
grieren. Integrierte Sexualität zeigt sich in der 
Fruchtbarkeit eines Menschen, wenn es um einen 
herum sprudelt und blüht. Sie zeigt sich auch in 
der Lebendigkeit des Leibes, in einem Präsentsein 
im Leib, und in einer Spiritualität, in der Mystik und 
Eros miteinander verbunden sind. Viele Mystiker 
haben uns die Verwandlung des Eros in Gotteser- 
fahrung und Gottesliebe vorgelebt, etwa Teresa 
von Avila in ihrer Beziehung zu Gration, Franziskus 
und Klara, Benedikt und Scholastika, Franz von 
Sales und Frau von Chantal. Ihre Mystik war 
durchdrungen von der Kraft des Eros, ihre Liebe zu 
Gott war ganzheitlich und sprach alle Kräfte im 
Menschen an, ihren Leib und ihre Seele, ihre Se- 
xualität und ihren Geist. Sie haben die tiefste Be- 
deutung der Sexualität gelebt: das Einswerden mit 
Gott, in dem wir zugleich eins werden mit der gan- 
zen Schöpfung. 

Der sechste Bereich einer christlichen Diätetik be- 
zieht sich auf die affectus animi, auf die Leiden- 
schaften, Emotionen und Gefühle der Seele. Ge- 
danken und Gefühle können uns krank machen. 
Zu einem gesunden Leben gehört der rechte Um- 
gang mit Gedanken und Gefühlen. Dabei ist wich- 
tig, daß wir unsere Gefühle nicht bewerten. Alle 
Gefühle haben ihren Sinn, auch die Angst, der Är- 
ger, die Eifersucht. Aber ich muß bewußt damit 
umgehen. Ich darf mich von den Emotionen und 
Leidenschaften nicht beherrschen lassen. 

Die frühen Mönche (3. - 6. Jahrhundert) haben 
verschiedene Methoden entwickelt, mit den Lei- 
denschaften umzugehen. Da ist einmal die Me- 
thode, bei der man in die negativen Gedanken und 
Gefühle ein Wort der Hl. Schrift hineinspricht. So 
kann man in seine Angst den Vers aus Psalm 118 



40 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



*■ 



sprechen: "Der Herr ist mit mir, icln fürclnte micln 
nicht. Was l^önnen IVIenschen mir antun?" Es geht 
nicht darum, damit die Angst zu vertreiben, son- 
dern durch das Wort der Schrift den anderen Pol in 
meiner Seele, den Pol des Vertrauens zu entdec- 
ken und damit in Berührung zu kommen. Ein Wort 
der Schrift kann meine negativen Gedanken und 
Gefühle allmählich verwandeln. 
Der zweite Weg, den uns die Mönche raten, ist der 
Dialog mit den Leidenschaften. Wir sollten die Lei- 
denschatten ruhig in unser Herz eintreten lassen 
und uns mit ihnen vertraut machen. Wir sollen ih- 
nen geben und von ihnen nehmen, dann werden 
sie uns bewährter machen. Wir müssen mit den 
bellenden Hunden unserer Leidenschaften ins Ge- 
spräch kommen, dann werden sie uns den Weg 
zum Schatz in unserem Innern zeigen. Dort, wo 
uns die Leidenschaft am meisten zu schaffen 
macht, dort liegt auch ein Schatz in uns, der geho- 
ben werden möchte. Wir müssen uns nur in den 
Turm unserer Leidenschaft hineinwagen, um den 
Schatz zu finden. 

Der dritte Weg, mit den Leidenschaften umzuge- 
hen, ist für die Mönche das Gebet, nicht nur das 
Gebet gegen die Gedanken, sondern das Gebet, in 
dem ich die Gedanken und Gefühle übersteige und 
zu dem Ort in mir vorstoße, der frei ist von allen 
Emotionen und Leidenschaften. In diesem Ort der 
Stille erfahre ich Gott als den, der mich befreit von 
der Macht der Menschen und auch von der Macht 
meines eigenen Über-Ichs, das mich oft genug mit 

-■■ ■ i^fe '*.«' ;;^i^. ' :■','■ "^-y' 



Vorwürfen überhäuft. Dort ist es ganz still, dort bin 
ich wirklich frei, heil und gesund. Das Gebet führt 
mich in das innerste Heiligtum, von dem die Bibel 
spricht, in dem ich heil bin. In mir ist schon ein 
Raum, der ganz gesund ist. Ich muß die Gesund- 
heit nicht schaffen. Doch oft genug ist dieser Raum 
verschüttet, ich habe die Beziehung dazu verloren. 
Im Gebet kann ich mit diesem Ort der Stille und 
des Heils in mir in Berührung kommen. Dann wird 
sich die Gesundheit auf dem Grund meiner Seele 
in meinen Leib und in alle Bereiche meiner Exi- 
stenz hinein ausbreiten und entfalten können. 

Schluß 

Das waren nur einige Gedanken, wie wir die Kunst 
des gesunden Lebens, die uns die antike Medizin 
lehrt, in eine christliche Diätetik hinein fruchtbar 
machen können. Für die Kunst des gesunden Le- 
bens sind weniger Ideale hilfreich, denen ich nach- 
eifere, sondern vielmehr eine klare und gesunde 
Lebensweise. Eine christliche Diätetik zeigt uns die 
therapeutische Dimension unseres Glaubens. Der 
Weg des Glaubens ist nicht zuerst ein moralischer 
Weg, sondern ein Weg des Lebens, ein Weg der 
Gesundheit und Freiheit, der Lebendigkeit und der 
Liebe. 

(Aus: Anselm Grün, Die Kunst des gesunden Le- 
bens. Eine christliche Diätetik, in: Lebendiges 
Zeugnis) 



Dr. Thomas Schirrmacher 

Das Alte Testament contra 
Abtreibung 

"Die Worte der Gottlosen sind auf das Blutvergie- 
ßen gerichtet; aber der Mund der Aufrichtigen ret- 
tet sie." (Spr 12,6) 

Weltweit 50 Millionen Abtreibungen 
pro Jahr 

Seit 1945 wurde ein mehrfaches an Kindern abge- 
trieben, als im 2. Weltkrieg insgesamt an Men- 
schen ums Leben kamen. Aus einem in Washing- 
ton veröffentlichten Bericht des Forschungsinstitu- 
tes 'World-Watch' geht hervor, daß jährlich fast 
ebenso viele Kinder abgetrieben werden, wie 
im 2.Weltkrieg insgesamt an Menschen umka- 
men. Während im Weltkrieg 55 bis 60 Millionen 
Menschen starben, werden jährlich 50 Millionen 
Kinder im Mutterleib ermordet, wobei zusätzlich 
200.000 Frauen ihr Leben lassen. Die Zahlen sind 
nicht übertrieben, sondern dürften eher die eigent- 
liche Dunkelziffer noch immer nicht vollständig 
erfassen.^ 

In Japan und Frankreich wird die Hälfte aller Kin- 
der im Mutterleib getötet, in der BRD und den Nie- 
derlanden ein Viertel. In den USA wurden zwi- 
schen 1973 und 1982 10 Millionen Kinder abge- 
trieben. 
Längst geht es bei diesem massenhaften Töten 



selbst verbal nicht mehr darum, einzelnen Müttern 
in Not zu helfen. Ein Lexikonartikel deckt kom- 
mentarlos, aber realistisch die wahre und brutale 
Ursache der hohen Abtreibungszahlen auf: 
"Die eingeleitete oder künstliche Abtreibung ist 
eine der Hauptmethoden der Geburtskontrolle 

„."2 

Dies wird schon daran deutlich, daß die weltweit 
wirkende und enorm einflußreiche Organisation 
'International Planned Parenthood Federation' 
(IPPF; in den USA 'Planned Parenthood'; deut- 
scher Zweig und Gründungsmitglied^ 'Pro familia') 
zugleich weltweit die meisten Abtreibungsbe- 
ratungszentren unterhält und sich massiv für das 
Recht auf Abtreibung einsetzt. Diese Koppelung 
findet sich bereits bei der Gründerin dieser Orga- 
nisation der amerikanischen Schriftstellerin Marga- 
ret (Higgins) Sanger (1883-1966). Sie ist die 
"Vorkämpferin der amerikanischen und internatio- 
nalen Bewegung für Geburtenkontrolle. Margaret 
Sanger redigierte 1917-1929 die Zeitschrift 'Birth 
control review', begründete die erste Klinik für 
Geburtenkontrolle in den USA und gründete 1921 
die amerikanische Liga für Geburtenkontrolle ... 
1927 organisierte sie in Genf die erste Weltbe- 
völkerungskonferenz und wurde erste Präsidentin 
des 1953 gegründeten internationalen Bundes für 
Familienplanung. '"^ 

Sanger setzte sich spätestens seit ihrer später 
aufgegebenen engen Verbindung zur nationalso- 
zialistischen Familienplanung, in der die Ab- 
treibung eine große Rolle spielte, nicht nur für Ge- 
burtenkontrolle, sondern auch für die Praxis der 



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41 



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Abtreibung ein. Neben dem angeblichen Recht der 
Frau spielte dabei auch die Beschränkung der 
Überbevölkerung eine große Rolle^. Selbst 
Abtreibungsbefürworter sprechen von "dem rassi- 
stisch-eugenischen Gedankengut der IPPF-In- 
itiatorin Margareta Sanger"^ 
Von 1000 Amerikanern, die ihre Partnerin zur Ab- 
treibungsklinik begleiteten - dies sicher schon eine 
besondere Auswahl - gaben 60 % an, sie hätten 
keine oder sehr schlechte Verhütung vorgenom- 
men, 93 %, "sie würden in Zukunft alles tun, um 
eine Abtreibung zu verhindern, doch waren 30 Pro- 
zent nicht zum ersten Mal in der Abtreibungsklinik", 
26 %, sie "hielten Abtreibung für die Tötung eines 
Menschen"/ 

Daß die Abtreibung längst zum Verliütungsmit- 
tel geworden ist, mit dem die sexuelle Begierde 
über das Lebensrecht von Menschen gestellt 
wird, macht auch jede Abtreibungsstatistik deut- 
lich. Nach den statistischen Angaben der Medical 
Tribüne' sind im Jahr 1988 in der BRD 83.000 
Abtreibungen gemeldet worden, natürlich bei 
weitem nicht alle tatsächlich durchgeführten. 54 %, 
also über die Hälfte, entfallen auf Frauen im Alter 
zwischen 18 und 30 Jahren. Fast die Hälfte der 
Frauen (48 %) war verheiratet, ein Anzeichen da- 
für, wie viele Ehemänner an der Abtreibung 
mitbeteiligt sind. 9 % der Abtreibungen wurden 
aufgrund einer allgemeinmedizinischen Indikation, 
je 1 % aufgrund psychiatrischer und eugenischer 
Indikation durchgeführt. 87 % der Abtreibungen je- 
doch wurden mit einer 'sonstigen schweren Not- 
lage' begründet - und das in einem der reichsten 
Länder der Erde! 

"1990 sind beim Statistischen Bundesamt 78.808 
Abtreibungen für das Gebiet der alten Bundeslän- 
der gemeldet worden. Dies stellt ungefähr ein 
Drittel der wahren Zahl dar, wie sie z. B. durch die 
Abrechnung bei den Krankenkassen ermittelt wer- 
den kann. Trotzdem können die Zahlen des stati- 
stischen Bundesamtes ein grobes Bild von den 
Verhältnissen widerspiegeln. 89, 1 % der gemel- 
deten Abtreibungen sind der sogenannten sozialen 
Indikation zuzuordnen. In 65 Fällen lag eine 
kriminologische Indikation vor, d. h. das Kind war 
bei einer Vergewaltigung gezeugt worden. Un- 
gefähr die Hälfte (47,7 %) der Frauen, die 
abgetrieben haben, sind verheiratet 43, 1 % ledig, 
der Rest verwitwet oder geschieden. Die meisten 
von ihnen (53,0 %) haben noch keine Kinder. Un- 
ter 18 Jahre waren nur 2,2 % der abtreibenden 
Frauen. '^ 

Ebenso kommentarlos wie die wahren Ursachen 
offenlegen ist eine andere Aussage in einem der 
bedeutendsten deutschen Strafrechtkommentare: 
"Eine Individuelle und gesellschaftliche Hal- 
tung, die Kinder nicht mehr als Segen be- 
trachtet, den Schwangerschaftsabbruch viel- 
mehr als Mittel der weiblichen Selbstentfaltung 
ansieht, nahm der Tat in den Augen Vieler die 
Verwerflichkeit.'" 

Es ist über die Welt hereingebrochen, was der 
Prophet Jesaja über die zum Gericht über Israel 
kommenden Feinde sagt: "und der Leibesfrucht 
werden sie sich nicht erbarmen" [oder "die Leibes- 
frucht werden sie nicht schonen"] (Jes 13,18). 
Franz Delitzsch kommentiert unter Verweis auf 
2Kön8,12; 15,16: 

"Die Leibesfrucht schonen sie nicht, indem sie die 
Säuglinge tödten und sogar Leiber Schwangerer 



aufschlitzen ..." 

Doch heute benötigen wir keinen Krieg, in dem 
Feinde die kommende Generation ausrotten. Die 
Eltern besorgen mit Hilfe des Staates und der 
Ärzte diese Aufgabe selbst. 
Die anhaltende Abtreibungsdebatte ist jeden- 
falls das Ende des Mythos vom weltanschau- 
ungsneutralen Staat, der ohne Religion aus- 
kommen kann. Die evolutionistische Ethik be- 
stimmt mehr und mehr unseren Staat, für die 1. 
der Mensch sich erst allmählich zum Menschen 
entwickelt - obwohl auch dies längst widerlegt ist'^ 
-, 2. der Trieb zur freien sexuellen Betätigung min- 
destens ebenso wichtig ist, wie der Schutz des Le- 
bens und 3. das behinderte Kind nur ein einge- 
schränktes Lebensrecht hat, weil unausgesproch- 
en immer noch der Kampf ums Überleben als Fort- 
schritt der Biologie Pate steht. Wenn Christen nicht 
erkennen, daß der Staat entweder nach Gottes 
Gesetz entscheidet oder aber eine andere Religion 
oder Weltanschauung zum Ausgangspunkt macht, 
nie jedoch 'neutral' sein kann, werden sie in der 
Abtreibungsdebatte nicht mehr viel auszurichten 
haben. 

Abtreibung ist l\/lord 

Der gegenwärtigen Situation steht die biblische 
Ethik radikal entgegen. Dietrich Bonhoeffer faßt die 
traditionelle christliche Position, daß Abtreibung 
Mord ist, gutzusammen'^ 
"Mit der Eheschließung ist die Anerkennung des 
Rechtes des werdenden Lebens verbunden als ei- 
nes Rechtes, das nicht in der Verfügung der Ehe- 
leute steht Ohne die grundsätzliche Anerkennung 
dieses Rechtes hört eine Ehe auf Ehe zu sein und 
wird zum Verhältnis. ... Die Tötung der Frucht im 
Mutterleib ist Verletzung des dem werdenden Le- 
ben von Gott verliehenen Lebensrechtes. Die Er- 
örterung der Frage, ob es sich hier schon um einen 
Menschen handele oder nicht, verwirrt nur die 
einfache Tatsache, daß Gott hier jedenfalls einen 
Menschen schaffen wollte und daß diesem wer- 
denden Menschen vorsätzlich das Leben genom- 
men worden ist. Das aber ist nichts anderes als 
Mord."^'^ 

Jede noch so problematische Situation im einzel- 
nen vermag daran für Bonhoeffer nichts zu ändern: 
"Daß die Motive, die zu einer derartigen Tat füh- 
ren, sehr verschieden sind, ja daß dort, wo es sich 
um eine Tat der Verzweiflung in höchster men- 
schlicher und wirtschaftlicher Verlassenheit und 
Not handelt, die Schuld oft mehr auf die Ge- 
meinschaftals auf den Einzelnen fällt daß schließ- 
lich gerade in diesem Punkt Geld sehr viel Leicht- 
fertigkeit zu vertuschen vermag, während gerade 
bei dem Armen auch die schwer abgerungene Tat 
leichter ans Licht kommt, dies alles berührt un- 
zweifelhaft das persönliche und seelsorgerliche 
Verhalten gegenüber dem Betroffenen ganz ent- 
scheidend, es vermag aber an dem Tatbestand 
des Mordes nichts zu ändern. " ' ' 
Es gibt christliche Ethiker und Abtreibungsgeg- 
ner' , die den Begriff 'Mord' für Abtreibung ableh- 
nen und lieber von 'Totschlag' sprechen wollen. Ob 
dies möglich ist, entscheidet sich jedoch daran, 
welcher Definition von 'Mord' und Totschlag' man 
dabei folgt. Folgt man der äußerst engen Mord- 
definition des deutschen Strafgesetzbuches, die 
wesentlich enger als die alttestamentliche ist. 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



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dürfte Abtreibung von deutschen Richtern fast im- 
mer als Totschlag eingeordnet werden, da 
niederträchtige usw. Motive gefunden werden 
mijssen. Folgt man dagegen der alttestamentli- 
chen Definition von 'Mord' und 'Totschlag' handelt 
es sich bei Abtreibung immer um Mord, da Abtrei- 
bung praktisch nie im unberechenbaren Affekt oder 
als ungewollte Folge eines Unfalls stattfindet^^. 
Im übrigen sind auch die Zeiten vorbei, wo die 
Frage, ob durch eine Abtreibung menschliches Le- 
ben getötet werde, noch diskutiert wird, weitge- 
hend vorbei. Im Gegensatz zu den 60ger Jahren 
gestehen dies heute die meisten Abtreibungs- 
befürworter zu. Barbara Ritter schreibt darüber er- 
bost - auch wenn sie zurecht andeutet, daß die 
Wissenschaft ihre religiösen Wurzeln leugnet: 
"Die Definitionsmacht über Lebensbeginn und Tod 
haben nach der Kirche die Medizin und Biologie an 
sich gerissen. Die Wissenschaft drückt nun mit ih- 
rem Schein von Exaktheit die Religion beiseite und 
macht abtreibenden Frauen genauso den Vorwurf 
der Tötung. "'^ 

Tatsächlich sind sich meist eher die Abtreibungs- 
befürworter bewußt, daß die meisten Abtreibungs- 
gegner de facto vom in der Bibel offenbarten Ge- 
setz Gottes ausgehen, das für sie in der Theorie 
meist keine Bedeutung mehr hat, wie die folgende 
Polemik zeigt: 

"Offensichtlich gibt es viele, die die von Gott per- 
sönlich überreichte Tontafel der 10 Gebote mit der 
Geschichte des Strafgesetzbuches gleichset- 
zen.^^ 

Wenn dem doch so wäre! Jedenfalls ist der Um- 
stand, daß viele Abtreibungsbefürworter akzeptie- 
ren, daß Abtreibung Tötung menschlichen Lebens 
ist, auch ein Musterbeispiel für das Versagen aller 
Versuche, mit einem vermeintlichen Naturrecht zu 
argumentieren. Wer ohne christlichen Bezug ge- 
gen die Abtreibung argumentiert, hat vielleicht 
einen Etappensieg errungen, indem seine Gegner 
nun das Kind für menschliches Leben halten^". 
Doch nun sehen die Gegner nicht ein, daß dieses 
Leben bewahrt werden muß. Was hilft da nun au- 
ßer der Berufung auf den Schöpfer, sein Gesetz 
und sein Gericht? 

Kardinal Josef Ratzinger hat darauf hingewiesen, 
daß nur eine "theonome Auffassung"^' (im Gesetz 
Gottes begründete Auffassung) des Rechts die 
Unantastbarkeit der Person unter allen Umständen 
garantieren kann, nicht aber der Wille der Allge- 
meinheit. Auch hier sieht man mehr und mehr, daß 
eine naturrechtliche oder wissenschaftliche Argu- 
mentation nicht genügt. 

Die christliche Ablehnung der Abtreibung und die 
Gleichstellung des Tötens eines ungeborenen mit 
dem Töten eines geborenen Menschen stützt sich 
vor allem 

1) auf das allgemeine Mordverbot der Zehn Ge- 
bote; 

2) darauf, daß die 'Leibesfrucht' als Segen gilt; 

3) darauf, daß die Bibel Menschen im Mutterleib 
als Menschen - sogar mit einer Beziehung zu Gott 
- betrachtet; 

4) auf 2Mose 21,22-25. 

Das Mordverbot der Zehn Gebote 

In den Zehn Geboten heißt es: "Du sollst nicht tot- 
schlagen [oder: morden]." (2Mose 20,13; 5Mose 
5,17; Mt 5,21 )^^ wobei jedes unrechtmäßige Töten 



gemeint ist. Ausnahmen für das Mordverbot der 
Zehn Gebote gibt es nur, wenn Gott selbst das 
Töten ausdrücklich verordnet oder zugelassen hat, 
wie das etwa bei der staatlichen Todesstrafe 
(IMose 9,5-6; 2Mose 21,12; Rom 13,3-4; Apg 
25,11), der Selbstverteidigung des einzelnen 
(2Mose 22,1-2) oder der Selbstverteidigung des 
Landes der Fall ist (Neh 4,8+14; Rom 13,4). Nir- 
gends hat jedoch Gott irgendeiner Instanz das 
Recht verliehen, ungeborene, vor jedem staat- 
lichen Gericht unschuldige Kinder zu töten. 
Eltern haben im Alten Testament noch nicht einmal 
das Recht, über ihre Kinder zu Gericht zu sitzen. 
So mußten Kinder, die etwa die Eltern tätlich be- 
drohten und bei denen das "Züchtigen" nichts 
mehr half, von den Eltern dem örtlichen Gericht 
übergeben werden und durften nicht von den El- 
tern selbst bestraft werden (5Mose 21,18-21 )". 
Das elterliche Recht geht eben nicht über die 
Züchtigung hinaus (Spr 19,18). Echte Srafgewalt 
darf nur der Staat anwenden. 
Bei den Römern hatte dagegen der Vater unbe- 
schränkte Gewalt über seine ungeborenen und 
geborenen Kinder und konnte sie deswegen auch 
durch den Tod bestrafen. ^^ Oehler schreibt dage- 
gen über das Alte Testament: "Auch das menschli- 
che Recht der Eltern über die Kinder ist - ein 
bemerkenswerter Unterschied zu den Rechtsord- 
nungen anderer alten Völker - beschränkt; na- 
mentlich hat der Vater kein Recht über Leben und 
Tod der Kinder, wie es das römische Recht enthält 
...; sondern die Eltern haben ... den ungehorsamen 
lüderlichen Sohn vor die Obrigkeit zu bringen"^\ 
Viele andere Völker kannten ebenfalls das Recht 
der Familie, ihre eigenen Mitglieder hinzurichten^^ 
Es ist unbegreiflich, wie sich oft dieselben Men- 
schen darüber aufregen können, daß das Alte Te- 
stament angeblich den Eltern das Recht gibt, ihre 
Kinder der Todesstrafe zu übergeben (5Mose 
21,18-21) - obwohl dies doch vor allem bedeutete, 
daß Eltern nicht das Recht haben, nur dem Staat 
zustehende Strafen über ihre Kinder zu verhängen 
- gleichzeitig für die Abtreibung einsetzen, in der 
die Eltern ihre Kinder sogar völlig grundlos, ohne 
Nachweis irgendeiner Schuld und ohne ordentliche 
Gerichtsbarkeit zum Tode verurteilen. Ja über- 
haupt ist es meines Erachtens eine Bankrott- 
erklärung des Humanismus, wenn seine Verteidi- 
ger einerseits gegen jegliche, auch die von Gott 
geforderte, Todesstrafe im Namen der Menschen- 
rechte Sturm laufen, gleichzeitig aber das Recht 
auf die von Gott verbotene Abtreibung einfordern. 
Ein solcher Humanist ist eben nicht grund- 
sätzlich gegen das Töten, sondern will nur 
selbst an der Stelle Gottes bestimmen, wann 
Töten 'human' und erlaubt ist und wann nicht. 



Kinder sind ein Segen 

Nicht erst das geborene Kind, sondern schon die 
"Leibesfrucht" gilt dem Psalmisten Salomo als 
"Belohnung" (Ps 127,3; vgl. V.3-5) von Gott: 
'"Kinder sind eine Gabe des Herrn und die Lei- 
besfrucht eine Geschenk,' In Ps 128,3+6 zählen 
Kinder und Enkel zum besonderen Segen Gottes. 
Jakob spricht deswegen von den "Segnungen der 
Brüste und des Mutterleibes" (IMose 49,25). Es 
gilt als etwas Besonderes, wenn Gott "die Frucht 
des Leibes segnen" will (5Mose 7,13; vgl. V.14). 
Dies gilt ausdrücklich als eine der Folgen des Hal- 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



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ten des Gesetzes (5Mose 28,4). Wer den Eltern 
das Recht auf Abtreibung zugesteht, muß 
zunächst alles leugnen, was die Bibel über die 
Aufgabe und Bedeutung der Elternschaft lehrt. 
Es ist Gott allein, der Kinder schenkt. Dies wird im 
Alten Testament gerade an der Kinderlosigkeit 
deutlich. Die Erzmütter Sara, Rebekka und Rahel 
waren alle zunächst unfruchtbar und wurden erst 
durch Gottes gnädiges Eingreifen schwanger. Als 
Rahel vordem an ihr geschehenen Wunder zu ih- 
rem Mann sagt "Schaffe mir Söhne oder ich 
sterbe!", antwortet ihr Jakob: "Stehe ich denn an 
Gottes Statt, der dir die Leibesfrucht versagt hat?". 
Dasselbe gilt für die Kinderlosigkeit Hannas, der 
Mutter Samuels, (1Sam 1-2), die nach der Geburt 
Samuels den Herrn überschwenglich lobt (1Sam 
2,1-10). In Ps 113,9 wird Gott gelobt, "der die Un- 
fruchtbare im Haus zu Ehren bringt, so daß sie 
eine fröhliche Kindermutter wird, Hallelujal". Kinder 
sind dabei in Ps 113,9 "Ehre", Freude und das 
Glück der Eltern (vgl. Ps 144,12). 
Die Aufforderung "sei fruchtbar und mehre dich" 
(IMose 35,1 1 ; an Jakob) ergeht eigentlich an das 
Volk Gottes. Nach 2Mose 1,7 war Israel sehr 
fruchtbar, weil es Gottes Volk war, und Jes 48,18- 
19 verspricht, daß das Volk Gottes so viele Nach- 
kommen haben wird, wie es Sandkörner am Meer 
gibt, wenn es Gott gehorcht. Es gilt als Segen, so 
wie Hiob "seine Kinder und seine Kindeskinder, 
vier Generationen" zu sehen (Hiob 42,17). Ge- 
meindewachstum beginnt in der Bibel immer damit, 
daß sich das Volk Gottes durch Vermehrung ver- 
größert, und Gott hat die Sexualität als wun- 
derbares Mittel zur Zeugung von Kindern geschaf- 
fen, die in gottesfürchtigen Familien Gottes Liebe 
und Gesetz kennenlernen. 
Daß Kinder ein Geschenk Gottes sind, bedeutet 
auch, daß die Eltern nicht die Schöpfer ihres Kin- 
des sind, was der Kirchenvater Aurelius Augustin 
besonders betont hat^^, sondern ihr Kind vom 
Schöpfer empfangen. Auch deswegen haben bei- 
spielsweise Eltern im Alten Testament kein Recht, 
über ihre Kinder zu Gericht zu sitzen. 
Hier offenbart sich auch die ganze Widersprüch- 
lichkeit des Feminismus. Auf der einen Seite wird 
behauptet, Frauen seien weniger gewalttätig. Da- 
mit hat der Feminismus natürlich recht. Er über- 
sieht dabei jedoch einerseits, daß deswegen 
Frauen noch lange nicht 'gut' sind und leugnet 
auch, daß Männer die Aufgabe der Verteidigung 
haben, weswegen auch nur sie Wehrdienst leisten, 
was zugleich die letzte vom Feminismus weit- 
gehend unangetastete Bastion ist. Gerade diese 
gewaltloseren Frauen werden nun aber erzogen, 
ihr 'Recht' einzufordern, daß sie allein über das 
Lebensrecht des ungeborenen Kindes zu be- 
stimmen haben, wodurch sie millionenfach 
schrecklichste Gewalt ausüben oder durch Männer 
(Ärzte) ausführen lassen. 

Kinder im IVlutterleib haben eine Be- 

i28 



Ziehung zu Gott 



In der Bibel geht es längst nicht nur um die engbe- 
grenzte biologische Frage, wann denn das men- 
schliche Leben beginnt^^ Vielmehr ist der 
IVIenscii im IVlutterleib ein Mensch mit einer 
Beziehung zu Gott^". 
Das gilt im Guten wie im Bösen. Die Erbsünde als 



Trennung von Gott betrifft den Menschen bereit: 
im Mutterleib, denn "in Sünde hat mich mein< 
Mutter empfangen" (Ps 51,7;^' vgl. Ps 58,4; Jes 
48,8). Jakob hat seinen Bruder bereits im Mutter 
leib hintergangen (Hos 12,4). 
Gleichzeitig ist der Mensch im Mutterleib eine per- 
sönliche Schöpfung Gottes (Ps 139,13-16; Hiob 
31,15; Jes 44,2; 44,24). Propheten und Gottes- 
männer werden bereits im Mutterleib berufen und 
geheiligt (Jeremia in Jer 1,5; Simson in Ri 13,5+7; 
Jesaja in Jes 49,1; Johannes der Täufer in Lk 
1,15+41; Jesus in Lk 1,41-44; Paulus in Gal 1,15). 
Johannes der Täufer war bereits im Mutterleib 
"vom Heiligen Geist erfüllt" (Lk 1,15) und "hüpfte 
im Mutterleib" und - so Elisabeth - "hüpfte in mei- 
nem Körper vor Freude" (Lk 1,41+44), als Jesus im 
Leib seiner Mutter Maria hereinkam (Lk 1,41-44)! 
Nicht zuletzt ist Jesus wahrer Mensch und wahrer 
Gott vom Augenblick seiner Empfängnis an, da er 
vom Heiligen Geist gezeugt wurde. Jesus war 
schon im Mutterleib der Messias des jüdischen 
Volkes und der Heiland der Welt. 

Das Kind im Mutterleib hat eine Beziehung zu 
Gott: Beispiele aus dem Alten und Neuen Te- 
stament 

Glauben an Gott im Mutterleib; 
Ps 71,6: "Auf dich habe ich mich gestützt von 
Mutterschoß an, vom Mutterleib hast du mich ent- 
bunden." 

Ps 22,1 1 : "Auf dich bin ich vom Mutterschoß her 
geworfen, vom Leib meiner Mutter an bist du mein 
Gott." 

Berufung und Heiligung im Mutterleib: 
Jer 1,5: (Gott zu Jeremia.) "Ehe ich dich im Mutter- 
schoß gebildet habe, habe ich dich erkannt, und 
ehe du aus dem Mutterleib hervorkamst, habe ich 
dich geheiligt: zum Propheten für die Nationen 
habe ich dich eingesetzt." 

Rom 9,11-13; IMose 25,22-26: Jakob und Esau 
haben im Mutterleib weder Gutes noch Böses ge- 
tan. Jakob wird im Mutterleib berufen. ^^ 
Lk 1,15: (Ein Engel zu Zacharias über dessen 
Sohn Johannes, dem Täufer:) "und schon vom 
Mutterleib an wird er vom Heiligen Geist erfüllt 
werden." 

Lk 1 ,41-44: Johannes der Täufer begrüßt im Bauch 
der Elisabeth Jesus im Bauch der Maria: "Und es 
geschah, als Elisabeth den Gruß der Maria hörte, 
daß das Kind in ihrem Körper hüpfte. Und Elisa- 
beth wurde mit dem Heiligem Geist erfüllt und rief 
mit lauter Stimme und sprach: Gesegnet bist du 
unter den Frauen, und gesegnet ist die Frucht dei- 
nes Leibes! Und woher kommt mir dies, daß die 
Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn siehe, 
als die Stimme deines Grußes an mein Ohr drang, 
hüpfte das Kind vor Freude in meinem Körper." 
(Elisabeth war im sechsten Monat schwanger, 
V.36;vgl. V.36+39) 

Ri 13,5=7: (Ein Engel über Simson.-) "Ein Geweih- 
ter Gottes soll der Knabe von Mutterleib an sein." 
(in Ich-Form: Ri 16,17) 

Jes 49,1: (Jesaja über sich:) "Der Herr hat mich 
von Mutterleib an berufen, hat vom Schoß meiner 
Mutter an meinen Namen genannt." 
Gal 1,15: (Paulus über sich.-) "der mich vom Leib 
meiner Mutter an auserwählt und durch seine 
Gnade berufen hat." 



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MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



Im Mutterleib erschaffen: 

Hiob 10,8-12: "Deine Hände haben mich ganz ge- 
bildet und gestaltet durch und durch ... Bedenke 
doch, daß du mich wie Ton gestaltet hast. ... Hast 
du mich nicht wie Milch hingegossen und wie Käse 
gerinnen lassen? Mit Haut und Fleisch hast du 
mich bekleidet und mit Knochen und Sehnen mich 
durchflochten. Leben und Gnade hast du für mich 
gewirkt, und deine Obhut bewahrte meinen 
Geist."^^ 

Ps 139,13-16: "Denn du hast meine Nieren zube- 
reitet und hast mich im Mutterleibe gebildet. Ich 
danke dir dafür, daß ich wunderbar gemacht bin. 
Meine Seele erkennt, daß deine Werke wunderbar 
sind. Es war dir mein Gebein nicht verborgen, als 
ich im Verborgenen gemacht wurde, als ich gebil- 
det wurde unten in der Erde. Deine Augen sahen 
mich, als ich noch nicht bereitet war, und alle Tage 
waren in dein Buch geschrieben, die noch werden 
sollten und von denen keiner existierte."^* 
Hiob 31,15: "Hat nicht er, der mich im Mutterleib 
gemacht hat, ihn [gemeint ist der Knecht, V.13] 
gemacht, und hat nicht einer uns im Mutterschoß 
bereitet?" 

Jes 44,2: "So spricht der Herr, der dich geschaffen 
und dich von Mutterleib an gebildet hat, der dir hilft 

Jes 44,24: "So spricht der Herr, dein Erlöser, der 
dich von Mutterleib an gebildet hat..." 

Sünde im Mutterleib; Erbsünde: 
Hos 12,4: (Über Jakob:) "Im Mutterleib hinterging 
er seinen Bruder" 

Ps 51,7: "Siehe, in Schuld bin ich geboren, und in 
Sünde hat mich meine Mutter empfangen. "^^ 
Ps 58,4: "Die Gottlosen sind von Mutterschoße an 
abgewichen, die Lügenredner irren vom Mutterleib 
an." 

Jes 48,8: "Denn ich wußte, daß du völlig treulos 
bist und daß man dich 'von Mutterleib an abtrünnig' 
genannt hat." 

Kinder im Mutterleib haben allerdings noch nicht 
durch Taten gesündigt, denn Rom 9,11 sagt aus- 
drücklich über Jakob und Esau im Mutterleib: 
"Denn ehe sie geboren wurden und [damit] sie we- 
der Gutes noch Böses getan hatten ..." (vgl. Rom 
9,1 1 -1 3; 1 Mose 25,22-26 oben) 

Weitere Stellen: 

Hiob 3,11: "warum starb ich nicht im Mutterleib?"'^ 
(Im Mutterleib 'stirbt' man!; ähnlich Hiob 10,18) 
Hiob 10,19: "Wäre ich doch vom Mutterschoß zum 
Grab geleitet worden ..."; ähnlich auch Jer 20,17- 
18 

IMose 49,25: "... Segnungen der Brüste und des 
Mutterleibes ..." 

Man hat eingewandt, daß der Ausdruck "vom 
Mutterleib an" bedeutet 'von Geburt an', also nur 
die Zeit nach der Geburt meint. Im Fall von Lk 1,15 
wird dies von bedeutenden Exegeten abgelehnt, 
die in diesem Ausdruck nicht nur auch die Zeit im 
Mutterleib mit eingeschlossen, sondern diese ge- 
rade besonders betont sehen". Entsprechendes 
gilt für den alttestamentlichen Ausdruck, wie be- 
sonders Jer 1,5 deutlich macht^'. 
In der Bibel sind im Menschen Leib und Seele un- 
trennbar miteinander verbunden. Es gibt daher 
keinen Zeitpunkt, zu dem die Seele erst in den 
Leib schlüpft, wie dies für die griechisch-römische 



Sicht ebenso grundlegend war, wie für die von ihr 
beeinflußte hellenistisch-jüdische und die Sicht 
mancher Kirchenväter. Die Frage, wann der Körper 
denn seine Seele erhält, die vom Christentum 
schließlich überwunden zu sein schien, erlebt 
heute durch die Fristenlösung oft eine Neubele- 
bung, sofern diese davon ausgeht, daß der bereits 
als Embryo existierende Körper im Mutterleib zu ir- 
gendeinem späteren Zeitpunkt zum eigentlichen 
Menschen wird. 

2Mose 21,22-25 

Es gibt nur einen Gesetzestext im Alten Testa- 
ment, der die juristische Seite der Abtreibung be- 
leuchtet, nämlich 2Mose 21,22-25." In ihm geht 
es nicht um eine gewollte Abtreibung, sondern um 
die Tötung eines Ungeborenen durch unvorsichti- 
ges Verhalten gegenüber der Mutter. Wenn jedoch 
in diesem Fall die Tötung des Ungeborenen als 
Tötung eines Menschen angesehen wird, ist die 
Übertragung auf die Abtreibung durchaus be- 
rechtigt. 

Leider ist die Auslegung des Textes jedoch um- 
stritten. Während die einen nämlich in dem Text 
die Gleichsetzung der Tötung eines Kindes im 
Mutterleib mit der Tötung eines Erwachsenen se- 
hen, verstehen die anderen diesen Text gerade 
umgekehrt als Beleg dafür, daß die Tötung eines 
Erwachsenen die Höchststrafe nach sich zog, die 
Tötung eines ungeborenen Kindes jedoch nur eine 
Geldstrafe. (Als falsch gilt die Tötung des 
ungeborenen Kindes also in beiden Fällen.) 
"Wenn Männer miteinander raufen und dabei eine 
schwangere Frau stoßen, so daß [Fall 1:] ihre Kin- 
der herauskommen [oder: abgehen], aber [sonst] 
kein Schaden entsteht, so muß dem Schuldigen 
eine Geldstrafe auferlegt werden, je nachdem, 
wieviel ihr Ehemann ihm auferlegt, und er soll es 
nach dem Ermessen [oder: durch die Hand] von 
Schiedsrichtern geben. [Fall 2:] Falls aber ein 
Schaden entsteht, so sollst du geben Leben um 
Leben, Auge um Auge, Zahn um Zahn, Hand um 
Hand, Fuß um Fuß, Brandmal um Brandmal, 
Wunde um Wunde, Strieme um Strieme." (2Mose 
21,22-25). 

Die zwei Auslegungen hängen im wesentlichen 
daran, ob in 2Mose 21,22 die Kinder der Frau a) 
"abgehen" (im Sinne einer Fehlgeburt) oder b) 
"herauskommen" (im Sinne einer lebensfähigen 
Frühgeburt). 

a) Geht es um das 'Abgehen' einer Fehlgeburt, so 
muß in Fall 1 eine Geldstrafe für den Tod des un- 
geborenen Kindes bezahlt werden. In Fall 2 kann 
sich dann der "Schaden" nur auf die Mutter be- 
ziehen. Kommt die Mutter körperlich zu Schaden, 
wird das Strafmaß gemäß des 'lex talionis'" nach 
dem Schaden bemessen und dies bis hin zum 
höchsten Schaden, "Leben für Leben", also der 
Todesstrafe für Mord. In diesem Fall wird der Tod 
des Kindes mit einer variablen Geldstrafe belegt, 
der Tod der Mutter jedoch mit der Höchststrafe. 

b) Geht es dagegen um ein 'Herauskommen' einer 
Frühgeburt, so muß in Fall 1 eine Geldstrafe dafür 
bezahlt werden, weil eine Geburt zu früh ausgelöst 
wird, wobei dann aber glücklicherweise das Kind 
doch gesund zur Welt kam. In Fall 2 geht es dann 
um einen möglichen körperlichen "Schaden" an 
der Mutter oder dem Kind. In beiden Fällen gilt das 
'lex talionis'. Im Falle des Todes der Mutter oder 



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45 



1 . 



des Kindes (oder beider) gilt die Höchststrafe nach 
dem Satz "Leben für Leben". Der Schaden am 
Kind wird genauso bemessen, wie der Schaden an 
der IVlutter. 

Die letztere Auslegung war lange Zeit unter Chri- 
sten ein deutliches Argument gegen die Abtrei- 
bung. Wegen der zentralen Bedeutung des Textes 
konnte es jedoch nicht ausbleiben, daß besonders 
im historisch-kritischen Bereich die erste Ausle- 
gung aufkam, die die Aussage des Textes auf den 
Kopf stellte. Meines Erachtens sprechen genügend 
zahlreiche schwerwiegende Gründe für die 2. 
Auslegung, so daß die traditionelle Sicht nicht nur 
mit vielen Wenn und Aber vertreten, sondern als 
Gottes Gesetz verkündigt werden kann'^V "Es gibt 
absolut keine linguistische Rechtfertigung dafür, 
V.22 so zu übersetzen, daß er sich auf eine 
Fehlgeburt bezieht."" 

Daran ändert auch nichts, daß viele Bibelüberset- 
zungen die 1. Auslegung zugrunde legen und ihr 
nachhelfen, indem etwa 2Mose 22,21 übersetzt 
wird "ihr die Leibesfrucht abgeht"43. Hier ist näm- 
lich nicht von "Leibesfrucht" die Rede, sondern von 
"Kindern" und die Übersetzung "abgehen" macht 
jede andere Auslegung unmöglich, was bei der 
Übersetzung "herauskommen" o. ä. nicht der Fall 
wäre. 

Die Syndode der Presbyterian Church of America 
argumentiert in ihrer Begründung, weshalb 2Mose 
21 ,22-25 gegen Abtreibung spricht*\ folgenderma- 
ßen: 

1. Der Ausdruck "Kind" (Hebr. 'yeied') bezieht sich 
nie auf das Kind im Mutterleib, sondern immer auf 
das bereits geborene Kind. Es kann im ersten Fall 
also nur davon die Rede sein, daß ein Kind ge- 
boren wird. 

2. Der Ausdruck "herauskommen" (Hebr. 'y^tza') 
bezeichnet nicht den Tod eines Kindes, sondern 
beschreibt immer die normale Geburt* (1Mose 
25,26; 38,28-30; Hiob3,1 1 ; 10,18; Jer 1,5; 20,18), 
nie jedoch eine Fehlgeburt. (In der einzigen Aus- 
nahme 4Mose 12,12 geht es nicht um eine Fehl- 
geburt, sondern um eine Totgeburt, die bereits im 
Mutterleib starb.) 

3. Das Wort "Schaden" (Hebr. 'ason'), bezieht sich 
offensichtlich auf Mutter und Kind. 

Walter C. Kaiser verweist zudem darauf, daß das 
Hebräische ein Wort für Fehlgeburt bzw. Abtrei- 
bung ('meschalet') kennt, das hier bezeichnender- 
weise nicht verwendet wird (auf Menschen bezo- 
gen: 2Mose 23,26; Hos 9,14; 2Kön 2,21 ; auf Tiere 
usw. bezogen: 2Kön 2,19; IMose 31,38; Hiob 
21,10)". 

Diese Sicht war auch die Sicht, zu der Martin Lu- 
ther und Johannes Calvin in ihren Auslegungen 
kamen. Calvin schreibt: 

"Diese Bestimmung würde höchst befremdlich und 
unvernünftig sein, wenn man sie dahin deuten 
wollte, daß der Tod des schwangeren Weibes, 
nicht aber auch des noch ungeborenen Kindes 
gerächt werden sollte. "" 

Für die vorgeschlagene Auslegung spricht auch, 
daß den vorchristlichen Juden anerkanntermaßen 
die Abtreibung wohl unbekannt war*' . 
Die oben erwähnte Übersetzung bzw. Auslegung 
der Septuaginta kann hier außer Betracht bleiben, 
weil sie ihre Aussage, daß es entscheidend sei, ob 
das Embryo bereits Form habe oder nicht, man nur 
durch eine Umarbeitung des hebräischen Textes 
erreichen kann'*^. 



Meredith G. Kline hat eine dritte Auslegung vorge- 
schlagen". Er geht davon aus, daß "Schaden" 
(Hebr. 'ason') (2Mose 21,22+23) immer einen sehr 
schwerwiegenden, auch tödlichen Schaden be- 
zeichnet und das letzte Wort von 2Mose 21,22 
"Schiedsspruch" (Hebr 'bipeliliym') sich im Alten 
Testament immer auf ein Urteil im Falle eines 
Schwerverbrechens bezieht, also parallel zum 'lex 
talionis' ("Auge um Auge ... ) in 2Mose 21,23 steht 
In 2Mose 21,22 übersetzt er "und es entsteht 
Schade" statt "aber es entsteht kein Schade'^ \ 
Dementsprechend geht er davon aus, daß 2Mose 
21,22 (Fall 1) sich darauf bezieht, daß die Mutter 
schwer zu Schaden kommt oder stirbt das Kind je- 
doch gesund zur Welt kommt, 2Mose 21,23 (Fall 
2) sich dagegen auf den umgekehrten Fall bezieht, 
daß die Mutter gesund bleibt das Kind aber stirbt 
In beiden Fällen muß das Auslöschen von Leben 
bestraft werden, entweder mit dem Tod oder mit 
einer gleichwertigen sonstigen Strafe. 
Auch diese Auslegung bedeutet also, daß das Le- 
ben der Mutter und des Kindes gleichwertig be- 
handelt werden und auf die Tötung des Kindes die 
Höchststrafe steht. Gegen die Auslegung spricht 
allerdings, daß 1. in 2Mose 21,23 das Kind nicht 
erwähnt wird und 2. sie nur dann richtig ist wenn 
man in 2Mose 21,22 "es ensteht Schade" statt "es 
entsteht kein Schade", wie der hebräische Text 
eindeutig lautet, übersetzf^ , also ohne Begrün- 
dung ein "nicht" oder "kein" ausfallen läßt 
John J. Davis teilt mit Kline die Sicht daß der Aus- 
druck "Schade" sich auf den Tod bezieht und be- 
legt dies mit der Verwendung des Ausdrucks in 
IMose 42,4+38; 44,2^\ In allen drei Fällen kann 
der "Schaden" aber auch einen "Unfall" be- 
zeichnen, der die Heimkehr nicht möglich macht 
Wenn "Schade" mit Tod gleichzusetzen ist kann 
man nur schwer erklären, warum das 'lex talionis' 
genannt wird und nicht nur die Todesstrafe er- 
wähnt wird. Da Davis Kline ansonsten nicht folgt 
steht seine Auffassung der Auslegung nicht im 
Weg, daß das Kind im ersten Fall überlebt ("kein 
Schade"), im zweiten Fall jedoch Mutter und Kind 
gleich behandelt werden. 

Die christliche Ethik hat auch für das Verbot der 
Abtreibung eine Ausnahme gesehen. Es handelt 
sich dabei um einen echten Konflikt der Werte. Da 
nur ein höher zu veranschlagender Wert eine Aus- 
nahme für ein Gebot gestatten kann (z. B. Lüge, 
um Leben zu retten), kann dem Gebot, das Leben 
des Ungeborenen zu schützen nur eine andere Be- 
drohung des Lebens, nie aber ein sonstiger Wert, 
entgegenstehen. Schwierig ist die Entscheidung, 
wenn das Leben des ungeborenen Kindes oder 
das Leben der Mutter auf dem Spiel stehen, da 
hier zwei gleiche Werte einander gegenüberste- 
hen. (Nur in seltenen Fällen wird der Arzt aller- 
dings überhaupt eine so eindeutige Prognose 
stellen können). Eine offensichtliche Ausnahme 
zum Abtreibungsverbot liegt jedoch eigentlich erst 
vor, wenn entweder Mutter und Kind oder nur das 
Kind sterben müssen". Dies ist in der Regel etwa 
bei der Eileiterschwangerschaft der Fall. Gegen 
eine Beendigung einer Eileiterschwangerschaft 
und ähnlicher Fälle hat die christliche Ethik deswe- 
gen nie etwas eingewandt. Allzuott wird jedoch 
vergessen, die genaue ethische Begründung dafür 
zu geben, so daß solche Entscheidung oft als in- 
konsequent empfunden werden. 
Im übrigen hat die Zahl der Eileiterschwanger- 



46 



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I 



I 



schaffen wiederum aufgrund anderer Sünden und 
Fehler enorm zugenommen (In der BRD kamen 
1970 4,5, 1985 15,2 Schwangerschaften außer- 
halb der Gebärmutier auf 1000 Schwangerschaf- 
ten^^.) Zum einen werden nämlich die zunehmen- 
den Geschlechtskrankheiten und durch ge- 
schlechtlichen Verkehr übertragenen Infektionen 
für Verklebungen des Eileiters verantwortlich ge- 
macht, zum anderen liegt bei der sogenannten Spi- 
rale das Risiko einer späteren Eileiterschwanger- 
schaft bei 16 %. Dazu kommt das immer höhere 
Alter der Schwangeren.^^ 

Anmerkungen: 



Nach Zeitspiegel in Querschnitte 3 (1990) 4 {OI<t-Dez): 
3 

Ellinor E. N. Draper. "Birth Control". S. 1065-1073 in: 
The New Encyclopedia Britannica. 30 Bd. Bd. 2. Eny- 
clopedia Britannica: Chicago u. a., 198215/9, hier S. 
1069 (Hervorhebung hinzugefügt). Henri van Straelen. 
Abtreibung: Die große Entscheidung. Josef Habbel: Re- 
gensburg, 1974. S. 32 schrieb bereits 1972 nach einer 
Darstellung der Lage in Japan: "Die Tatsache, daß die 
Abtreibung an die Stelle der Empfängnisverhütung ge- 
treten ist, kennzeichnet auch die Lage in den anderen 
Ländern." 

Mechthild Bock. "Internationale Verbindungen". S. 182- 
197 in: Frauen gegen den § 218 ... (Hg.). Vorsicht 
'Lebensschützer'!: Die Macht der organisierten Abtrei- 
bungsgegner. Konkret Literatur Verlag: Hamburg, 1991. 
S. 185 

"Sanger, Margaret". S. 678-679 in: Meyers Enzyklo- 
pädisches Lexikon (in 25 Bänden). Bd. 20. Bibliographi- 
sches Institut: Mannheim etc., 19779, hier S. 678 
Vgl. dazu die ausgezeichnete Untersuchung von Ge- 
orge Grant. Grand lllusions: The Legacy of Planned 
Parenthood. Wolgemuth & Hyatt. Brentwood (TE), 1988 
Mechthild Bock. "Internationale Verbindungen", a. a. O. 
Bock bemängelt, daß Pro Familia bisher "zu diesen 
Vorwürfen schweigt und sie bestenfalls verbandsintern 
diskutiert" (ebd.). 

Alles im Abschnitt "Die Verarbeitung einer Abtreibung 
durch die Väter" in: Jochen Beuckers, Pantaleon 
Fassbender (Hg.). Psychische Folgeschäden nach 
Schwangerschaftsabbruch. Aktion Lebensrecht für alle: 
Augsburg/Bonn, 1991. S. 76-77. Zu Recht wird dort 
vermerkt, daß die letzte Zahl in Deutschland wesentlich 
höher liegen dürfte. Klaus Bockmühl. Grundlagen 
christlicher Sexualethik: Aussaat Verlag: Wuppertal, 
1965. S. 12 schreibt dazu: "Freilich: Es ist leichter, 
Empfängnisverhütung beizubringen als Enthaltsamkeit." 
Ausgabe Nr. 38, 1989 

Carsten Hobohm in: Zeispiegel in Querschnitte 4 (1991) 
2 (Apr-Juni): 2 

Jähnke. "Sechzehnter Abschnitt: Straftaten gegen das 
Leben". S. 1-124 (zu §§ 218-220) in: Hans-Heinrich Je- 
schek, Wolfgang Ruß, Günther Willms (Hg.). Strafge- 
setzbuch: Leipziger Kommentar: Großkommentar. Bd. 
5: §§ 185 bis 262. Walter de Grüyter: Berlin, 198910, 
hier S. 9 (Hervorhebung hinzugefügt) 
Franz Delitzsch. Jesaja. Brunnen Verlag: Giessen, 
19844(18793). S. 184 (sie) 

Vgl. sämtliche Arbeiten des Göttinger Embryoforschers 
Erich Blechschmidt, z. B. Erich Blechschmidt. Die Er- 
haltung der Individualität. Wort und Wissen 12. Hänss- 
ler: Neuhausen, 1982; Erich Blechschmidt. Wie begann 
das menschliche Leben?. Christiana Verlag: Stein (CH), 
1976 

Vgl. folgende theologischen Werke gegen Abtreibung: 
Georg Huntemann. § 218: Um Leben oder Tod der Un- 
geborenen. Brunnen: Giessen, 19711; 19722; Werner 
Neuer. "Wann beginnt das menschliche Leben?". Fac- 
tum 9/1982: 27-29; Kenneth L. Gentry. The Christian 
Case Against Abortion. Footstool Publioations: Mem- 
phis (TN), 19902; John Jefferson Davis. Abortion and 
the Christian: What Every Believer Should Know. Pres- 
byterian & Reformed: Phillipsburgh (NJ), 1984; Rousas 
J. Rushdoony. The Qne and the Many. Thoburn Press: 
Fairfax (VI), 1978. S. 130-138; Rousas J. Rushdoony. 
Institutes of Biblical Law. Presbyterian & Reformed 
Publ.: Phillipsburg (NJ), 1973. S. 263-269; Rousas John 
Rushdoony. "Abortion". S. 20-23 in: The Encyclopedia 
of Christianity. Bd. 1 . National Foundation for Christian 
Education: Wilmington (DE), 1964; Rousas John Rush- 
doony. Abortion is Murder. o. O., 1971; Kenneth L 
Gentry. "The Christian Case Against Abortion". The 
Journal of Christian Reconstruction 8 (1982) 2: Sympo- 



8 
9 

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12 



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sium on the Atonement. S. 118-157; Edward J. Murphy. 
In Your Justice. Ross House Books: Vallecito (CA), 
1982. S. 11-20; Gary North. When Justice Is Aborted: 
Biblical Standards for Non-Violent Resistance. Domi- 
nion Press: Ft. Worth (TX), 1989. Vgl. weitere christli- 
che Literatur, in der weniger biblisch, als medizinisch- 
biologisch argumentiert wird: Lothar Gassmann, Ute 
Griesemann. Abtreiben?. Christiana-Verlag: Stein am 
Rhein, 1985 (Kurzfassung: Lothar Gassmann, Ute 
Griesemann. Abbruch. Hänssler: Neuhausen, 1986); 
Martin Jost. Plädoyer für die Ungeborenen. Berneck, 
1984; Francis Schaeffer, Charles Koop. Bitte, laß mich 
leben!. Hänssler: Neuhausen, 1981; Helma Thielscher- 
Noll, Hans Gerhard Noil. Ungeborene wollen leben. 
Hänssler: Neuhausen, 1988 

14 Dietrich Bonhoeffer. Ethik. Evangelische Buchge- 
meinde: Stuttgart, o. J. S. 118. Vgl. zur Ablehnung der 
Abtreibung durch Bonhoeffer und Karl Barth Henri van 
Straelen. Abtreibung, a. a. Q. S. 70-71 

15 Dietrich Bonhoeffer. Ethik, a. a. Q. S. 118-119. Bonho- 
■. , . .. effer lehnt die Abtreibung selbst dann ab, wenn das Le- 

'--■■■: ben der Mutter in Gefahr ist: ebd. S. 119, Anm. 6 

16 Vgl. Renate Wilke, Barbara Ritter. "Von 'Mord' und 
'fahrlässiger Tötung'". S. 198-206 in: Frauen gegen den 
§ 218 ... (Hg). Vorsicht 'Lebensschützer'l: Die Macht 
der organisierten Abtreibungsgegner. Konkret Literatur 
Yerlag: Hamburg, 1 991, hier S 199-200 

17 Ähnlich argumentieren auch Abtreibungsgegner ohne 
Hinweis auf das Alte Testament, vgl. die Beispiele in 
ebd. 198-199. 

18 Z. B. Barbara Ritter. "Euthanasievorwurf und Definition 
von 'Beginn und Ende des Lebens'". S. 207-211 in: 
Frauen gegen den § 218 ... (Hg). Vorsicht 
'Lebensschützer'!: Die Macht der organisierten Ab- 
treibungsgegner. Konkret Literatur Verlag: Hamburg, 
1991. hier S. 209. Ritter vertritt dagegen vehement die 
nun wirklich überholte Position: "Die Trennung von Frau 
und Leibesfrucht in zwei juristische Personen ist unzu- 
lässig ..." (ebd. S. 210) 

19 Renate Wilke, Barbara Ritter. "Von 'Mord' und 
'fahrlässiger Tötung'", a. a. O. S. 202 

20 So sehr deutlich auch Kenneth L. Gentry. The Christian 
Case Against Abortion, a. a. O. S. 54-55 

21 Lucio Brunelli. "Ratzingers Plan für die Enzyklika". 30 
Tage und die Welt 2 (1992)5 (Mai): 28-31, hierS. 31 

22 Zur Übersetzung "morden" statt "töten" ist wichtig, daß 
das im sechsten Gebot gebrauchte Wort immer für 
'rechtswidriges Töten' verwendet wird, gleich ob dies 
absichtlich (4Mose 35,16-21; 5Mose 22,26) oder 
unabsichtlich (4Mose 35,11+24-28; 5Mose 4,42; 19,1- 
13; Jos 20+21) geschieht. 

23 Vgl. Ray R. Sutton. Who owns the Family: God or the 
State?. Biblical Blueprints Series 3. Dominion Press: Ft. 
Worth (TX); Thomas Nelson: Nashville (NY), 1987. S. 
40-50; Rousas J. Rushdoony. The Institutes of Biblical 
Law. a. a. O. S. 185-191 u. ö. 

24 Achim Keller. Die Abortiva der Römischen Kaiserzeit. 
Quellen und Studien zur Geschichte der Pharmazie 46. 
Deutscher Apotheker Verlag: Stuttgart, 1988300 
S.Kopien. S. 23 

25 Gustav Friedrich Qehler. Theologie des Alten Testa- 
ments. J. F. Steinkopf: Stuttgart, 18913. S. 372 

26 Carle G. Zimmerman. Family and Civilization. Harper & 

Brothers: New York/London, 1947. S. 359-383 

27 Aurelius Augustin, 'Über die Dreieinigkeit' 3,13+16, ab 
gedruckt in Alfons Heilmann (Hg). Texte der Kirchen- 
väter. 5 Bd. Bd. 3. Kösel: München, 1964. S. 652-653 

28 Vgl. Bruce K. Waltke. "Reflections from the Old Testa- 
ment on Abortion". Journal of the Evangelical Theologi- 
cal Society 19 (1976) 3-13 und Kenneth L. Gentry. "The 
Christian Case Against Abortion". (Aufsatz) a. a. Q. (S. 
130-141 zu Ps 139; S. 141-143 zu Ps51 ; S. 143-146 zu 
Hiob 3) 

29 Vgl. dazu die ausgezeichnete Fragenbeantwortung in 
John Ankerberg, John Weldon. When Does Life begin?. 
Wolgemuth & Hyatt: Brentwood (TN), 1989, sowie das 
Standardwerk Mrs. J. C. Willke. Handbook on Abortion. 
Hayes: Cincinnati (OH), 19793 (in viele Sprachen über- 
setzt) 

30 Vgl. dazu Werner Neuer. "Wann beginnt das menschli- 
che Leben?". Factum 9/1982: 27-29 

31 Vgl. die guten Ausführungen zu Ps 51 als Argument 
gegen Abtreibung in "Report of the Committee to Study 
the Matter of Abortion". S. 83-122 in: John M. Frame. 
Medical Ethics: Principles, Persons and Problems. 
Presbyterian & Reformed Pub!.: Phillipsburg (NJ). 1988. 
S. 94-95+106-107 

32 Vgl. zu den Texten John Jefferson Davis. Abortion and 
the Christian, a. a. Q. S. 46-47 

33 Vgl. zum Text ebd. S. 44-45 

34 Vgl. zum Text Kenneth L. Gentry. The Christian Case 
Against Abortion (Buch), a. a. O. S. 24-43 

35 Vgl. zum Text ebd. S. 44-47 

36 Vgl. dazu ebd. S. 49-52 



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47 



37 Z.B. I.Howard Marshall. The Gospel of Luke. The New 

International Greek Testament Commentary. Paterno- 
ster: Exeter (GB), 1978. S. 58; Frederic Godet. Kom- 
mentar zu dem Evangelium des Lukas. Brunnen Verlag. 
Giessen, 1986 (Nachdruck von 18902); S. 58; Theodor 
Zahn. Das Evangelium des Lucas. Brockhaus Verlag: 
Wuppertal, 1988 (Nachdruck von 19204). S. 68 

38 Dies betont bes. Zahn in ebd. S. 68 Anm. 61 . Daß mit 

"vom" übersetzte hebr. mem ist ein mem, daß eine Be- 
dingung beschreibt und wird deswegen auch im sinne 
von "im.. Mutterleib" von der Septuaginta, der griechi- 
schen Übersetzung des Alten Testamentes, wieder- 
gegeben. "IWutterlelb" beschreibt also die Bedingung 
und den Umstand, in dem sich die Person befindet; so 
auch Kenneth L. Gentry. The Christian Gase Against 
Abortion (Buch), a. a. O. S. 51 

39 Vgl. Gordon Wenham. "Law and the Legal System in 
the Old Testament". S. 3-23 in; Bruce Kaye, Gordon 
Wenham (Hg). Law, Moralify and the Bible. Inter-Var- 
sity Press: Leicester, 1978, fiier S. 33-34 (und die dort 
genannte Literatur) 

40 Es ist wichtig, daß das 'lex talionis' normalerweise nicht 
wörtlich ausgeführt wurde, sondern die Höhe der Strafe 
festlegte und beschränkte. 

41 So auch Carl F. Keil. Genesis und Exodus. Brunnen 
Verlag; Giessen, 19834 (Nachdruck von 18783). S. 
525-526; Walter Kaiser. Towards Old Testament Ethics. 
Zondervan: Grand Rapids (MI), 1978. S. 168-172-f102- 
104; Gary North. Tools of Dominion: The Case Laws of 
Exodus. Institute for Christian Economics: Tyler (TX), 
1990 (Register); James B. Jordan. The Law of the Co- 
venant: An Exposition of Exodus 21-23. Institute for 
Christian Economics: Tyler (TX), 1984. S. 113-115; 
Kenneth L. Gentry. The Christian Case Against Abor- 
tion (Buch), a. a. O. S. 62-68; Jack W. Cottrell. 
"Abortion and the Mosaic Law". Christianity Today 17 
(1972-73): 602-605 

42 Ebd. S. 604 

43 Revidierte Elberfelder Übersetzung 

44 Stellungnahme der Presbyterian Church of America, zi- 
tiert in; Joe Morecraft. 'With Liberty and Justice for All: 
Christian Politics Made Simple'. Onward Press: Sevier- 
ville (TN), 1991. S. 182-184. Eine zum selben Ergebnis 
kommende Exegese verabschiedete die Orthodox 
Presbyterian Church 1971 ; "Report of the Committee to 
Study the Matter of Abortion", a. a O. S. 95-102-h107- 
108 (die beste mir bekannte Exegese und Diskussion 
von 2Mose 22,21-25) 



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So auch Walter C. Kaiser. Towards Old Testament 

Ethics. a. a. O. S. 170 
Ebd. S. 170-171. Weitere Vertreter der Frühgeburts- 
sicht nennt Bernard S. Jackson. "The Problem of Exod. 
XXI 22-5 (lus Talionis)". Vetus Testamentum 23 (1 973) 
272-304, hier S. 292, der die Sicht selbst aus historisch- 
kritischerSicht vertritt (vgl. seinen Gegner Samuel W. 
Loewenstamm. "Exodus XXI 22-25". Vetus Testamen- 
tum 27(1 977) 352-360). 

Johannes Calvin. Auslegung der Heiligen Schrift in 
deutscher Übersetzung. 2. Bd. und 3. Bd.: 2.-5. Mose 
(1 . und 2. Hälfte). Verlag der Buchhandlung des Erzie- 
hungsvereins: Neukirchen, o. J., hier2. Bd. S. 629-630 

So Emiel Eyben. "Family Planning in Graeco-Roman 
Antiquity". Ancient Society 11/12 (1980/1981): 5-82 
hierS. 11 unter Verweis auf zahlreiche andere Autoren 
(ebd. Anm. 20 u. ö.) 

Vgl. die Argumente in ebd. S. 103 und bei Carl F. Keil. 
Genesis und Exodus a. a. O. S. 525, Anm. 1 

Meredith G. Kline. "Lex Talionis and The Human Fe- 
tus". Journal of the Evangelical Theological Society 20 
(1977): 193-201 
Ebd. S. 193 

So auch Walter C. Kaiser. Towards Old Testament 
Ethics. a. a. O. 171-172 nach Darstellung der These 
Klines und John Jefferson Davis. Abortion and the Chri- 
stian, a. a. O. S. 51-52 

John J. Davis. Studies in Exodus. Baker Book House: 
Grand Rapids (MI), 19862. S. 235 

So John Jefferson Davis. Abortion and the Christian, a. 

a. O. S. 71 und die von ihm genannten zahlreichen 

evangelikalen Autoren 

Ratgeber aus der Apotheke (Streck: Oberhausen) vom 

1.3.1992. S. 27 

Ebd. 



4 



Anmerkung der Redaktion: Die Eileiterschwanger- 
schaft wurde in der Zeit der noch nicht möglichen 
Ultraschalluntersuchungen in der Regel erst fest- 
gestellt, wenn es durch Blutungen in die freie 
Bauchhöhle zum akuten Abdomen kam. Heute ist 
eine Frijhdiagnose möglich und damit der Versuch 
einer Einpflanzung der Frucht in die Gebärmutter. 



Buchhinweis: 

Ivo Höllhuber, Der Todesschlaf Europas, mit einer 
Einführung von Alfred Schickel, XXII, 634 Seiten. 
ISBN 3-7758-1298-9, Mainz: v.Hase & Koehler 
Verlag 1993. 

Mit den Mitteln quellengestützter Geschichtsdar- 
stellung werden der Wust von Lügen, Entstellun- 
gen, Verschweigen und die Akteure und Hinter- 
männer der Entwicklung in Europa aufgedeckt. 
Eine Fülle von dokumentierenden Büchern, die 
man sonst kaum genannt findet, werden herange- 
zogen, zitiert, ausgewertet. Zahlreiche Tabus und 
Dogmen der Neuzeit und Zeitgeschichte werden 
gebrochen und aufgelöst. Es beginnt mit dem Völ- 
kermord an den Armeniern, von den Türken - im 
Schutz des 1. Weltkrieges - mit brutaler Grausam- 
keit begangen. Dann folgt "Die Verfemung des 
Volkes der Europäischen Mitte", jene Haß-, Lügen 
- und Verleumdungskampagne der Westmächte 
gegen Deutschland, die über Versailles bis zu 
Potsdam und durch die Verewigung tatsächlicher 
und angeblicher Schuld in aller - durch die heuti- 
gen Medien potenzierter Primitivität bis heute fort- 
lebt (z.B. in vielen ordinären, den Deutschenhaß 
aufstachelnden Hetzfilmen in USA und England). 
Man lese bei Höllhuber, wie es wirklich war und ist. 
Auch das Dogma von der Alleinschuld Deutsch- 
lands am 2. Weltkrieg ist nicht - geschichtlich 
wirklich objektiv betrachtet - zu halten. Höllhuber 



über einen Mit-Schuldigen: "Der Hochgrad-Frei- 
maurer, Franklin Roosevelt ist somit als Vergewal- 
tiger des Gewissens des amerikanischen Volkes 
und als Totengräber Europas entlarvt." (S. 196) 
Auch über Hitler, seine ihn verratenen (Bormann, 
Himmler) Genossen, den sogen. Holocaust, den 
"Nürnberger Prozeß - eine tragische Justiz-Komö- 
die", zur Problematik und Korruption in der UNO 
und dann wieder "Europa", werden keine Tabus 
gescheut. Die zwielichtige Gestalt von Graf Cou- 
denhove-Kalergi, weitblickende Europäer, der ethi- 
sche und philosophische Todesschlaf... dies alles 
wird innerlich zusammengehalten durch konzep- 
tionelle Klarheit und ethisch-religiöse Tiefenschau. 
Einem von dem Un-Sinn des "Monstrums 
Maastrich" (Johannes Groß) mit Recht aufge- 
schreckten Europa und endlich teilweise aufge- 
wachten Deutschland, für das die Folgen - wie 
manche nicht abwegig meinen - ein Super-Ver- 
sailles bedeuten könnte, ist dieses Ausnahme- 
Buch mit seinen vielen Augenöffnern eine wahre 
Medizin. Es gibt wieder Fundament und Richtung 
und entlarvt leeres, taktisch interessiertes Ge- 
schwätz und bloße hohle Rhetorik. 
"Europa hat das natürliche menschliche Gewissen 
und seinen Sinn für "gut" und "böse" unter dem 
Deckmantel angeblich "tabu"-freier Wissenschaft- 
lichkeit eingeschläfert. (...)" 
Entnommen aus Theologisches, Jan. 94 von 
Prof.Dr. Joh. Bökmann. 



48 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



Dr.Peggy Morris: 

Euthanasie durch Entzug von Nahrung und Flüssigkeit 



Dr. Peggy Noms ist Ärztin und IVlitglied der "World 
Federation of Doctors who respect Human Life". In 
England gründete sie die ALERT, eine Bewegung 
die sich gegen Euthanasie zur Wehr setzt. 
Die im folgenden wiedergegeben Rede hielt 
Dr.Norris anläßlich eines Symposiums zum Thema 
"Euthanasie" im Europaparlament, das 1993 vom 
"Straßburger Gesprächskreis" veranstaltet wurde. 

Verfall der ärztlichen Ethik ' - 

Zu Anfang möchte ich folgendes richtigstellen: 
Euthanasie und Eugenik gab es schon lange vor 
Hitler. Die Grundlage hierfür kann man wohl in 
England finden. 

Vor allem ist es wohl die Korruptheit unseres Me- 
dizinerstandes, die für die Abwertung des men- 
schlichen Lebens verantwortlich ist. Seit 1900 hat 
sich eugenisches Gedankengut, das durch Darwin, 
Malthus und dann vor allem durch das Galton-In- 
stitut vorbereitet wurde, rasant verbreitet. - ,,.■ j 

Die Projekte zur Erforschung des menschlichen 
Genoms haben das Interesse an Eugenik neu be- 
lebt; und da gilt es, sehr wachsam zu sein. 

Der Psychiater Prof. Dr. Masrim aus Kanada er- 
klärte bereits 1969, zwei Jahre nach der Legalisie- 
rung der Abtreibung in England: "In 25 Jahren 
werden wir die Euthanasie haben." 

Der große deutsche Arzt Christoph Wilhelm Hufel- 
and, der Leibarzt Goethes und Schillers, hat schon 
1806 gewarnt: "Ein Arzt darf nichts anderes tun als 
Leben bewahren. Ob es lebenswert ist oder nicht, 
das geht ihn überhaupt nichts an. Wenn er einmal 
solche Überlegungen zuläßt, die seine Aktionen 
beeinflussen, dann wird der Arzt der gefährlichste 
Mensch im Staat." 

Diese Mahnung von 1806 ist ein wahrhaft prophe- 
tisches Dokument. Einer unserer bedeutenden 
Kinderärzte bestätigte Hufeland, als er zur Frage, 
ob ein neugeborenes Kind mit Mißbildungen be- 
handelt werden sollte oder nicht, erklärte: "Es geht 
den Arzt überhaupt nichts an zu entscheiden, ob 
das Baby eine gute oder schlechte Lebensqualität 
hat. Das hat überhaupt nichts zu tun mit seiner 
Ausbildung. Der Arzt hat nur als Aufgabe zu ent- 
scheiden, ob Behandlung dem Kind helfen kann 
oder nicht. Das ist seine eigene, enge Aufgabe, 
und das dürfen wir niemals vergessen." 

Die derzeitige Situation in Großbritannien ist sehr 
ernst. Wir haben bereits das Tötungstabu gebro- 
chen. Der britische Mediziner- und Ärzteverband 
spricht praktisch mit gespaltener Zunge. Denn vor 
kurzem hat man sich zwar bei der Jahrestagung 
gegen die legalisierte Euthanasie ausgesprochen, 
gleichzeitig aber entsprechende Leitlinien zur 
"Behandlung" von Patienten in "resistentem, ve- 
getativem Zustand" bestätigt. In diesen Leitlinien 
heißt es; daß Ernährung und Wasserzufuhr 



medizinische Behandlungen seien. Diese 
"Behandlung" könne, wenn dadurch innerhalb von 
12 Monaten der Patientenzustand nicht verbessert 
werde - obwohl sie ihn am Leben hält - eingestellt 
werden. Das heißt, man setzt damit den Patienten 
dem Hungertod aus. Diese Leitlinien wurden vom 
House of Lords - dem obersten Gesetzgeber - zur 
Kenntnis genommen. 

Menschliches "Gemüse" 

Es ist erschreckend, daß man tatsächlich in der 
Fachsprache und eben auch in den oben genann- 
ten Leitlinien vom "vegetativem Zustand" spricht. 
Menschen sind doch kein Gemüse (im englischen 
vegetables). Diese Sprachwendungen sind eine 
raffinierte Methode, Menschen zu entpersonifizie- 
ren. In Großbritannien ist das Tötungstabu bereits 
gefallen. Es wird genauso sein wie in Holland: Die 
Gerichte werden Urteile fällen, die die Gesetze, die 
"grundsätzlich" die Euthanasie noch verbieten, 
umgehen, und wir werden so in der Tat die Eutha- 
nasie legalisiert haben. 

Tony Bland war ein 28jährigr Patient, bei dem in- 
folge eines starken Hirnschadens, den erbei einem 
Tribünenbrand in einem Fußballstadion erlitt, ein 
'Persistent Vegetative State' (auch apallisches 
Syndrom genannt) diagnostiziert wurde. Seine El- 
tern und der ihn behandelnde Arzt stellten beim 
Gerichtshof den Antrag, die Nahrungs- und Flüs- 
sigkeitszufuhr einzustellen. 

Solche Patienten befinden sich nicht im Koma. Sie 
schlafen und sie wachen auf, aber sie können sich 
nicht mitteilen. Sie können selbständig atmen, und 
das Herz schlägt ohne künstliche Unterstützung. 

In einer speziellen Abteilung im Royal Hospital in 
Putney sind solche Patienten tagsüber nicht im 
Bett. Man setzt sie in ihre Rollstühle und beugt so 
u.a. Gelenkverkürzungen vor. Man ernährt sie 
nicht über Infusion, sondern über Magensonde, so 
werden u.a. Infektionen verhindert. Mit dieser Ma- 
gensonde kann der Patient normal ernährt werden. 

Bei der Betreuung solcher Patienten, die ja im ei- 
gentlichen Sinne gar nicht krank sind, die eben le- 
diglich sehr schwer behindert sind, liegt die eigent- 
liche Schwierigkeit im wirtschaftlichen Bereich, da 
sie oft über Jahre hinweg intensiver pflegerischer 
Betreuung bedürfen. 

Empfindungsfähige Patienten 

Eine wichtige Frage im Umgang mit diesen Men- 
schen ist die Frage nach dem, was sie in diesem 
Zustand wahrnehmen. 

Ein junger Mann, der in Putney eingeliefert wurde, 
hatte in Südafrika einen Unfall erlitten. Seine Mut- 
ter hatte darum gebeten, ihn in Südafrika besu- 
chen zu dürfen. Die Antwort: "Kommen Sie lieber 
nicht, Ihr Sohn wird bald tot sein." Dieser Junge 
wurde später nach Putney verlegt und lernt 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



49 



I 



■ 



m 



mittlerweile erneut laufen. Er erzählt von den Leu- 
ten, die ihn damals besuchten. Dabei beschrieb er 
auch einen Besucher in blauer Uniform; später 
stellte sich heraus, daß die Beschreibung auf eine 
Nonne paßte, die ihn besucht hatte, als er sich im 
diesem angeblich nicht ansprechbaren Zustand 
befand. 

In einem anderen Fall berichtete ein Mann, der aus 
diesem Zustand "erwachte", daß er mit der ihn 
pflegenden Krankenschwester geredet habe, diese 
aber nicht auf ihn eingegangen sei. Die von ihm 
beschriebene Situation ließ sich rekonstruieren, 
und die Krankenschwester konnte identifiziert wer- 
den. Obwohl er der festen Überzeugung war, die 
Schwester angesprochen zu haben, hatte sie keine 
derartigen Bemühungen des Patienten bemerkt. 

Wir können doch solche Menschen nicht einfach 
abschreiben, so, als ob es sich hier nur um eine 
"lebende Hülle", um Umenschliches Gemüse" oder 
welche Begriffe wir da so in den Gerichtshöfen hö- 
ren, handeln würde. 

Ich selber habe zusammen mit einem Freund eine 
Organisation gegründet, die ALERT heißt. Das ist 
eine Anti-Euthanasie-Bewegung. 

Wir möchten die Öffentlichkeit informieren. Wir 
möchten aber auch diesen Menschen, z.B. auch 
über ihre Verwandten, eine Stimme geben. Über 
die Entscheidung der Lords im Fall Tony Blend wa- 
ren viele Familien sehr empört. Die Lords hatten 
bestimmt, daß man den behandelden Arzt, wenn 
er dem Patienten die Flüssigkeits- und Nahrungs- 
zufuhr entziehe, keines Verbrechens für schuldig 
befinden werde. Wir haben ungefähr 1000 Patien- 
ten, die sich im selben Zustand wie Tony Blend 
befinden. Ihre Familien sind mehr als verärgert, sie 
haben berechtigte Angst. Denn da gilt es nicht nur 
die moralische Seite zu beachten. Sehen Sie sich 
doch einmal die versicherungsrechtliche Frage an. 
Wird künftig die Versicherung nur ein Jahr lang 
zahlen und dann sagen: "Ihr könnt ja zum Ge- 
richtshof gehen und den Antrag stellen, daß euer 
Verwandter umgebracht werden darf? 

Ärzte: Niemals Töten 

Am 29. Mai 1993 wurde in einer medizinischen 
Zeitschrift von Ärzten über 43 Patienten berichtet, 
die sich im "Persistenten Vegetativen Zustand" 
befanden. 11 dieser Patienten haben ihr 



Bewußtsein innerhalb von vier Monaten wiederer- 
langt, und es geht ihnen zunehmend besser. Nach 
12 Monaten konnte ledlich bei einem Patienten 
keine Kommunikation festgestellt werden. Sechs 
Patienten konnten Ja und Nein sagen, und vier 
haben die Fähigkeit zum Sprechen wiedererlangt. 
Vier konnten selbständig essen, drei brauchten 
Hilfe bei der Nahrungsaufnahme. Vier weitere wer- 
den weiterhin durch eine Magensonde ernährt. Die 
Ärzte erklärten, daß der Genesungsprozeß jah- 
relang dauern könne. Es seien Fälle bekannt, bei 
denen die Genesung des Patienten erst nach fünf 
Jahren aufgetreten sei. 

Drei Familien haben in unseren Konferenzen öf- 
fentlich über ihre Erfahrungen gesprochen. Ihnen 
war von Ärzten gesagt worden: "Vergessen Sie 
doch Ihren Sohn, vergessen Sie Ihre Tochter, fan- 
gen Sie mit einem neuen Leben für sich selbst an." 
In einem der Fälle handelt es sich um eine Frau 
von 47 Jahren, die bewußtlos im Bett gefunden 
worden war. Sie sitzt heute im Rollstuhl und zeigt 
trotz bleibenden Hirnschadens reges Interesse an 
ihrer Umwelt. Der andere Fall: ein Junge nach 
Autounfall. Der Pfarrer, der ihn regelmäßig be- 
sucht, fragte die Mutter des Jungen, ob sie 
möchte, daß James gefirmt würde. Als der Bischof 
zu James kam, waren ca. 40 Freunde und Ver- 
wandte anwesend. James wurde gefirmt und emp- 
fing die heilige Kommunion. Am Ende der Zeremo- 
nie hörten alle, wie James klar und für alle ver- 
nehmbar "Amen" sagte. 

.1 

Ja, ich hoffe, daß wir die Familien weiter ermutigen 
können, sich für den Schutz der ihnen Anvertrau- 
ten einzusetzten; denn dieser Schutz ist in der Ge- 
sellschaft verlorengegangen. 

Wir haben die Unterschriften von 800 Ärzten, die 
sagen, daß sie niemals absichtlich den Tod eines 
Patienten verursachen werden. Sie verpflichten 
sich auch, niemals einen Patienten an einen Arzt 
zu überweisen, der bereit ist, Euthanasie anzu- 
wenden. Diese Ärzte erklären: "Wir werden nie- 
mals wissentlich - natürlich ohne Leiden zu verlän- 
gern oder zur Behandlung ohne Hoffnung zu raten 
- absichtlich das Leben beenden. Und wenn solche 
Richtlinien zum Töten kommen und Rechtskraft 
erlangen, dann lehnen wir es ab, den Tod durch 
Nahrungs- oder Flüssigkeitsentzug herbeizuführen. 
Wir lehnen es ebenso ab, andere Ärzte zu einer 
solche Handlung zu veranlassen. 



Karl Salier, Kempten 
Offener Brief 



Datum 17.03.1994 



Sehr geehrte Damen und Herren, 

mit allen Mitteln bis an die Grenze des Unzumutba- 
ren führte die Berichterstattung der Presse und 
Medien mit einer Akzentverschiebung von der Eu- 
thanasie zur sogenannten "Sterbehilfe". 

Auch das Kemptener Schwurgericht dürfte mit sei- 



nem "Im Namen des Volkes" (?) absolut milden 
Urteil auf den Trick "Mitleidstötung" herein gefallen 
sein. Man muß also das Töten dürfen nur richtig 
interpretieren können und der tötende Veranlasser 
wird dann noch zum "Helfer der Menschheit" er- 
kannt. Welch zynische Entwicklung in unserer Ge- 
sellschaft! Um so nachdenklicher stimmt mich die 
Aussage von Dr. Leo Alexander, der im Rahmen 
der "Nürnberger Prozesse" mit der Untersuchung 
der deutschen Vergangenheit beauftragt wurde, 
formuliert: "Welche Ausmaße die NS-Euthanasie 
auch immer angenommen haben, am Anfang 



50 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



M 



1^ 



stand immer eine feine Al^zentverschiebung". 

So wird die Zahl der Verantwortungsfühlenden und 
- tragenden, die Zahl der Besorgten und Pflegen- 
den um das Lebensrecht unserer behinderten, 
kranken, einsamen und sonst unerwünschten 
Menschen Legion. 

Als vor 51 Jahren, am 18. Februar 1943 die Ge- 
schwister Scholl ihre Flugblätter in den Lichthof der 
Münchner Universität warfen, wurden sie darauf 
hin verhaftet und vier Tage später am 22.02.1943 



hingerichtet. Heute würden sie sich abermals wider 
allen Zeitgeist und Opportunismus mutig für das 
Grundrecht des Menschen auf Leben und körperli- 
che Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) einsetzen! 
Und wie bei der Diskussion um den § 218 wird das 
deutsche Volk betäubt und wiegt es erneut in einen 
dumpfen blöden Schlaf und gibt einer dekadenten, 
liberalen Gesellschaft Mut und Gelegenheit weiter 
zu wüten um den Euthanasie-Mord in einem Nebel 
von Begriffen wie: Erlösungstod, Sterbehilfe, Gna- 
dentod usw. zu verschleiern. 



1 



aus F.A.Z. vom 27.6.92 

Frank Wedekind 

Der Tantenmörder . . 

Ich hab' meine Tante geschlachtet. 
Meine Tante war alt und schwach; 
Ich hatte bei ihr übernachtet 
Und grub in den Kisten-Kasten nach. 

Da fand ich goldene Haufen, 
Fand auch an Papieren gar viel 
Und hörte die alte Tante schnaufen 
Ohn Mitleid und Zartgefühl. 

Was nutzt es, daß sie sich noch härmel 
Nacht war es rings um mich her. 
Ich stieß ihr den Dolch in die Därme, 
Die Tante schnaufte nicht mehr. 

Das Geld war schwer zu tragen. 
Viel schwerer die Tante noch. 
Ich faßte sie bebend am Kragen 
Und stieß sie ins tiefe Kellerloch. - 

Ich hab' meine Tante geschlachtet. 
Meine Tante war alt und schwach; 
Ihr aber, o Richter, ihr trachtet 
Meiner blühenden Jugend-Jugend nach 






,h;:.n 



Wulf Segebrecht 

Gefährliches Paradestück 

Der Tantenmörder spricht in eigener Sache. Er 
wendet sich, wie sich am Ende herausstellt, an 
seine Richter, die ihn verurteilen wollen. Seine 
Rede vor Gericht beginnt mit einem uneinge- 
schränkten Geständnis: Jawohl, er hat seine Tante 
getötet, er hat sie sogar "geschlachtet", wie der 
Metzger ein Tier schlachtet. Der Tantenmörder 
scheut sich nicht, diesen Ausdruck auf seine ei- 
gene Tat anzuwenden. Er will sich gar nicht vertei- 
digen, obwohl er als Angeklagter vor Gericht steht, 
er will seine Tat vielmehr rechtfertigen. Schließlich 
war die besagte Dame "alt und schwach". Das 
muß genügen. Denn schon das spricht, meint er, 
gegen sie. 



Es folgt die Beschreibung der Tatvorbereitung und 
des Tathergangs. Die Tante war nicht nur hinfällig, 
sondern auch reich, und auf ihre Wertpapiere und 
ihr Bargeld hatte es ihr Neffe abgesehen. Mögli- 
cherweise schon mit dem Vorsatz der Bereiche- 
rung und unter Ausnutzung des Vertrauensverhält- 
nisses zwischen Verwandten hatte er sich in der 
Wohnung der Tante einquartiert und dort ihre 
"Kisten-Kasten" "ohn Mitleid und Zartgefühl" 
durchwühlt, wobei offenbleibt, ob diese Gefühls- 
kälte nur von dem rücksichtslosen Neffen ausgeht 
oder nicht auch von seiner schweratmenden 
Tante, die, obwohl schon altersschwach, ihm von 
ihrem Besitz nichts mitgeteilt hatte. 
Erst jetzt, angesichts der entdeckten Reichtümer, 
kommt es zum Entschluß, die Tante zu ermorden: 
Nicht nur ihr Alter und ihre Schwäche, so argu- 
mentiert der Täter, machten ihr das Leben schon 
schwer genug; künftig würde sie auch noch den 
Verlust ihres Besitzes zu verkraften haben, sie 
müßte sich, würde er sie lediglich berauben, fortan 
nur noch "härmen". Der Mord wird nun geradezu 
als eine Erlösung für sie gedeutet. Selbstbewußt 
und ohne Beschönigung seiner Tat kann er daher, 
pathetisch stabreimend, bekennen: "Ich stieß ihr 
den Dolch in die Därme." 

Zum "erfolgreichen" Abschluß des Raubmords ge- 
hört es, die Leiche zu beseitigen und die Beute zu 
sichern. Das erfordert, selbst für einen jugendlich- 
kraftvollen Täter, harte Arbeit. Bis an den Rand der 
Erschöpfung hat er sich dabei verausgabt, so legt 
er seinen Richtern dar, als wollte er sie fragen: 
Verdient denn diese Mühe nicht auch Anerken- 
nung? 

Dann aber - und das gibt seinem Wort für Wort 
wiederholten Geständnis die zusätzliche Pointe - 
wendet er sich an seine Richter. Er bittet sie in sei- 
nem Schlußwort nicht, wie das andere Angeklagte 
tun, um ein mildes Urteil. Erfleht nicht um Gnade, 
er greift sie an. Er wirft ihnen vor, sie trachteten 
ihm nach seiner "Jugend-Jugend", nach seinem 
"blühenden" Leben. Die Strafverfolgung, die sie 
betreiben, wird als Jugend- und lebensfeindlich dis- 
kreditiert. Statt zwischen den Interessen der maro- 
den "Kisten-Kasten"-Besitzer und denen der vita- 
len "Jugend-Jugend"-Inhaber abzuwägen - eine 
Abwägung, die nur zugunsten der Jugend ausfal- 
len dürfe -, mache sich die Rechtsprechung nach 
Auffassung dieses jugendlichen Raubmörders ein- 
seitig zum Instrument der Alten und Schwachen, 
wenn sie zugleich reich sind; die Justiz wird als 
Interessenvertreterin lebensunwerten Lebens at- 
tackiert. 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



51 



Der ungeheuren Tat folgt damit ein ungeheuerli- 
cher Vorwurf. Mit keiner Silbe enthält das Gedicht 
auch nur die Andeutung eines Widerrufs der Amo- 
ral, der es Sprache gibt. Der Raubmörder behält 
das letzte Wort, er wird nicht widerlegt. Das Ge- 
dicht entblößt schamlos die erschreckende sozi- 
aldarwinistische Kehrseite des Jugend-, Kraft- und 
Lebenskultes der Jahrhundertwende. Die Besu- 
cher des Kabaretts "Die elf Scharfrichter" in der 
Münchener TCirkenstraße schlugen sich verblüfft 
und ungläubig auf die Schenkel, wenn Wedekind in 
den ersten Jahren unseres Jahrhunderts dieses 



(wie er selbst schrieb) "bedenklichste und gefähr- 
lichste" Paradestück aus seinem Brettl -Repertoire 
vortrug. Die Vorstadt-Bohemiens genossen die an- 
tibürgerliche Attitüde des parodistischen Bänkel- 
lieds, das so scheinheilig als Volkslied daherkam. 
Erst dreißig Jahre später sollte ihnen das Lachen 
in der Kehle steckenbleiben. 
Frank Wedekind: "Ich hab' meine Tante ge- 
schlachtet". Lautenlieder und Gedichte. Eingeleitet 
und herausgegeben von Manfred Hahn, Insel Ver- 
lag Frankfurt am Main 1982, 280 S. 



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§ 



Buchhinweis: 

Carol Greene: Mörder aus der Retorte - Der Fall 
Charles Manson - 

Neuerscheinung, 240 Seiten ISBN 3-925725-1 3X 
Der 1971 von einem amerikanischen Gericht zum 
Tode verurteilte Massenmörder Manson rühmte 
sich 35 Morde begangen zu haben. Unter den 
Opfern waren die Filmschauspielerin Sharon Täte 
Polinski mit ihrem Ehemann und drei weiteren 
Prominenten, die er 1969 mit seiner Mörderclique 
auf bestialische Weise umbringen ließ, 1969 war in 
den Vereinigten Staaten die jährliche Mordrate 
etwa 10 000. Von einem beachtlichen Teil der Ju- 
gendlichen in der USA wurde dieser Mörder als 
Idol gefeiert. Er erhält Berge von Briefen in seine 
Sicherheitszelle eines Gefängnisses in Kalifornien. 
Manson selbst, der über seine Verbrechen keiner- 
lei Schuldgefühl und Reue empfindet, glaubt fest 
daran, daß er ein Vorreiter einer "Neuen Zeit" 
("New age") und einer "Neuen Gesellschaft" sei. 
Seine Morde gingen von einer Hippie ("Blumenkin- 
der") - Kommune aus, deren Parole lautet: "Liebe 
statt Krieg". Es stellt sich die Frage, wer und was 
hat Manson und seinen verbrecherischen Anhang 
zu Killern gemacht? In diesem Buch erfährt man 
bisher nicht veröffentlichte Tatsachen und eine 
Schilderung von Experimenten, welche die Autorin 
(sie studierte jüdische Theologie und Erziehungs- 
wissenschaften) zu analysieren versucht. Die Le- 
serinnen und Leser erleben bei der Lektüre dieses 
Aufsehen erregenden Buches neben der Verherrli- 
chung von Gewalt an Personen und Sachen, die 
ganze Rauschgiftszenerie, Sexismus, Okkultismus, 
Sektierertum, Satanismus, Extremismus, Terroris- 
mus, lauter Abscheulichkeiten mit denen eine 
"Antikultur in der Gesellschaft" errichtet werden 
soll. 

Kommentar: 

Wie sind heute - im Jahre 1994 - Mansons schau- 
rige Visionen zu werten? Sind sie zur Realität ge- 
worden? Wer die täglichen Presseberichte liest 
und die Nachrichten im Fernsehen hört und ver- 
folgt, wird mit all den Abnormitäten, Aggressionen 
und brutalen Verbrechen konfrontiert, die in Häu- 
figkeit und bestialischer Grausamkeit sich manife- 
stieren. Weltweit herrscht Gewalt mit seinen kör- 
perlichen, seelischen und sexuellen Mißhandlun- 
gen. Gewalt wird verübt an Behinderten und Kin- 
dern, an Andersdenkenden, Andersfarbigen, Aus- 
ländern mit seinen vielfältigen Menschenrechts- 
verletzungen. 

Es zeichnet sich heute eine fortschreitende Per- 
version aller Wertvorstellungen ab, die auch poli- 
tisch motiviert und inszeniert ist. Die Gewaltbereit- 
schaft unserer Jugend ist bekannt. ■-' ■ ' 



52 



Das zu Ende gehende 20. Jahrhundert ist - um nur 
an das traurigste Kapitel unserer jüngsten Ge- 
schichte zu erinnern, der Massenmord an unschul- 
digen, wehrlosen Menschen, die das Licht der Welt 
nicht erblicken dürfen. "Jeder" hat das Recht auf 
Leben und körperliche Unversehrtheit (Artikel 2 
des deutschen Grundgesetzes) Unter "Jeder" ist 
nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 
25. März 1975 auch das noch ungeborene men- 
schliche Wesen zu verstehen (Ende des Zitats). 
Der Gesetzgeber macht also keinen Unterschied 
zwischen "geboren" und "ungeboren" und doch 
sieht die Realität ganz anders aus: 
Wieviele Medizinische Kliniken sind zu Todesstät- 
ten umfunktioniert worden. Das Ausmaß der Un- 
geheuerlichkeit und Kaltblütigkeit kann man er- 
messen, wenn man erfährt, daß ein einziger Arzt 
nach eigenen Angaben 40 000 Kindstötungen auf 
dem Gewissen hat, seitdem die Neuregelung des § 
218 STGB in Kraft ist. Hat ein medizinischer Killer 
(Tötung nach Vereinbarung und gegen Bezah- 
lung), der seinen Lebensunterhalt professionell 
durch Töten verdient, kein Gespür dafür, daß ein 
Ungeborener bis zur 22. Lebenswoche Angst vor 
einem qualvollen tödlichen Eingriff hat? Rührt der 
"stumme Schrei" eines Ungeborenen sein Herz 
nicht? 

Wie ist es möglich, daß Jahr für Jahr, seit dem 
Jahre 1976 sind es jährlich mindestens 200 000 
Tötungen im Mutterschoß, in unserem Lande 
"straffrei" durchgeführt werden können? Diese 
Zahlen erfüllen einen Menschen mit normalem 
Rechtsempfinden mit Grauen. Zu diesen Tötungs- 
handlungen melden sich freiwillig medizinische 
Killer, die niemals hinter Gittern sitzen werden, weil 
sie ein Gesetz schützt, wenn sie nur den Tötungs- 
schein einer abtreibungswilligen Schwangeren 
vorweisen können. 

"Der Fall Manson" ist wohl einmalig in der Ge- 
schichte der Kriminalität. Er ist dokumentiert. Inder 
bundesdeutschen Rechtsgeschichte werden bis 
dato von 1976 bis 1993 mindestens 3,4 Millionen 
Embryonalleichen lediglich registriert. Darüber hin- 
aus ist die Todesstatistik lückenhaft infolge nicht 
gemeldeter Abtreibungen und einer hohen Dunkel- 
ziffer von vorgeburtlichen "Tötungen auf Verlan- 
gen". 

Wohin steuert unsere moderne Gesellschaft? Wir 
erleben schon längst eine Neuauflage der Verer- 
bungslehre. Früher war "rassistisch" und heute sie 
"genetisch" begründet, was lebenswert ist. 
So sieht ein Mensch in einer "neuen Zeit" und in 
einer "Neuen Gesellschaft" aus, der gesetzesdie- 
nerisch töten darf. Dr med. Georg Götz 



I 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



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Humor ist, wenn man trotzdem lacht! 



Verhaltensforschung und Miniröckchen. 



Unverfrorene Reflektionen von Medicus wider den tierischen Ernst nach einer Fernsehsendung am 9.3.1994 
über die Abstammung des IVIenschen vom Urpavian und vom Australopitecus erectus. 






Mädchen, willst mit Mini-Hosen 
als "modern" Dich produzieren, 
und mit einer beinah bloßen 
Hinterfront uns imponieren, ' '"'■* 

willst Du mit dem Röcklein "Mini" 
seis beim Tanzsport, Eis und Tennis 
und am Strande im Bikini 
andeuten, was alles In is, 
willst Du dann noch beim Verneigen 
unter deinem Mini-Rocken 
auch Dein Minihöschen zeigen, 
um Verehrer anzulocken? , . .: ■ 
Denkt daran: Uralter Käse 
ist diese Verhaltensmode . . ;.r . 

und drum keine zeitgemäße 
Gleichberechtigungsmethode! 

Denn bereits vor Jahrmillionen 

war das schon das Demutszeichen, 
um die Zornesreaktionen 
eines Männchens zu erweichen, 
seinen Ärger zu entschärfen 
und des Paschas hartem Willen 
sklavisch sich zu unterwerfen, 
seine Launen zu erfüllen. 
Ja um Prügel zu vermeiden, 
bückte sich die Affenahnin, 
demonstriert die Hinterseiten 
als gewitzte Pavianin! 
Vielleicht war das auch schon Sitte 
lange vor dem Schwäbschen Gruß 
in des Tertiäres Mitte 
beim Australopitecus! 



I\/Iedicus wider den tierischen ERNST. 



"Emma" keift zwar, daß "sexistisch" 

man so etwas müsse heißen, 

weil es eine Hinter-List isch, 

statt zu kratzen und zu beißen! 

Doch die Weibchen in der Tat 

warn zum "Streik" nicht zu bewegen, 

denn in dem Patriarchat 

sind die Männchen überlegen! 

Ach hätte die Süßmuth Rita 

doch schon damals existiert, 

dann hätte erfolgreich sie da 

diese Männchen längst dressiert! 

War zu der Zeit sie geboren, 

macht sie heut uns keine Qual, 

hätt die CDU verloren 

nicht die Niedersachsen-Wahl! 

Was hilft auch Schwarzers Alice 

aller Feministenärger, 

denn beim Vorzeigen der Füße 

wirken auch noch heute stärker 

in den weiblichen Genomen 

die Impulse von Hormonen 

aus den X X Chromosomen, 

die vererbt seit Jahrmillionen! 

Deutsche, Schwarze(r) oder Russin 

gleichen drum der Ahnen-Alten ,i 

der Australopitecussin, 

gleiches Sozialverhalten: 

Drum braucht man sich nicht bemühen 

Damen zu emanzipieren. 

Die, statt sich warm anzuziehen, 

liebers Sitzfleisch sich abfrieren! 



iC'.y; - 



X;-/ir:;iliSri>--\j':i-. 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



53 



Nach Redaktionsschluß erhielten wir die Nachricht, daß Frau Karin Struck in Hamburg und ihr 4 jähriger 
Sohn bei einem Autounfall sehr schwer verletzt wurden. Beide befinden sich in einer Hamburger Klinik in 
stationärer Behandlung. 

Frau Struck geriet durch den erlittenen Unfall mit ihren 4 Kindern in eine schwere Notlage. Wer von unseren 
Lesern die Möglichkeit besitzt, Frau Struck finanziell zu unterstützen, wird gebeten^ sich mit unserer Ge- 
schäftsstetle in Ulm in Verbindung zu setzen. 



Vergessen Sie nicht! 

Die EUROPÄISCHE ÄRZTEAKTION ist auf Ihre Spende 

und Mitgliedsbeiträge angewiesen! 

Jeder Betrag, den Sie uns überweisen, hilft uns, den 

Kampf für das Leben wirkungsvoller zu führen. 

Postgiroamt Stuttgart Konto N.: 136 89-701 (BLZ 600 100 70) 
Sparkasse Ulm Konto Nr.: 123 509 (BLZ 630 500 00) 



ML 



Beitrittserklärung 

Der / die Unterzeichnete erklärt seinen / ihren Bei- 
tritt zur EUROPÄISCHEN ÄRZTEAKTION und 
bittet um laufende Zusendung des Informations- 
materials und der Publikationen. 

Name; 

Vorname: 

Geburtstag: 

Beruf: 

Wohnort: 



Wir bitten unsere Mitglieder und Freunde in Anbe- 
tracht der immer waciisenden Aufgaben und Ko- 
sten, weitere Mitglieder zu werben, um die Last auf 
mehr Schultern zu verteilen. 

Straße: 

Tel. Nr.: 

Ich erkläre mich bereif einen Mitgliedsbeitrag von 
10 DM monatlich (120.- DM jährlich) zu entrichten, 

Unterschrift: 



Medienliste: 



Bücher: 

Beckmann, Rainer; 

Abtreibung in der Diskussion 1 4.80 DM 

Blechschmidt, Prof.Dr. Erich; 

Das Wunder des Kleinen 6.50 DM 

Wie beginnt das menschliche Leben 13.50 DM 

Cochlovius,J.: 

Strategien für eine bessere Weit 13.80 DM 

Ernst, Or.med. Siegfried: 

Dein ist das Reich 20.00 DM 

Sprechende Steine, lebendiges Glas, 

Vermächtnis aus Holz, 4 farbig 

Sonderpreis für unsere Leser 49.50 DM 

Esser, Ruth 

Der Arzt im Abtreibungsstraf recht 30.00 DM 



Europäische Arztealction: 

Alarm um die Abtreibung 

Gassmann, Lothar: 

Abtretben? 

Giötz,Dr.med. Georg: 

Ehe und Familie heute 

Jacquinot, C1.: 

Handel mit ungeborenem Leben 

Kreybtg,Th. v.: 

Ein gesundes Baby 

Entstehung von Mi Bbildungen 

Kuhn, Prof.Dr. Wolfgang: 

Zwischen Tier und Engel 

Lackmann, Pfr. Max : 

Ein Mann schreit 



25.00 DM 

12.00 DM 

9.80 DM 

26.80 DM 

19.80 DM 
2.00 DM 

18.00 DM 

6.00 DM 



54 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



Neuer, Dr. Werner: 

Mann und Frau in christlicher Sicht 

Rösler MdL, Roland: 

Der Menschen Zahl 

Rohstoff Mensch 

Rdtzer, Prof. Dr.med.Josef: 

Natürliche Empfängnisregelung 

Sfegmund, Prof. Georg: 

Sein oder Nichtsein 

SIIvlo,Flavio d: 

Das Ding 

Simpfendörfer, Karl: 

Verlust der Liebe 

ThOtitauf, Prof.Dr. Max: 

Christuswarts , : 

Die Gottesanbeterin -■i^ 

Willke MD.,J.C.: 

Abtreibung-diefragw. Entscheidung 

World Federat: 

Vortr. Weltkongreß Medizin u. Ideologie 

v.Straelen, Henry: 

Abtreibung die große Entscheidung 



Vorträge: 



als Kasetfen (falls erschienen); 
Preis in Kursivdruck 
als Druck (falls erschienen): 
Preis in Normaldruck 

Backhaus^Elisabeth: 

Mitschuldig? 

Berger, Dr.med. Heribert: 

Die Problematik der Amniozentese aus 

8.00 



19.50 DM 

14.80 DM 
18.00 DM 

19.80 DM 

20.00 DM 

5.00 DM 

19.80 DM 

14,00 DM 
14.00 DM 

14.50 DM 

5.00 DM 

10.00 DM 



,00 DM 

8.00 1.00 DM 

2.00 DM 



frei 



der Sicht eines Pädiaters 

Euthanasie als Bedrohung 

des Menschen 

Die Abtreibung aus der Sk;ht 

des Kinderarztes 

Bossle, Prof.Dr. Lothar: 

Das Gesundheitswesen vor dem 

Sozialisierungstod 5.00 

Büchner, Bernward 

Lebensrecht unter Gewissens vorbehält 

V. Coelln, Herrn. 

Schule, Grundgesetz und Elternhaus 

Diözese Augsburg: 

Herr was nun? 

Does de WMIebois, Alex, v.d.: 

Behen-schte u. integrierte Sexualität 

Dolllnger, Dr.ingo 

Medizinische Wissenschaft und 

Moraltheologie 8.00 

Ehmann, Dr.med. Rudolf 

Probleme der Geburtenregelung 5.00 

ab 50 Stk, 

Ernst, Dr.med. Siegfried 

Bescheinigungsbüro oder Rat und Hilfe 

Denkschrift gegen gespaltenes Denken 

Evangelische Gedanken zur Frage des 

Pefrusamtes 

Sexualaufklärung oder . 

Geschlechtserziehung 16.00 1 

Südafrika und die Menschenrechte 

Student im Dritten Reich, Faust IV. Teil 5 

als Radtoaufführung 8.00 

eigens gesprochene Ergänzung 

hierzu 8.00 

Wissenschaft von gestern als ideotogischer 

von heute 2 



5.00 DM 



.00 DM 
.50 DM 
.00 DM 



2,00 DM 



2,00 DM 



,00 DM 
50 DM 

,00 DM 
.00 DM 



5,00 DM 



.00 DM 
.20 DM 
.00 DM 



Irrtum 
,00 DM 



1.00 DM 



I. 



Ki:l.i 



SOS Südafrika (Hora Dokument) 5,00 DM 

Die Unverfügbarkeit des 

menschlichen Lebens 5.00 DM 

Ulmer Denkschrift 2,00 DM 

Ist die Sexualethik der Päpste zeitgemät3?3,00 DM 

Europäische Ärzteaktion: 

Tatsachen über "Pro Familia"e.V. 

Furch, Dr.med. Magdalene: 

Über die psychischen Folgen 

der Abtreibung 5.00 2.00 DM 

Furch, Dr.med Wolfgang 

Abtreibung und ärztlicher Heilauftrag- 

die Konfliktsituation des Arztes 5.00 2.50 DM 

Geier,Erna M. 

Die politische Diskussion um die 

Abtreibungspraxis in der BRD 

muß neu entfacht werden 8.00 2.00 DM 

Götz, Dr.med. Georg 

Ärztliche Gedanken zum Leitthema über die 

Situation in d.BRD 8.00 3,00 DM 

Götz/Norrts Amniozentese oder die moderne 

Selektion 8.00 2,00 DM 

Gunning, Dr.med. Karel :; 

Die Komplementarität von Naturwissenschaft, 

Glauben 5.00 2,00 DM 

Die Euthanasie in Holland - 

Das absichtliche Töten 8.00 2,00 DM 

Günthör OSB, Prof.Dr. P. Anselm 

Die Rolle der Moraltheologie im geistig- sittlichen 

Niedergang Europas 8.00 3.00 DM 

Habsburg MdEP, Otto von 

Bekenntnis zu Menschenwürde, Leben und 

Zukunft Europas 8.00 1,00 DM 

Häußler, Dr.med. Alfred 

Die natürliche Familienplanung 2,00 DM 

Die Kontrazeption und ihre Folgen für die 

Gesellschaft 8.00 2,00 DM 

Die Pille, das Unheil des 20, Jahrhunderts 5.00 DM 

Die Selbstzerstörung Europas 2,00 DM 

Hoeres, Prof. Dr. Walter 

Der Einzelne oder das größte 

Glück der größten Zahl 

Holzgartner, Hartwig 

Die politische und soziale Lage im 

Abtreibungsumfeld 8.00 1,00 DM 

Jacob, Prof.Dr.med. Ruthard 

Gedanken zur Problematik der 

Abtreibungen... 8.00 2.00 DM 

Kägl, Werner 

Die Gefährdung der rechtlichen Grundlagen 

Europas 8.00 2.00 DM 

Kongr.f.d.kath. 

Orientierung zur Erziehung in der 

menschlichen Liebe 

Kreybtg, Dr.med.Thomas von 

Hormone und Schwangerschaft 

Verhütung angeborener Behinderungen 

Die Wirkung eines Östrogen/Gestagen 

Präperates auf die vorgeburtliche 

Entwicklung der Ratte 

Maler, Pater Otto SAG 

Katholische Moraltheologie in Deutschland ein '" 

offenkundiges Desaster 800 2,00 DM 

Das Ende einer Epoche fordert einen neuen 

Denkansatz 5.00 2.50 DM 

Motschmann, Elisabeth 

Sind wir auf dem Weg in eine muttertose 

Gesellschaft? 8.00 2.00 DM 



8.00 2.00 DM 



7.50 DM 

0,20 DM 
3,00 DM 



0.20 DM 



MEDIZIN & IDEOLOGIE April 94 



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'!,':■ 



Neuer, Dr.Werner: 




Werner MdB, Herbert 


1 


idea Dokument. "Pro Jamitia "/Christen für das 


Bestandsaufnahme 


2.00 DM 


Leben 


8.00 DM 


Westphalen, Johanna Gräfin von: 




idea Dokument. "Chemischer Krieg" gegen 


Abtreibungsfreigabe - 




Kinder? 


4,80 DM 


Hilfe für Frauen oder., 5.00 


2.00 DM 


Papsthart, Alexander 




wiiike,J.&E. 




Zur rechtlichen Frage 




Der Kampf um die geistig moralischen 




im Abtreibungsumleld 8.00 


1 .00 DM 


Grundlagen der USA 8.00 


2.00 DM 


Das Abtreibungsrecht im "Vereinigten 




Fluabtätter: 

Abtreibung aus der Sicht eines 




Deutschland" 


2.00 DM 




Phitbei1h,Karl: 






Im Anfang schuf 




Mediziners 


0.10 DM 


Gott Himmel und Erde 5.00 


1.50 DM 


abiOOOStk 


0.07 DM 


Philipp, Wolfgang; 




Bevor Sie eine Abtreibung en^/ägen 


0,10 DM 


Abtreibung als öffentlich rechtliche 




abfOOOStk 


0.08 DM 


KassenIeJstung 


2.00 DM 


Das sollte Sie nachdenklich machen 


0.05 DM 


Die Finanzierung der Abtreibungen 




abiOOOStk, 


0.04 DM 


durch die Krankenkassen. 


2.00 DM 


Der tödliche Betrug 


0.50 DM 


Ramm, Walter: 




ab 250 Stk 


0.30 DM 


Familienplanung in der 




Der Irrtum Haeckels 


0.50 DM 


Bundesrepublik -'. •-- - 5.00 


2.00 DM 


ab 400 Stk, 


030 DM 


Röster, Roland: 




Die Pille:"Das Ei des Kolumbus"- 




Betrachtungen zur Herschaft durch 




oder eine Zeitbombe 


0.10 DM 


Bevötkerungskontrolle 5.00 


2,50 DM 


abiOOOStk. 


0.08 DM 


Rotzer, Dr.med. Josef: 




Ergebnis einer aussichtslosen Notlage 


0.50 DM 


Verantwortliche Elternschaft im Lichte eines 


ab 100 Stk. 


0.40 DM 


christlichen f^/Ienschenbildes 2 x 8.00 


6.00 DM 


Für Lebensrecht und Zukunft Europas! 


0.50 DM 


Russischer Priester: 




Gesundheitliche Folgen eines 




Über die Giaubenssituation 




Schwangerschaftsabbruches 


0.15 DM 


in der UdSSR 8.00 




ab 1000 Stk. 


0.10 DM 


Schmidt, Prof.Dr.med. Magnus: 




Leben oder Tod 


0.15 DM 


Abortus und Euthanasie 


2.00 DM 


ab 500 Stk 


0.12 DM 


Schöttler, Rudolf 




abiOOOStk. 


0.10 DM 


Menschenrechte lür jeden oder "Sterbe- 




Von A - Z unwahr 


0.30 DM 


hilfe" von Anfang bis zum Ende , ; . 


5.40 DM 


ab 650 Stk 


0.20 DM 


Serrettt, Massimo 




Was ist Mord? 


0.15 DM 


Die Natur der menschlichen Person 


2.00 DM 


abiOOOStk 


0.12 DM 


Staehelin, Prof.Dr. Balthasar: 








Vom naturwissenschaftlichen und vom 




Verschiedenes: 




christlichen Menschenbild 


2.00 DM 


Videokassette "Der stumme Schrei" 


98.00 DM 


Straaten, P. Weerenfried van: 




Videokassette "Die frühen Phasen der 




Predigt aus der Abschlußfeier 




menschlichen Entwicklung" 


160.00 DM 


in St. Ulrich 3.00 DM 


leihweise 


10.00 DM 


Süßmuth, Prof. Dr. Roland 




Ton/Diaserie "Mensch von Anfang an" 


75.00 DM 


AIDS ' Mehr als eine Herausforderung 




leihweise 


10.00 DM 


an die moderne Sozietät 5.00 


3.50 DM 


Füßchen Anstecknadel gold oder Silber 


2.00 DM 


Thürkauf, Prof.Dr. Max ^~^';:i v.;^"^ i>i- 




ab 100 Stk. 


1 ,80 DM 


Dart die Wissenschaft tun 




Emailleschild "World Federation of 




was sie kann? 8.00 


2.00 DM 


Doctors who respect... 




Erben des ewigen Lebens 


2.00 DM 


{Nur für Mitglieder) yr:-;:v?Ai 


30.00 DM 


Endzeit des Marxismus 5.00 


2.50 DM 


Aufkleber "World Federation of ' 




Trembley.E.; ^^^ 




Doctors who respect... 




Die Affaere Rockefeller ;, 


5.00 DM 


(Nur für Mitglieder) 


1.00 DM 


Vilmar, Dr.med. Carsten 




VHS Videocassette Ernst: Ist Gott ein 




Bekenntnis zu Menschenwürde, 




Konsumartikel? 


60.00 DM 


Leben... 8.00 


2.00 DM 


VHS Videocassette Ernst: Sexual- 




Waldstein, Prof.Dr.jur. Wolfgang 




aufklärung oder Geschlechtserziehung 


60.00 DM 


Lebensschutz und 








Rechtsstaatlichkeit 8.00 


3.00 DM 


■ -..i. ■ 1 
1 





Impressum: 



;!h.:; 



Redaktion und Vertrieb: EUROPÄISCHE ÄRZTEAKTION, Postfach 1123, 89001 Ulm 

Tel.: 0731/722933 Fax.: 0731/724237 

Postgirokonto Stuttgart 136 89-701, Sparkasse Ulm 123 509 

Verantwortlich für den Inhalt: Dr.med, Alfred Häußier, Neckarsulm ,, ;; 

Satz: Europäische Ärzteaktion, Ulm Druck: INGRA - Werbung, Lindau ,..; ..(^ , 

Gedruckt auf chlorarm gebleichtem Papier 



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